Der Große Preis von Kanada zählt für die große Mehrheit der Formel 1-Piloten zu ihren absoluten Lieblingsrennen. Bei der Abstimmung der Boliden müssen Fahrer und Ingenieure eine Vielzahl von Besonderheiten berücksichtigen: Denn die Strecke stellt sehr hohe Anforderungen an das Bremsverhalten, die Traktion, die Aerodynamik und die Motorleistung.

Vier lange Geraden – auf denen die Formel 1-Monoposti Geschwindigkeiten von bis zu 340 km/h erreichen – stehen zwei Spitzkehren sowie drei engere Schikanen gegenüber. Mehrmals pro Runde bremsen die Piloten aus hohem Tempo stark ab, um kurz danach wieder voll aus den engen Kurven zu beschleunigen. Ebenfalls ein Grund zum Bremsen könnten zudem die am Streckenrand lebenden Murmeltiere sein.

Bitte nicht füttern. Oder etwa doch?, Foto: Sutton
Bitte nicht füttern. Oder etwa doch?, Foto: Sutton

Kanada: Vorsicht – Murmeltiere kreuzen die Strecke!

Die Formel 1 zeigt sich reif für die Insel: Gefragt nach ihren Lieblings-Veranstaltungen im Kalender, nennen die Protagonisten der Königsklasse des Motorsports immer wieder den Großen Preis von Kanada. Neben der anspruchsvollen Streckenführung des Circuit Gilles Villeneuve auf der mitten im St. Lorenz-Strom gelegenen "île de Notre Dame" schätzen die Fahrer und Teammitglieder vor allem die faszinierende Atmosphäre der frankophilen Metropole Montreal sowie die freundliche Art und die Lebensfreude ihrer rund 3,4 Millionen Einwohner.

Dabei wird das Rennen im Land der Ahornblätter gerne mit dem Saisonauftakt in Melbourne verglichen. Doch nicht nur in puncto Atmosphäre ähneln sich der Kurs auf dem fünften Kontinent und der Lauf in Kanada: Sowohl beim Albert Park Circuit in Melbourne wie auch beim Circuit Gilles Villeneuve in Montreal handelt es sich um Straßenkurse, die nur einmal im Jahr als Rennstrecke dienen und ansonsten für den öffentlichen Verkehr geöffnet sind. Auch in ihrer Charakteristik weisen beide durch die Kombination langer Geraden mit vielen langsamen bis mittelschnellen Passagen große Ähnlichkeiten auf. "Die Strecke wird dominiert von langen Geraden zwischen vielen langsamen Kurven und Schikanen", erklärt Sam Michael, Technischer Direktor des BMW Williams-Teams. "Kein Kurs ist deshalb härter in Bezug auf den Verschleiß und die Temperaturen der Bremsen."

Hier beginnt der Härtest für Mensch und Material., Foto: Sutton
Hier beginnt der Härtest für Mensch und Material., Foto: Sutton

Darüber hinaus kommt es vor allem auf Traktion, Aerodynamik und Motorleistung an - immerhin bremsen die Fahrer pro Runde mehrmals aus Geschwindigkeiten von bis zu 340 km/h stark ab, um kurz danach wieder voll aus den engen Ecken herauszubeschleunigen.

Die Fans dürfen sich beim Großen Preis von Kanada übrigens auf zahlreiche spannende Zweikämpfe freuen: Durch die großen Bremszonen vor den engen Biegungen und Schikanen ergeben sich für die Piloten gute Überholmöglichkeiten. "Die Strecke in Montreal zählt zu den Kursen, wo wir in der Vergangenheit immer wieder spektakuläre Manöver gesehen haben", bestätigt Dieter Gass, Leitender Renningenieur des Toyota-Teams. "Vor allem im Bereich der Haarnadelkurve bieten sich den Fahrern immer wieder sehr gute Gelegenheiten, ihre Gegner zu passieren."

Die F1Welt - Reif für die Insel

Der 4,361 Kilometer lange 'Circuit Gilles Villeneuve' gilt in der Formel 1 aufgrund seiner langen Geraden und immer wieder eingestreuten Schikanen sowie zweier 180°-Spitzkehren als Härtetest für Getriebe und Bremsen und stellt somit eine Art Stop-and-go-Kurs für die Piloten dar. Die unterschiedlichen Voraussetzungen für die Geraden und die Haarnadelkurven erfordern von den Teams starke aerodynamische Kompromisse, um in beiden Streckenteilen konkurrenzfähig sein zu können. Neben Imola und Bahrain gilt der Kurs als größter Belastungstest für die Bremsen.

