Blicken wir nach vorne: 2019 bekommen wir neue Aerodynamik-Regeln. Auf den ersten Blick sind die Änderungen klein, fragt man die Ingenieure, ist es natürlich wieder eine Revolution. Wie groß sind die Änderungen wirklich?
Christian Danner: Diese Kosten, die da immer angeführt werden, sind egal, denn die Teams geben das Geld ohnehin aus. Wo du dein Entwicklungsbudget ausgibst, ist ja völlig egal. Jetzt fangen sie wieder bei Null an und geben es wieder genauso aus. Aber wir reden hier über einen Bereich, der an Komplexität kaum zu übertreffen ist. Es geht immer darum, erst im CFD, dann im Windkanal die Vortex-Wirbel vorne so zu kreieren, dass die Anströmung des Autos auch hinten stimmt. Soweit das Prinzip. Dadurch leidet aber das hinterherfahrende Fahrzeug. Aber man sieht auch, dass es funktionieren kann. Die Formel E fährt wirklich im Zentimeterabstand hintereinander her. Auch andere Autos können das. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder hast du keinen Abtrieb und deshalb kein Problem - zum Beispiel Formel E -, oder du musst die Aerodynamik so gestalten, dass hinter dem Auto immer noch ein bisschen Energie in der Luft ist. Ob die neuen Regeln der Durchbruch sind? ich bin Optimist und glaube Ross Brawn und Pat Symonds, die beide sagen, es sei eine deutliche Verbesserung.

Könnten die Regeln etwas am Kräfteverhältnis ändern?
Christian Danner: Ich glaube, das kann man getrost vergessen. Vorne sind sie so weit weg, sie werden auch da vorne bleiben. Ob es unter den drei Top-Teams jetzt Verschiebungen gibt, das kann man nicht sagen, die waren ja ohnehin fast gleichauf, und die werden auch 2019 gleichauf sein. Die Zeiten einer Brawn-Überraschung - mit einem Diffusor, der das technische Reglement auf ganz besondere Weise ausgereizt hat -, sind vorbei. Toto Wolffs Vermutung in Sachen neues Reglement teile ich hier nicht.

Und was können wir von Red Bull Honda erwarten?
Christian Danner: Das ist deshalb so interessant, weil die Motoren in dieser Generation eben ein großer Faktor sind. Das ist nicht wie früher, als es im Endeffekt egal war. Ob der Honda-Motor - ein paar PS hin oder her - mit Ferrari und Mercedes mithalten kann? Ich würde sagen, ich bin auch da optimistisch und sage, sie schaffen den Anschluss. Ob das dann so wird, wie sich die Red Bulls das vorstellen, dass sie dann bei allen Rennen auf Augenhöhe mit allen anderen fahren, speziell was die Zuverlässigkeit angeht, das müssen wir abwarten.

Wäre Max Verstappen WM-reif?
Christian Danner: Vom Speed her sowieso, absolut. Aber nach wie vor: Wenn er um den Titel fährt und solche Sachen macht wie mit Ocon in Brasilien, da lacht sich so ein Hamilton tot. Ich kann mir grundsätzlich vorstellen, dass er jetzt so weit ist. Vom Speed her ist er sagenhaft, Talent, Fahrzeugbeherrschung, Zweikampfstärke, Regen, Starts, alles. Der hat alles am Schirm. Aber ich glaube, er ist noch nicht abgeklärt genug, um einen Hamilton zu schlagen. Solange ein Hamilton psychologisch in Watte gepackt seine Runden drehen kann, ist er schon schwer zu schlagen. Weil er kann es eben doch in jeder Beziehung. Da darfst du deine eigenen Fehler nicht abtun mit 'ich würde es nächstes Mal genauso machen', sondern sagen: 'Mal schauen. Jetzt habe ich es so gemacht, vielleicht versuche ich es nächstes Mal anders'.

Wird Charles Leclerc für Sebastian Vettel zum Endgegner?, Foto: Sutton
Wird Charles Leclerc für Sebastian Vettel zum Endgegner?, Foto: Sutton

Ein teaminternes Duell wird besonders spannend: Vettel gegen Leclerc. Wird das ein Make-or-Brake-Jahr für Vettel? Steht das Projekt Ferrari für ihn oder sogar seine Karriere auf der Kippe?
Christian Danner: Wenn er mit Ferrari Weltmeister werden will, dann sollte er den Leclerc schlagen, sonst wird das Unterfangen ein bisschen schwierig [lacht]. Spaß beiseite: Sebastian ist sich über die Grundsituation absolut im Klaren. Er weiß ganz genau, dass da einer kommt, der nicht aus Pappe ist. Der weiß ganz genau, mit wem er es zu tun hat. Und der weiß auch um die Politik bei Ferrari. Leclerc ist ein Ferrari-Mann! Diese Grundstimmung in der italienischen Presse aber auch bei Ferrari selbst ist nicht zu verachten. Das ganze politische Gebaren mit Nicholas Todt als Manager und alles. Sie haben diese Klaviatur im Griff. Sebastian ist also vorgewarnt. Und ich sage ganz ehrlich: Zu einem gewissen Punkt ist das eine Make-or-Break-Geschichte für Sebastian.

