Brasilien 2008 - das Finale der Formel-1-Weltmeisterschaft. Zwei Fahrer haben am Start noch Chancen auf den WM-Titel, Lewis Hamilton im McLaren und Felipe Massa im Ferrari. Kurz vor Ende setzte in Interlagos noch einmal der Regen ein. Dann folgte eine der berühmtesten letzten Runden der Formel-1-Geschichte.

Massa siegte, Hamilton musste daher noch Fünfter werden, begann die letzte Runde aber als Sechster. WM also vorbei? Während die Brasilianer ihrem WM-Helden Massa bereits feierten, passierte Hamilton kurz vor dem Ziel den auf Trockenreifen durch den Regen schlingernden Toyota von Timo Glock, war plötzlich Fünfter und Weltmeister.

In der Ferrari-Box und auf den Zuschauerrängen folgte Schock. Hamilton hatte dem brasilianischen Lokalmatador Massa die WM weggeschnappt. Einen Sündenbock machten einige Fans gleich darauf aus: Timo Glock. Im Exklusiv-Interview mit Motorsport-Magazin.com erinnert der sich zurück an den schicksalhaften 2. November 2008 und an die Folgen.

Timo-Glock-Hass nach Brasilien: Bis an den Galgen

Die unmittelbaren Folgen des Brasilien-Showdowns von 2008 waren für Glock dramatisch. Er und das Formel-1-Team von Toyota fuhren mit Polizeieskorte zurück zum Flughafen. Danach ging es weiter. "Es gab Facebook-Gruppen, in denen man mich hängen wollte", erzählt Glock von den rabiatesten Fan-Reaktionen. "Ich bekam Drohbriefe nach Hause und all so einen Mist. Da waren schon heftige Sachen dabei."

Zehn Jahre danach sind die Reaktionen zumindest schwächer geworden. Die Formel 1 hat inzwischen auch die Onboard von Glocks letzter Brasilien-Runde veröffentlicht. Auf denen ist zu sehen, wie er auf seinen Trockenreifen bei feuchter Strecke nicht einmal wirklich aufs Gas gehen kann, ohne sich zu drehen.

"Es gibt ja viele User, die mich verteidigen, weil sie jetzt die Onboard-Aufnahmen gesehen haben oder so. Auf der anderen Seite gibt es auch immer noch Leute, die mich heute dafür hassen", beschreibt Glock die jährliche Tradition der Online-Kommentare.

Felipe Massa gewann in Brasilien 2008 das Rennen, nicht aber die WM, Foto: Sutton
Felipe Massa gewann in Brasilien 2008 das Rennen, nicht aber die WM, Foto: Sutton

"Aber gut, denen kann ich leider auch nicht helfen", meint er. "Das sind eben Fans von Felipe Massa und das kann ich auch verstehen. Ich habe aber nichts falsch gemacht, sondern damals versucht, aus dieser Situation für mein Team das Beste herauszuholen."

Glock gegen Hamilton ohne Chance: Falsche Reifen drauf, Box zu

Falsch gemacht hat Timo Glock in Brasilien tatsächlich überhaupt nichts. Er selbst machte alles richtig. Toyota hatte ihn früh an die Box geholt und vollgetankt. Er sollte bis zum Ende des Rennens durchfahren. Als der Regen einsetzte, beschloss Toyota, ihn weiterfahren zu lassen. Glock musste sich auf Trockenreifen um die Strecke tasten, während es immer nasser wurde.

Am Ende war es kaum noch fahrbar. "Ich kann mich heute noch gut daran erinnern, wie ich zwei Runden vor Schluss sagte: Ich muss reinkommen, das endet sonst im Chaos", sagt Glock. "Da hat mir das Team gesagt, dass das nicht mehr ginge, weil die Boxengasse blockiert ist." Glocks damaligem Toyota-Teamkollegen Jarno Trulli ging es genauso.

Glock: Verschwörungstheorien unsinnig, war kein Hamilton-Helfer

Glock rettete noch Platz sechs über die Linie, nachdem er in der letzten Runde von Hamilton und Sebastian Vettel überholt wurde. Trotzdem gaben sich mit der Erklärung "Trockenreifen" nicht alle zufrieden. Glock und Hamilton kannten sich aus Nachwuchs-Rennserien - der Weg zur Verschwörungstheorie war nicht weit.

Glock und Hamilton 2010 bei der Formel 1 in Valencia, Foto: Sutton
Glock und Hamilton 2010 bei der Formel 1 in Valencia, Foto: Sutton

Für Glock unsinnig: "Wer hätte uns denn erzählen können, dass es zwei Runden vor Schluss anfängt zu regnen? So eine Story kann man nicht planen, das ist unmöglich." Beinahe hätte der Zufall die Geschichte dann sogar noch weiter angeheizt.

Am Heimflug saß Glock im Flugzeug nämlich neben Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug, damals Motorenpartner von Hamiltons WM-Team McLaren. "Der war natürlich in Feierlaune, Mercedes hat nach dem Rennen ja ordentlich Gas gegeben", so Glock. "Ich habe in dem Moment nur gehofft, dass mich da von der Presse niemand sieht ..."

Glock Teil der Formel-1-Geschichte: Brasilien auf immer und ewig

Bis heute wird Timo Glock das Formel-1-Finale von Brasilien nicht los. "Is that Glock?" - der überraschte Ausruf von TV-Kommentator Martin Brundle wird für Formel-1-Fans zum Synonym für die WM-Entscheidung. Gleichzeitig wird es auch die Nummer-eins-Geschichte von Glocks Karriere.

Seine Erfolge kommen erst danach - leider, bedauert Glock. Ihm wäre es lieber, wenn man bei seinem Namen an Dinge wie den DTM-Zweikampf gegen Gary Paffett in Hockenheim 2018 denken würde. Andererseits hat ihm Brasilien 2008 einen Platz in den Geschichtsbüchern der Formel 1 eingebracht.

"Kaufen kann ich mir aber auch nix dafür...", winkt Glock ab. "Wenn ich in einigen Jahren noch mal darüber nachdenke, finde ich das vielleicht sogar ganz cool. Aber wenn ich entscheiden könnte, wäre ich damals lieber nicht in der Situation gewesen."

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