Sportlich läuft es für David Coulthard im Moment eher mittelprächtig. Magny-Cours und der Nordamerika-Trip waren keine Reise wert. Sein letztes Podium hat er 2003 (!) herausgefahren. Und so viel schottischen Hochland-Whiskey kann man gar nicht konsumieren, um ihm seine gebetsmühlenartige Selbst-PR noch abzukaufen: "Ich bin stark genug, um noch immer Weltmeister zu werden!" Der WM-Zweite von 2001 ist von seinem 14. Grand Prix-Sieg so weit entfernt wie Paul Stoddart von einer Einladung zur Gartenparty bei Max Mosley.
Trotzdem scheint sich die Formel 1-Welt im Moment mehr um den Lowlander als um die WM-Kandidaten zu drehen. Von der Notlandung im Privatjet bis zum neuen Vertrag bei Red Bull Racing, keiner kommt an ihm vorbei. Als Boxenreporter im Formel 1-Zirkus freue ich mich darüber außerordentlich, denn David Coulthard ist in vielerlei Hinsicht eine echte Bereicherung.
Pensionierung aufgeschoben
Mit der Bekanntgabe der Vertragsverlängerung hat Coulthard die "silly season" offiziell eröffnet. Nicht ohne Stolz lief er in den letzten Wochen der Spekulationen herum. "Vor einem Jahr haben mich schon alle in Rente geschickt, und jetzt habe ich die Wahl zwischen mehreren Cockpits. Für mich ist das der Beginn eines tollen Comebacks!"
Der Vertrag bedeutet ziemlich sicher dreierlei: Red Bull war mit Davids Leistungen und seinem leistungsbezogenen Honorar zufrieden. Zweitens muss David ziemlich rasch klar geworden sein, dass er nicht erster Anwärter auf ein B·A·R-Cockpit ist. Und drittens: Für Christian Klien, Tonio Liuzzi und Scott Speed brechen harte Zeiten an. Die Wunschvorstellung vom jungen Eigenbau-Team made by Red Bull ist zumindest um ein Jahr aufgeschoben. Einige Steine im Transferkarussell kommen damit in den nächsten Tagen ins Rollen.
Da Coulthard nicht zu B·A·R wechselt wird dort nach dem fast sicheren Button-Abgang zu Williams ein heißer Platz frei. Wahrscheinlich sogar der begehrteste für 2006. Es darf über die Namen Barrichello, Heidfeld, Danica Patrick oder Anthony Davidson spekuliert werden. Jacques Villeneuve wird´s wohl eher nicht werden...
Der Gegenpräsident
Ein Telefonat mit Max Mosley hat Coulthard ebenso ins Rampenlicht gebracht. Dass der FIA-Präsident den Piloten droht, ihre Sicherheitskampagnen nicht mehr zu unterstützen, kommt einer Kriegserklärung gleich. Dass David Coulthard dabei am anderen Ende der Leitung war verdeutlicht seine neue Rolle im Kreise der Fahrergemeinschaft. Er spricht aus, was fast alle anderen denken, sich aber nicht zu sagen trauen: "Beim Qualifying mit vollem Tank fühle ich mich wie ein Jogger mit Rucksack. Und die Fans werden durch sinnlose Regeln wie diese oder die zusätzlichen 10 Startplätze bei Motorschäden um eine spannende Saison beraubt."
Michael Schumacher ist spätestens seit dem Indy-Rennen auch innerhalb der Fahrer isoliert. Als GPDA-Direktor hatte er deutlich Mühe sich zu rechtfertigen, warum seine Unterschrift auf dem Statement der Fahrer nach dem Rennen fehlte, das ihre Sicherheitsbedenken noch einmal verdeutlichte.
Offene Wunden
Was alle im Fahrerlager schätzen: David ist ein Mann mit Meinung. Einer, der sich artikulieren kann und auch etwas zu sagen hat. Gegenbeispiele gibt es leider zu viele im Kreis der schnellen Jungmillionäre.
So spricht er auch deutliche Worte über die neun Jahre bei McLaren, in denen er mit 150 Grand Prix für dasselbe Team zum treuesten Fahrer aller Zeiten wurde.
In Jerez 1997 und Melbourne 1998 musste er zwei Rennsiege an Mika Häkkinen abtreten: "Das waren die bittersten Erinnerungen meines Lebens. Ron hat Mika und später Kimi immer mehr unterstützt als mich". Dass er nach Jahren nun erstmals darüber spricht, zeigt für mich deutlich: Diese Wunden sind noch lange nicht verheilt. "McLaren war ein Fehler!", gibt er sich heute geläutert, obwohl er dank seiner Zeit in Woking nun schon auf Rang fünf der ewigen Punkteliste liegt, vor Mansell oder Piquet.
Niki Lauda sieht die Situation ähnlich: "Keiner weiß eigentlich, wie gut er wirklich ist. Er war viel zu loyal. Er hätte viel früher das Team wechseln müssen." Und mit noch etwas hat er zuletzt aufhorchen lassen: "Mika war als Fahrer besser als Kimi!" Eine Einschätzung, die nur er treffen kann, die aber Teile der Fachwelt etwas überrascht hat.
Der Gentleman
Persönlich wünsche ich mir, dass es in der Formel 1 viele Coulthards gibt. Der Mann hat Charakter, Anstand und Manieren. Oder wie es sein neuer Big Boss Didi Mateschitz zum Ausdruck gebracht hat: "Er ist geradlinig, offen, ehrlich, kooperativ!"
Als Fahrer mag es schwierig sein, mit ihm zu arbeiten, wie Patrick Head versichert: "Wenn er heiß ist, dann ist er fast perfekt. Beim nächsten Rennen kann er dafür wieder ziemliches Normalmaß erreichen."
Was ich David Coulthard am höchsten anrechne: Er hat auf seine Kinderstube nie vergessen. Kleine Ausrutscher wie das vieldiskutierte Handzeichen gegen Michael Schumacher in Magny Cours vor ein paar Jahren werden großzügig verziehen, zumal er sich dafür sogar bei allen Jugendlichen öffentlich entschuldigt hat.
Vor einigen Jahren durfte ich im Auftrag des ORF jedem Formel 1-Piloten auf dem A1-Ring ein wertvolles Porzellan-Pferd aus österreichischer Manufaktur überreichen. Ich war vollkommen von den Socken, als wenige Tage später ein Dankschreiben von David in meinem Briefkasten lag, persönlich unterzeichnet. So etwas ist mir vorher und nachher nie wieder passiert.
Und noch eine Kleinigkeit zum Schmunzeln: Bei einer Feier von McLaren ist David vor einigen Jahren stolz im Schottenrock aufgekreuzt – standesgemäß ohne Unterwäsche darunter. Mika Häkkinen hatte einen Riesenspaß daran, David heimlich unter dem Tisch zu fotografieren und das Bild später feierlich im Kreise der Teammitglieder herumzureichen. Als sich alle vor Lachen bogen, bekam David den Streich mit und stellte lediglich ohne großes Aufheben fest: "You know, it was very cold that day..."
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