Der Brasilien GP 2018 lieferte unfassbare Szenen. Im Rennen und danach. Der Sieg von Lewis Hamilton geriet dabei fast zur Nebensache. Im Fokus: Max Verstappen und Esteban Ocon. Die beiden Formel-1-Youngsters besorgten es sich erst auf und anschließend noch neben der Strecke. In der Motorsport-Magazin.com-Rennanalyse sollen die Handgreiflichkeiten in der FIA-Garage keine Rolle spielen, stattdessen erklären wir, wie es genau zur rennentscheidenden Szene kommen konnte.

Um die Situation vollumfänglich zu verstehen, muss man sich das Rennen nicht erst in Runde 44 ansehen, als Verstappen und Ocon kollidierten. Verstappens Rennen verlief bis zu diesem Zeitpunkt perfekt: Von Rang fünf gestartet, ging der Red-Bull-Pilot schon in Runde drei an Kimi Räikkönen vorbei. Eine Runde später war auch Sebastian Vettel fällig, Verstappen befand sich schon auf Rang drei.

An Valtteri Bottas hatte Verstappen etwas mehr zu knabbern, in Runde zehn konnte sich aber auch der Mercedes-Pilot nicht mehr erwehren. Verstappen lag nun auf Platz zwei hinter Lewis Hamilton. Auf den gleichen Reifen konnte Verstappen zwar schneller als Hamilton, kam aber nicht vorbei. Sein Pace-Überschuss war nicht ausreichend für den Weltmeister.

Red Bull wählt alternative Strategie

Red Bulls einzige Chance war es, eine andere Strategie zu wählen, um Verstappen vor Hamilton zu bringen. Während Hamilton schon in Runde 19 zum Reifenwechsel kam und für den Rest des Rennens Medium aufzog, blieb Verstappen draußen. Auf den abgefahrenen Supersofts verlor er nur extrem wenig Zeit auf Hamilton mit seinen frischen Medium-Pneus.

Red Bull ging den geringen Zeitverlust pro Runde ein, um dann später im Rennen einen größeren Reifen-Vorteil zu haben. Der Performance-Überschuss musste groß genug sein, um aus eigener Kraft ein Überholmanöver hinzubekommen, auch wenn die totale theoretische Rennzeit vielleicht darunter leidet.

Deshalb kam Verstappen erst in Runde 35 zum Reifenwechsel. Im Gegensatz zu Hamilton zog der Niederländer die Soft-Pneus auf. Die Haltbarkeit sollte kein großes Problem sein, denn er schaffte ja bereits die erste Rennhälfte auf Supersoft.

Etwas mehr als drei Runden brauchte Verstappen auf seinen frischen Soft-Reifen, um Hamilton -der auch noch mit Technik-Problemen zu kämpfen hatte - zu überholen. Der Plan war aufgegangen.

Verstappen und Ocon mit unterschiedlichen Agenden

Von nun an ging es nur noch darum, die Soft-Reifen pfleglich zu behandeln. Auf Hamilton musste Verstappen keinen großen Vorsprung herausfahren. Dabei könnten nur die sensiblen Pirelli-Pneus eingehen.

Doch genau in dieser Phase kommt Verstappen Ocon in die Quere. Der Force-India-Pilot kam erst in Runde 40 zu seinem Stopp und holte sich für den Schluss-Sprint die Supersoft-Reifen. Im Gegensatz zu Verstappen musste Ocon nun richtig Gas geben. Teamkollege Sergio Perez, der auf einem Punterang lag, war rund zehn Sekunden vor ihm - hatte aber nur die Soft-Reifen für den Schlusssprint.

Eigentlich wäre Ocon mit fast einer Runde Rückstand direkt vor Verstappen wieder auf die Strecke gekommen und hätte das Potential seiner frischen Reifen voll ausschöpfen können, allerdings gab es beim Boxenstopp Probleme. Der Franzose verlor wertvolle Sekunden und kam mit einer Runde Rückstand zwischen Verstappen und Hamilton zurück auf die Strecke.

Während Verstappen zu diesem Zeitpunkt sein Rennen verwaltete, befand sich Ocon im Attacke-Modus. "Ich fuhr für zwei Runden hinter Max. Auf der ersten Runde war ich viel schneller, und auf der zweiten Runde war ich wieder viel schneller", erklärte Ocon.

Die Realität sieht etwas anders aus: Ocon fuhr zu diesem Zeitpunkt nicht viel schneller als Verstappen, in Runde 43 trennten die beiden lediglich zweieinhalb Zehntelsekunden. Verstappen fuhr 1:13,116, Ocon 1:12,876 Minuten.

"Wenn wir für sechs, sieben oder acht Runden aufgehalten werden, während der Führende seine Reifen schont, sollten wir das nicht hinnehmen", erklärte Force India Teamchef Otmar Szafnauer im Interview mit Motorsport-Magazin.com. Doch ob Ocon wirklich so lange von Verstappen wäre aufgehalten worden, steht auf einem anderen Blatt. Ocon hätte die Pace nicht dauerhaft gehen können, der übliche Pace-Unterschied zwischen Red Bull und Force India hätte sich eingestellt.

"Es sollte uns möglich sein, zu überholen", meint aber Teamchef Szafnauer. "Aus unserer Sicht ist es egal, was sie machen. Uns interessiert nur unser Rennen."

Ocon beim Entrunden zu aggressiv

Gesagt, getan. Ocon wagte den Überholversuch in Kurve eins. Der Force-India-Pilot ging außen in das Senna S, um sich für den zweiten Teil innen zu positionieren. Doch Verstappen rechnete nicht damit, dass der Überrundete so dagegenhalten würde. Deshalb fuhr Verstappen ganz normal auf seiner Linie weiter, während Ocon weiter im Angriffsmodus fuhr.

Die Folgen sind bekannt: Ocon traf Verstappen mit dem linken Vorderrad am rechten Hinterrad, beide drehten sich von der Rennstrecke. "Natürlich haben sie das Recht, sich zu entrunden, aber man muss das vorsichtig machen", erklärte Verstappen später. "Ich glaube, so war das immer."

Die Stewards sahen es ähnlich: Sie belegten Ocon mit der härtesten sportlichen Strafe, die ihnen zur Verfügung steht. Ocon musste langsam durch die Boxengasse fahren und zehn Sekunden anhalten. "Er hat das Überholmanöver in Kurve eins nicht geschafft und hat als überrundetes Fahrzeug mit dem Führenden um Track-Position gekämpft, wodurch die Kollision in Kurve zwei verursacht wurde", hieß es in der Begründung.