Monza-Chaos: Darum fährt die F1 nicht im Regen (04:58 Min.)

Im 15-Minuten-Takt hallten Pfiffe von der Haupttribüne in Monza in Richtung Boxengasse. Nach dem Unfall von Romain Grosjean nach 4:29 Minuten im Qualifying zum Italien GP tat sich sehr lange nichts. Alle 15 Minuten wurde der Re-Start verschoben - und von den Zehntausenden Tifosi mit Unmut zur Kenntnis genommen.

Zehn Mal schallte das Pfeifen der Fans von der Haupttribüne, erst nach 217 Minuten stand der Pole-Setter fest. Nicht nur die Fans kritisierten die Rennleitung für ihre Entscheidungen, auch Fahrer und Teamverantwortliche wollten schneller wieder auf die Strecke. Red Bulls Motorsportberater Dr. Helmut Marko fand gar, dass ein Abflug von Romain Grosjean nicht der richtige Maßstab sei.

Doch warum tut sich die Formel 1 im Regen immer wieder so schwer? Hätte das Italien-Qualifying schneller wieder freigegeben werden müssen? Hat Marko recht mit seiner Kritik an Romain Grosjean? Motorsport-Magazin.com begab sich auf Spurensuche.

Punkt 1: Der Grosjean-Unfall
Der Franzose flog mit seinem Haas am Ende der Start- und Zielgeraden ab. Grosjean schimpfte wie verrückt über die Bedingungen, wollte schon zuvor einen Abbruch. Wenn jemand schon auf der Geraden abfliegt, dann müssen die Bedingungen schlimm sein, so einige Kritiker.

Doch das stimmt nicht ganz: Auf seiner Runde vor dem Abflug fuhr Grosjean mit 297 Stundenkilometer über die Messstelle 212 Meter vor Kurve eins. Er verbremste sich und fuhr geradeaus durch die Schikane. Marcus Ericsson wurde mit 295 geblitzt, auch er erwischte die Kurve nicht. Dahinter klafft eine Lücke: Als Drittschnellster fuhr Hamilton mit 281 Sachen auf T1 zu - und erwischte die Schikane.

Offenbar ging Grosjean mehr Risiko an dieser Stelle als alle anderen Piloten. Ein Experte sagte uns zum Unfall: "Es sah schon so aus, als wäre die Situation zu handeln gewesen." Grosjean selbst sah das anders: "Die Sicht war schrecklich und ich hatte bei mehr als 300 km/h Aquaplaning. Ich habe das Auto auf der Geraden verloren. Man konnte nichts sehen und nicht geradeaus fahren. Ich konnte nichts machen."

Punkt 2: Start/Ziel
Dass Grosjean ausgerechnet auf Start und Ziel abflog, hat einen Grund: Das Autodromo Nazionale di Monza wurde von der Parabolica bis zur ersten Kurve neu asphaltiert. "Der Rest der Strecke war okay, nur auf der Start- und Zielgeraden stand etwas viel Wasser", sagten die Fahrer übereinstimmend. Experten gehen davon aus, dass mit dem Alterungsprozess der neu gelegte Asphalt besser für nasse Bedingungen geeignet ist.

Punkt 3: Monza
Monza ist womöglich die schlimmste Strecke für Regen. Die Teams packen so wenig Abtrieb auf die Autos wie auf keiner anderen Strecke. Das wiederum führt dazu, dass Fahren im Nassen noch heikler wird, weil die Autos weniger Grip haben. Normalerweise gehen die Ingenieure bei nassen Bedingungen Kompromisse ein, doch in Monza ist das etwas anders. Um im Rennen bei Windschattenduellen nicht komplett zum Opfer zu werden, müssen alle möglichst kleine Flügel aufs Auto packen.

Punkt 4: Die Reifen
In den vergangenen Jahren war die Kritik der Piloten an den Fullwets von Pirelli groß. In dieser Saison gab es noch keine wirklich ernsthaften Tests der Pneus mit tiefem Profil. Doch die Aufgabe für Pirelli war schwer: Breitere Reifen bedeuten grundsätzlich auch größere Probleme mit Aquaplaning, weil es schwieriger ist, das Wasser der gesamten Reifengrundfläche zu verdrängen.

