Mit dem Großen Preis von Belgien in Spa-Francorchamps geht der Kampf um den WM-Titel 2017 in die Rückrunde. Für WM-Leader Sebastian Vettel, der sich mit Ferrari in Ungarn rechtzeitig zur Sommerpause mit einem Sieg zurückmelden konnte, bedeutet die Ardennenachterbahn allerdings schlechte Karten. Die Scuderia war in Spa seit fast zehn Jahren nicht mehr siegreich und der SF70-H dürfte sich auf dem Hochgeschwindigkeits-Layout auch nicht gerade wie ein Fisch im Wasser fühlen. Gute Nachrichten also für Mercedes.

1. Hat Ferrari das Momentum zurückgewonnen?

Angesichts der sich seit dem Saisonauftakt in Melbourne ununterbrochen in Vettels Händen befindenden WM-Führung ist Ferrari 2017 ohne jeden Zweifel ein ernsthafter WM-Anwärter. Die WM-Führung zur Sommerpause war in der ersten Saisonhälfte allerdings permanent in Gefahr. Nach Vettels Sieg beim sechsten Rennen in Monaco kam ganz lange nichts mehr von den Italienern. Während Mercedes drei Siege einstrich, schmolz Vettels Punktevorsprung auf Hamilton und Bottas sukzessive zusammen.

Ferrari brauchte ganze neun Wochen, um wieder auf die Siegerstraße zurückzukehren. Erst mit dem starken Budapest-Wochenende samt dirigiertem Doppelsieg konnte die Truppe rund um Teamchef Maurizio Arrivabene die Form zeigen, die sie am Ende des Jahres zum Weltmeister machen soll. Richtig glatt lief angesichts Vettels Lenkrad-Probleme allerdings auch in Ungarn nicht alles. Seine derzeit 14 Zähler Vorsprung auf Hamilton hat der viermalige Weltmeister in erster Linie der Kooperationsfreudigkeit seines Stallgefährten zu verdanken.

Nichtsdestotrotz war Ferrari in Ungarn das kleine Quäntchen konkurrenzfähiger als Mercedes und konnte so trotz Problemen zu einem denkbar guten Zeitpunkt zurückschlagen. "Das Team ist ein einer deutlich besseren Form in diesem Jahr und wenn die Ergebnisse passen, baut man ein Momentum auf. Ich bin zuversichtlich, dass wir auch weiterhin um Siege kämpfen können", ist Vettel für die zweite Saisonhälfte optimistisch. Das Momentum wieder in den Händen Ferraris zu wähnen, wäre allerdings sehr optimistisch. Unter dem Strich hat immer noch Mercedes drei der letzten fünf Rennen gewonnen.

Mercedes vs. Ferrari: Nico Rosbergs Einschätzung zum WM-Kampf 2017 (02:06 Min.)

2. Spa-Francorchamps ist Mercedes-Land

Für Mercedes war die Niederlage von Budapest zweifelsohne ein kleiner Rückschlag. Dem Rivalen pünktlich zur Sommerpause die WM-Führung abzunehmen, hätte der Moral in Maranello sicherlich einen schönen Tiefschlag versetzt. Ein Beinbruch war es für die Silberpfeile aber trotzdem nicht. Der Rückstand Hamiltons ist überschaubar und in der Konstrukteurs-WM liegt Mercedes 39 Zähler vor Ferrari. Außerdem hat die zweite Saisonhälfte gezeigt, dass die Performance des F1 W08 weniger streckenspezifisch ist als die des Gegners.

Mit Spa-Francorchamps folgt gleich zum Auftakt der zweiten Saisonhälfte ein Kurs, auf dem Mercedes in den vergangenen Jahren dominierte. Lediglich 2014 stand sich die Mannschaft mit einer teaminternen Kollision zwischen Lewis Hamilton und Nico Rosberg selbst im Weg. In den letzten beiden Jahren ging der Sieg jeweils an Teamchef Toto Wolff und seine Silberpfeile. Auch 2017 sollte Mercedes auf der Ardennen-Achterbahn der Favorit sein. Mit einem Vollgasanteil von 70 % sollten die Power Units aus Brixworth Hamilton und Bottas zumindest im Qualifying einen klaren Vorteil bringen.

