Wenn die zu früh geschwenkte Zielflagge das größte Thema eines Grand Prix ist, sagt das viel über das Rennen aus. Böse Zungen behaupten, Supermodel Winnie Harlow wollte uns früher von diesem Rennen erlösen. Weil es im Rennen kaum etwas wirklich zu analysieren gibt, ersparen wir uns sinnlos Grafen und Zeitabstände an dieser Stelle. Stattdessen gehen wir auf Ursachenforschung: Warum war es so langweilig?

In Monaco ist die Formel 1 derlei Prozessionen gewöhnt, nicht aber in Kanada. Oder? Schon vor dem Rennen gingen die Meinungen darüber, ob Überholen in Montreal nun schwer oder einfach sei, durchaus auseinander. Auf dem Papier ist der Circuit Gilles Villeneuve prädestiniert für gutes Racing: Lange Geraden, verbunden durch langsame Kurven. Perfekt eigentlich für die moderne Formel 1, zumal es keine einzige schnelle Kurve gibt.

Dritte DRS-Zone bringt gewünschten Effekt, hilft aber auch nicht

Dazu hat die FIA noch ein kleines Überhol-Geschenk gemacht: Eine zusätzliche DRS-Zone sollte dafür sorgen, dass nach Monaco nicht die nächste Prozession ansteht. Dass in der neuen DRS-Zone überholt würde, glaubte niemand. Aber die DRS-Zone zwischen den Kurven sieben und acht sorgte dafür, dass die Piloten an der nächsten Messstelle sicher ins DRS-Fenster für die beiden langen Geraden kamen.

Das funktionierte tatsächlich. Die Piloten hatten kein Problem, in das DRS-Fenster zu kommen. Aber selbst mit DRS passierte herzlich wenig. Trotz langer Geraden. Was war los?

Sebastian Vettel mag die Diskussion nicht

Sebastian Vettel wollte uns diesen Artikel gar nicht erst schreiben lassen. Motorsport-Magazin.com fragte nach seinem Urteil. Mussten die Piloten Reifen, Benzin oder Bremsen managen? "Es gibt keinen Grund, suche erst gar nicht nach einer Antwort, schreibe nichts! Schreibe über etwas anderes", so Vettel.

Natürlich schreiben wir auch über andere Dinge, doch die Problematik muss behandelt werden. "Ich denke, die Antwort auf deine Frage ist das Leben", so Vettel. "So ist das Leben, so ist das Racing. Ich halte es nicht für gerechtfertigt, Racing oder dieses Rennen zu kritisieren. Ich weiß nicht, warum die Leute heute so kurzsichtig sind. Wir hatten sieben Rennen in diesem Jahr, einige davon waren phänomenal, einige langweilig."

Vettel: Formel 1 hat kein Problem, gibt auch fade Fußballspiele

"Nächste Woche beginnt die Fußballweltmeisterschaft und ich verspreche dir, dass viele Spiele nicht aufregend sein werden - und die Leute werden es trotzdem anschauen", redete sich Vettel in Rage. "Aber einige Spiele werden unglaublich sein. Darauf freuen wir uns immer. Aber es kann nicht immer noch besser werden."

Vettel sieht also kein Problem an der aktuellen Formel 1. Das sieht längst nicht jeder so. Deshalb wurden die Regeln für 2019 auch geringfügig geändert. Die Aerodynamik wird weniger komplex, damit die Autos nicht so anfällig für Luftverwirbelungen sind. Doch das war in Kanada ausnahmsweise nicht das Problem. Wie erwähnt wirkt die Streckencharakteristik diesem Problem eigentlich entgegen.

Zwei große Probleme in Kanada: Pirelli & enges Kräfteverhältnis

Allerdings haben die Autos noch ein weiteres Problem: Sie sind seit 2017 breiter. Auf einem engen Straßenkurs macht das durchaus einen Unterschied. So bleibt schlicht rund ein halber Meter weniger Platz, wenn zwei Autos nebeneinander fahren.

Die größten Probleme waren in Kanada aber zwei andere Dinge. Einmal mehr überzeugten Pirellis Reifen im Rennen nicht. Sie bauten wenig ab, verloren also mit zunehmender Laufleistung kaum Performance.

Allerdings fahren die Piloten oftmals dennoch wie auf rohen Eiern. Wer den Reifen nur geringfügig überfordert, ruiniert ihn sich komplett. "Es fährt eben jeder sein Tempo, gerade so schnell wie er muss", erklärt Dr. Helmut Marko das - wie er es gerne nennt - Überholverbot.

Dadurch können die Piloten nicht attackieren. Das wäre aber derzeit besonders nötig. Das Hauptproblem in Kanada war nämlich ein Luxusproblem für die Formel 1: Überholvorgänge gibt es im Motorsport nur, wenn ein schnelleres Auto hinter einem langsameren fährt. Fährt das schnellere Auto vorne, zieht es einfach davon.

In Montreal fuhr vielleicht ein geringfügig schnellerer Red Bull nicht an der Spitze, aber die Performance-Unterschiede waren marginal. Für Überholmanöver ist aber ein größerer Performance-Überschuss nötig. Je näher die Top-Teams also zusammen sind, desto schwieriger wird das Überholen. Hinter den Top-Teams gab es genau das gleiche Problem: Das Mittelfeld liegt so eng zusammen, dass es auch hier kaum mehr nennenswerte Pace-Unterschiede gibt.

Weil die Reifen kaum Abbau zeigen, lässt sich auch über die Strategie nicht viel machen. Würden die Pneus einen linearen Abbau zeigen, wäre man mit 20 Runden alten Reifen deutlich langsamer. Doch die frischen Reifen bringen nur einen bedingten Vorteil, weil man nicht voll pushen kann, ohne zu riskieren, sich die Reifen damit komplett zu ruinieren.

Formel 1 bei Kracher-Rennen 2018 oft im Glück

Es sind viele komplexe Faktoren, die bei so etwas zusammenspielen. Vettel hat natürlich recht: Auch im Fußball gibt es immer wieder schlechte Spiele - nach Meinung des Autors sogar überwiegend.

Trotzdem darf die Formel 1 die Augen vor der Realität nicht verschließen: In den ersten Rennen gab es auch eine gehörige Portion Glück, die den Rennverlauf spannend machte. Sonst würden sich die langweiligeren Rennen inzwischen stark häufen. Deshalb ist es gut, dass sich die Formel 1 für die Änderungen 2019 durchringen konnte, um der Häufung etwas entgegenzuwirken.