Doch nach dem Qualifying in Monza überschlugen sich die Piloten fast mit Komplimenten. "Die Reifen waren heute definitiv nicht das Problem", meinte Fernando Alonso und lobte weiter: "Die letzten Jahre wurden sofort Intermediates aufgezogen, die Fullwets quasi gar nicht gefahren. Im Q2 sind heute einige Teams auf Intermediates gefahren, andere auf Regenreifen. Das ist gut." Auch die anderen Piloten lobten die neuen Regenreifen ausdrücklich.

Punkt 5: Die Unterbrechungen
Die Bedingungen zu Beginn der Session waren nicht besonders gut. "Aber wären wir noch ein paar Runden gefahren, hätten wir eine trockene Linie gehabt", meinte Valtteri Bottas. Durch die lange Unterbrechung und die abwechselnd starken Schauer wurde die Strecke aber nie trocken gefahren. Zwischenzeitlich waren die Bedingungen eigentlich gut genug, um fahren zu können. Weil allerdings zu viel Wasser auf der Strecke stand, blieb die Ampel auf Rot.

Punkt 6: Die Autos
Moderne Formel-1-Autos sind nicht einfach im Regen. Viermal wurde eine Qualifikationssitzung von Samstag auf Sonntag verschoben. 2004 und 2010 in Suzuka, 2013 in Melbourne und 2015 in Austin. Dass das ausgerechnet in der jüngeren Formel-1-Historie geschehen ist mag der ein oder andere auf den Klimawandel zurückführen, im Formel-1-Fahrerlager glaubt man an andere Gründe.

Ein regelrechtes Regensetup gibt es heutzutage kaum mehr. Zum einen wegen der Parc-ferme-Regelungen. Die Teams können nicht alles auf eine Karte setzen. Teilweise wird das von den Regenreifen kompensiert. Ihr Radius ist fünf Millimeter größer als bei den Trockenreifen, die Autos sind also einen Zentimeter höher. Das sorgt dafür, dass der Unterboden nicht so schnell auf dem Wasser aufschwimmt.

Ein Zentimeter ist zwar nicht viel, viel mehr könnten die Teams ihre Autos aber ohnehin nicht aufbocken. Dann würde die komplexe Aerodynamik nicht mehr richtig funktionieren. Ein Großteil des Abtriebs wird vom Unterboden erzeugt. Dabei ist der Abstand zum Asphalt maßgeblich. Deshalb sind moderne Formel-1-Autos im Regen schwieriger zu fahren als ihre historischen Vorgänger. Ganz neu ist das Phänomen aber nicht. Felipe Massa sagte Motorsport-Magazin.com: Seit ich in der Formel 1 bin ist es so. Es wurde nicht schlimmer."

Punkt 7: Die Rolle der FIA
Ob eine Session gestartet wird, hängt einzig und allein von der Rennleitung ab. Der kommerzielle Rechteinhaber hat damit nichts zu tun. Rennleiter Charlie Whiting trägt die Verantwortung, dass unter sicheren Bedingungen gefahren wird. Und damit hat er bei Bedingungen wie jenen in Monza den schwierigsten Job.

Auf der einen Seite beschweren sich Fans, einige Fahrer und Verantwortliche darüber, dass die Bedingungen gut genug wären, um zu fahren, auf der anderen Seite kommt Kritik von Piloten wie Grosjean. Allen kann man es nicht recht machen. Man stelle sich vor, es würde etwas passieren: Der Fan trägt keine Verantwortung dafür, die FIA in Person von Whiting sehr wohl. Wer will da in seiner Haut stecken? Erst recht, nachdem die Bianchi-Familie nach dem tödlichen Unfall ihres Sohnes Jules rechtliche Schritte gegen den Automobilweltverband eingeleitet hat.