Was das Streckenlayout in seiner Gesamtheit angeht, dürfte Mercedes mit seinem Boliden aber auch in anderen Belangen die Nase vorne haben. Auf Downforce-Strecken ist die Aerodynamik des F1 W08 nach wie vor das Maß der Dinge, wie das vorletzte Rennen in Silverstone zeigte. Ferrari hat im Gegensatz dazu auf schnellen Kursen seine liebe Mühe. Statistisch ist die Scuderia mit 16 Siegen zwar der Rekordhalter in Spa, doch der letzte Sieg durch Kimi Räikkönen datiert auf das Jahr 2009 zurück - und selbst da hießen die Sieger um ein Haar Giancarlo Fisichella und Force India.

Kimi Räikkönen holte 2009 Ferraris bis dato letzten Sieg in Spa-Francorchamps, Foto: Sutton
Kimi Räikkönen holte 2009 Ferraris bis dato letzten Sieg in Spa-Francorchamps, Foto: Sutton

3. Teamorder-Bredouille bei Mercedes

Während das Kräfteverhältnis auf technischer Seite für das zwölfte Saisonrennen relativ klar scheint, könnte das Renngeschehen letztendlich durch etwas ganz anderes entschieden werden. In Ungarn machte Ferrari unmissverständlich klar, was die ganze Motorsport-Welt bereits seit Wochen wusste: Kimi Räikkönen muss 2017 den Steigbügelhalter für Sebastian Vettels WM-Ambitionen spielen. Damit befinden sich die Italiener für die ausstehenden neun Rennen in einer ganz anderen strategischen Ausgangslage als Mercedes.

Die Silberpfeile praktizierten in Ungarn mehr oder weniger das Gegenteil und tauschten die Plätze zwischen Bottas und Hamilton zu Ungunsten des in der WM vorne liegenden Briten zurück. "Es wäre naiv zu sagen, dass wir diese Entscheidung sicher nie bereuen. Wenn wir jetzt die WM mit zwei, drei Punkten Rückstand verlieren, werden alle sagen: Budapest ist der Grund", war sich Wolff um die möglichen Konsequenzen seiner Team-Philosophie früh bewusst. Andererseits liegt Bottas in der Gesamtwertung gerade einmal 19 Zähler hinter dem Teamkollegen.

Da beide Mercedes-Piloten noch mitten im WM-Kampf stecken, könnte es am Ende des Jahres genauso gut sein, dass eine Entscheidung gegen den Platztausch Bottas die für den Titel notwendigen Punkte gekostet hätte. All das ändert letztendlich nichts daran, dass Mercedes bis auf Weiteres in der Zwickmühle steckt, während die Ferrari-Taktiker mit der nun offiziellen Nummer zwei im Team mehr oder weniger machen können, was sie möchten. Ein bummelnder Räikkönen könnte die Silberpfeile unter Umständen schon in Spa erwarten.

4. Hamilton und Vettel spüren den Druck

In der ersten Saisonhälfte versuchte WM-Leader Vettel den vermeintlichen Druck im Kampf um den WM-Titel stets herunterzuspielen. "Ich kümmere mich nicht wirklich um die Punkte", hieß es da nach der Pleite von Silverstone. Wenige Wochen vorher brannten ihm in Baku im Kampf um sieben WM-Zähler mehr noch die Sicherungen durch. Im Gegensatz dazu war Hamilton ganz offen, wenn es darum ging, seine Ambitionen auf die Weltmeisterschaft zur Sprache zu bringen.

"Ich will die Weltmeisterschaft gewinnen und jetzt liege ich 20 Punkte zurück. Ich habe keine Kristallkugel, aber im Moment sieht es nicht so toll aus. Und je größer der Abstand wird, desto mehr baut sich Druck auf", gab der dreimalige Weltmeister nach seinen Rückschlägen in Aserbaidschan und Österreich zu Protokoll. Nach dem Sieg in Silverstone rückte er zwar kurzzeitig wieder bis auf einen Punkt an Vettel heran, doch nach der neuerlichen Niederlage in Ungarn war die Leichtigkeit schnell wieder verfolgen.

Als Dritter und letzter Fahrer im WM-Kampf liegt Bottas 33 Punkte hinter Vettel. In den vergangenen fünf Rennen holte er im Vergleich der drei Titelaspiranten mit 94 die meisten Zähler. Hamilton kam in diesem Zeitraum auf 84, Vettel auf 73. Nach einer halben Saison im silbernen Overall fühlt sich der Finne mittlerweile angekommen und ist davon überzeugt, dass sich dies in der zweiten Halbzeit auch auf der Strecke bemerkbar machen wird: "Ich weiß, dass die zweite Hälfte besser wird für mich. Meine besten Leistungen liegen noch vor mir."