Die Spitzkehre ist einer der neuralgischen Punkte., Foto: Sutton
Die Spitzkehre ist einer der neuralgischen Punkte., Foto: Sutton

Eine der Schlüsselstellen des Kurses stellt die Schikane kurz vor Start und Ziel dar, für welche die Boliden innerhalb von nur knapp zwei Sekunden von weit über 300 km/h auf 100 km/h herunter gebremst werden müssen, um danach sofort wieder entlang der Start-/Zielgeraden voll zu beschleunigen. Sowohl die Bremsen- als auch die Motorleistung sind hierbei sehr gefragt und werden entsprechend stark beansprucht. Zudem müssen die Piloten das richtige Timing beim Herausbeschleunigen an den Tag legen, um nicht zu viel an Boden zu verlieren.

Aber auch das Timing für die Boxenstopps ist in Montreal entscheidend, da durch das häufige Bremsen und Beschleunigen ein hoher Benzinverbrauch zu verzeichnen ist. Weiterhin tragen auch die - unberechenbaren - Klimaverhältnisse sowie die stark verschmutzte und unebene Streckenoberfläche, auf welcher der Wagen leicht ausbricht, dazu bei, dass der Circuit Gilles Villeneuve 70 Runden lang zu einem Härtetest für Mensch und Maschine wird...

Die Streckengeschichte

Bevor der Kurs im Jahre 1978 sein Debüt in der Königsklasse des Motorsports gab, wechselten sich die Strecken in Mosport (nordöstlich von Toronto), wo am 27. August 1967 die Premiere des kanadischen Grand Prix stattfand, und Mont Tremblant als Austragungsorte des kanadischen Grand Prix ab. Seit besagtem Jahr findet der Große Preis von Kanada nun auf dem 1982 nach dem im gleichen Jahr tödlich verunglückten Vater des Ex-Weltmeisters Jacques Villeneuve benannten Kurs statt, der mitten auf der 'Ile de Notre Dame' im Sankt Lorenz Strom liegt. Besagter Gilles Villeneuve gewann im Jahre 1978 mit Ferrari auch das erste Rennen auf dieser Strecke und holte damit seinen ersten Grand-Prix-Sieg.

Gilles Villeneuve verleiht dem Kurs seinen Namen., Foto: Sutton
Gilles Villeneuve verleiht dem Kurs seinen Namen., Foto: Sutton

Das Tyrrell-Team fuhr in Kanada hingegen 1970 seinen ersten Grand Prix, und begann seine Geschichte mit einem Start aus der Pole Position (Jackie Stewart). Während im Jahre 1973 mit Ronnie Peterson, Niki Lauda, Emerson Fittipaldi, Jackie Stewart, Jean-Pierre Beltoise, Jackie Oliver, Peter Revson sechs verschiedene Spitzenreiter den GP anführten, fielen 1976 nur vier von 24 Startern aus. Bei Gilles Villeneuves erstem GP-Sieg 1978 betrug die Temperatur sogar nur knapp über 0 Grad. 1995 konnte der Franzose Jean Alesi genau an seinem 33. Geburtstag seinen ersten und einzigen Formel 1 Sieg in Montreal ergattern. In der Saison 2003 fuhren die ersten Vier des Rennens innerhalb von nur vier Sekunden über die Ziellinie.

Was die Experten über den Circuit Gilles Villeneuve sagen

Der Fahrer - Ralf Schumacher: "Dieser GP ist ein Highlight. Die Atmosphäre in Montreal ist sehr angenehm, das ehemalige Olympia- und Weltausstellungsgelände auf der Insel im Sankt-Lorenz-Strom hat einen ganz besonderen Charme. Die Strecke hat für einen nicht permanenten Kurs ein sehr gutes Layout und gute Sicherheitsvorkehrungen. Die Abstimmungsarbeit ist allerdings alles andere als einfach. Man braucht ein sehr fein ausbalanciertes Auto mit hoher aerodynamischer Effizienz, Traktion, sehr guten Bremsen und viel Power."

Auch die Fans lieben den Kanada GP., Foto: Sutton
Auch die Fans lieben den Kanada GP., Foto: Sutton

Der Techniker - Sam Michael: "Geringes bis mittleres Abtriebsniveau ist in Montréal gefragt, ebenso gute Traktion bei relativ geringen Kurvengeschwindig-keiten. Der Kurs stellt größte Anforderungen an Bremsverhalten und –effizienz, Aerodynamik und Motorleistung. Es gibt einige Überholmöglichkeiten, wir sollten einen spannenden GP sehen."

Der Motorenmann - Mario Theissen: "Auf den langen Geraden des Circuit Gilles Villeneuve sind Standfestigkeit und Leistung des BMW P84/5 Motors extrem gefordert. Die ganze Stadt wird vom Grand-Prix-Fieber erfasst. In Montréal gibt es besonders viele BMW Fans und Events."