Ist das der Unterschied zu 2014, als er gegen Daniel Ricciardo nicht vorgewarnt war?
Christian Danner: Das war aus zweierlei Gründen ein blödes Jahr. Erstens hatten sie einen miserablen Motor. Zweitens war alles, was Sebastian so unglaublich gut gemacht hat - nämlich dieser angeblasene Diffusor und die ganzen Aerodynamik-Geschichten -, auf einmal weg. Das war 2014 völlig egal und du bist nur mehr mit diesem abenteuerlichen Motor um die Ecken geeiert. Ricciardo kam aber von Toro Rosso, für den war das alles super, er war den ganzen Abtrieb ohnehin nicht gewohnt. Für Vettel war es im Gegenzug so schlecht wie noch nie. Aber das sind andere Voraussetzungen.

Und wie gesagt, 2019 ist er absolut vorgewarnt. Er weiß ganz genau, was da auf ihn zukommt. Das wird ganz ehrlich schon eines der spannendsten Dinge sein in der nächsten Saison. Wie kann sich Vettel als vierfacher Weltmeister und einer, der diesen Ferrari-Titel da ums Verrecken haben will, gegen den Kerl zur Wehr setzen, der schlichtweg ein Ausnahmetalent ist. Leclerc ist kein besonders guter Fahrer oder so etwas, er ist ein Ausnahmetalent! Auf der anderen Seite wird Leclerc auch einmal einen Gegenwind spüren, den er noch nicht gekannt hat. Der wird auch merken, dass die Luft da oben mal dünn wird. Vettel war und ist auch so ein Ausnahmetalent, Vettel ist nicht Ericsson. Und die Atmosphäre im Team ist auch nicht mehr so lässig wie bei Sauber.

Daniel Ricciardo schlug Sebastian Vettel 2014 deutlich, Foto: Sutton
Daniel Ricciardo schlug Sebastian Vettel 2014 deutlich, Foto: Sutton

Dann gibt es bei Renault noch ein spannendes Teamduell mit Hülkenberg gegen Ricciardo. Muss sich Nico das warm anziehen?
Christian Danner: Nico muss sich da vor nichts und niemandem verstecken. Solche Leute zu vergleichen ist wahnsinnig schwierig. Der eine fuhr GP-Siege ein und der andere hat es trotz weiß ich nicht wie vielen GPs nicht aufs Podium geschafft. Nur muss man es so sehen, wie es ist. Der eine hatte das große Glück, und das dazugehörige Momentum, um seine Vorteile gnadenlos ausspielen zu können. Der andere hat unglaublich konstant und konzentriert aus mittelmäßigem Material immer das Beste gemacht. Ich habe das Gefühl, dass Hülkenberg sich gegen Ricciardo sehr gut aus der Affäre ziehen wird.

Und dann haben wir noch einen sehr Prominenten im Umfeld der Formel 1: Mick Schumacher.
Christian Danner: Mick Schumacher hat eine fantastische Formel-3-Saison hingelegt und darüber freue ich mich unglaublich. Ich glaube, er wird auch in der Formel 2 sehr, sehr gut sein, halte es aber für unwahrscheinlich, dass er im Goerge-Russel-Style in seiner ersten Saison alles in Grund und Boden fährt. Er hat immer im zweiten Jahr überragend abgeliefert, egal, was er gemacht hat. Im ersten hat er sich eingelebt. Wenn er es jetzt schneller schafft, dann umso besser. Es ist aber überhaupt kein Problem, wenn er sich jetzt eine Saison eingewöhnt und in der nächsten Saison dann um den Titel fährt. Das halte ich für realistisch. Ich bin auf jeden Fall 100-prozentig sicher, dass Mick seinen Weg gehen wird. Er konnte - wenn es nicht so lief - seine Schwachstellen, seine Problembereiche ausmerzen. Allein das finde ich großartig.

Von Jung zu Alt: Robert Kubica gibt 2019 sein Sensations-Comeback. Was können wir von ihm erwarten?
Christian Danner: Nachdem er ja gegen George Russell fährt, werden wir relativ schnell sehen, was er kann und was er nicht kann. Und jetzt nicht der Fahrer Kubica als solcher, sondern der Fahrer Kubica mit seinem Handicap. Wenn er auf Augenhöhe mit Russell ist oder sogar besser fährt, dann haben wir eine Heldengeschichte. Der Mann ist dem Tod von der Schippe gesprungen und fährt jetzt wieder in der Königsklasse! Ich drücke ihm beide Daumen: Wenn er das hinbekommt, ist er für mich wahrlich ein Held. Aber wenn man sich einmal vor Augen führt, dass er de facto mit einer Hand fährt, gibt es ein gesundes Maß an Skepsis, ob das auf jeder Strecke funktioniert.

Von alt zu alt: Kimi Räikkönen zurück bei Sauber ist eine schöne Geschichte. Aber ist es mehr oder lässt er nur seine Karriere ausklingen?
Christian Danner: Karriere ausklingen lassen? Das kann der nicht. Der kann entweder 100 Prozent oder gar nichts. Das ist kein leiser Abschied. Der wird da richtig Gas geben. Was er kann, macht er. Er kann absolut für Achtungserfolge sorgen. Wobei Antonio Giovinazzi auch nicht langsam ist, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob er konstant und fehlerfrei schnell sein kann.