Das Erbe hätte kaum größer sein können. Als Valtteri Bottas Anfang des Jahres von Mercedes als Nachfolger des zurückgetretenen Weltmeisters Nico Rosberg verpflichtet wurde, gab es durchaus Fragezeichen. Zwar wusste der Finne in seiner Zeit bei Williams immer wieder durch gute Resultate zu glänzen. Doch wechselten sich Podestplätze mit eher schwächeren Leistungen zu häufig ab. Es schien, als sei seine Karriere etwas festgefahren gewesen.

Mit dem Williams verfügte er zudem über Material, das seinen seit 2014 bestehenden, motorenbedingten Vorteil von Jahr zu Jahr etwas einbüßte. Die Chance bei Mercedes war für ihn also ebenso unverhofft wie ein Glücksfall. Dabei hätte Mercedes vermutlich jeden Fahrer bekommen können, den sie hätten haben wollen. Man konnte das - damals noch mit Abstand - beste Auto im Feld vorweisen, Siegchancen waren garantiert, ein Titelkampf zumindest absolut möglich. Doch eine große Lösung a la Fernando Alonso wurde nicht verfolgt.

Bottas als Ruhepol

Der Grund: Das Team hatte unter der intensiven Rivalität zwischen Rosberg und Lewis Hamilton nach und nach gelitten. "Einerseits war Nico ein Leistungsträger, der sich und seinen Teamkollegen zu Höchstleistungen gepusht hat, zum anderen ist die Rivalität zwischen Lewis und Nico so intensiv geworden, dass sie für das Team negativ war", erklärte Motorsportchef Toto Wolff im März gegenüber der 'Stuttgarter Zeitung'.

Kurzum: Mit Bottas wollte man einen ruhigen, gar friedlichen Charakter neben Superstar Hamilton wissen. "Er ist extrem ruhig, unpolitisch, nicht manipulativ - ihn mit Lewis zusammenzubringen ist also die richtige Kombination", erklärte Wolff. Und schnell noch dazu. Doch der Status als Nummer zwei hing Bottas von vornherein an. Zudem erhielt er nur einen Ein-Jahres-Vertrag, was bedeutete: Will er auch über 2017 hinaus Mercedes-Fahrer sein, sollte er dem Team keinen Grund geben, an seiner Loyalität - auch gegenüber Hamilton? - zu zweifeln.

Und es schien, als ob sich die Zweifler schnell Recht behalten. In den ersten drei Saisonrennen kam er zwar zweimal auf das Podium. Doch sein Fahrfehler in China, als er hinter dem Safety Car das Auto verlor, sowie seine in Bahrain deutlich schlechtere Pace im Vergleich zu Hamilton wirkten nach.

Bahrain war Bottas' Tief- und auch Wendepunkt, Foto: Mercedes-Benz
Bahrain war Bottas' Tief- und auch Wendepunkt, Foto: Mercedes-Benz

Im Wüstenstaat gab es sogar erstmals die Anweisung an ihn, seinen Teamkollegen vorbeizulassen, da dieser bessere Chancen auf den Sieg hatte. Und obwohl Hamilton dieser nicht gelang, wurden die Plätze - anders als einige Monate später in Ungarn - nicht zurückgetauscht. Zu eklatant war der Pace-Unterschied, auch bedingt durch technische Probleme vor dem Rennstart und dadurch zu hohen Reifendruck. Doch dieses Rennen sollte Bottas' Wendepunkt werden.

Denn schon beim nächsten Rennen in Russland war ein ganz anderer Bottas zu sehen. Das gesamte Wochenende über war er schneller als Hamilton, im Rennen fuhr er gar seinen allerersten Sieg in der Königsklasse ein. In Barcelona schied er unverschuldet auf Platz drei liegend mit Motorschaden aus, in Monaco rettete er mit Platz vier die Mercedes-Ehre. In den fünf darauffolgenden Rennen bis zur Sommerpause stand Bottas dann immer auf dem Podest. In diesem Zeitraum holte er sogar zehn Punkte mehr als Lewis Hamilton, 94:84 lautet die Bilanz. Sebastian Vettel sammelte gar nur 73 Punkte. "The trend is your friend", heißt es ja so treffend.

Verteilung der WM-Punkte

Erzielte Punkte
Rennen 1 - 6
Erzielte Punkte
Rennen 7 - 11
Gesamtpunktzahl
Sebastian Vettel12973202
Lewis Hamilton10484188
Valtteri Bottas7594169

Auch im Team scheint sein Ansehen gestiegen zu sein. Zuletzt in Ungarn ließ man Bottas wieder an Hamilton vorbeiziehen, obwohl das Manöver enorm riskant und nicht unumstritten war. "Ich bin jetzt seit zehn Rennen beim Team. Definitiv ist man da mehr ein Teil des Teams, als nach ein paar Rennen", sagte Bottas selbst nach dem Ungarn GP. Und weiter: "Ich fühle mich sehr als Teil des Teams. Die Beziehung mit Lewis ist sehr gut. Heute war das perfekte Beispiel, was man machen kann, wenn Vertrauen und Respekt da sind."

Neuer Vertrag fast sicher

Dieses Vertrauen und der Respekt werden sich aller Voraussicht nach in einem neuen Vertrag widerspiegeln. Offiziell ist noch nichts unterschrieben, doch Bottas ließ bereits verlauten, dass Gespräche zeitnah folgen werden. "Es könnte Fortschritte geben während der Pause. Die letzten Wochen waren ziemlich hektisch, wir hatten viele Rennen. Da ist es schwer, ordentliche Gespräche zu führen. Die Zeit wird kommen. Aber es hat keine Eile, wir müssen vor Spa nichts erledigt haben", gab er Auskunft über den Stand der Dinge.

Bottas (r.) steht vor neuem Vertrag, Foto: Sutton
Bottas (r.) steht vor neuem Vertrag, Foto: Sutton

Geht es nach Bottas, wird er seinen Marktwert in den kommenden Rennen aber eher nach oben treiben. In der WM-Wertung liegt er nur 19 Punkte hinter Hamilton, auf Spitzenreiter Vettel fehlen 33 Zähler. Ein gutes Zwischenergebnis, das den Mercedes-Piloten jedoch nicht ganz zufriedenstellt. "Ich hatte gehofft, etwas besser in der WM positioniert zu sein. Auch als Team. Bei den Konstrukteuren sehen wir gut aus, aber wir hatten ein paar schwere Rennen", blickt er zurück.

Diese sollen aber der Vergangenheit angehören, Bottas will in der zweiten Saisonhälfte noch mehr Glanzlichter setzen. "Ich weiß, dass die zweite Hälfte besser wird für mich. Meine besten Leistungen liegen noch vor mir. Das Gefühl habe ich", stellt er klar. Eine Aussage, die durchaus als Kampfansage an das Top-Duo zu verstehen ist. Und vielleicht ist Bottas nicht nur das Dienstfahrzeug betreffend bald der Erbe von Nico Rosberg.