Sie pumpen und schwitzen, trainieren wie die Wilden: Die Formel-1-Fahrer vor der anstehenden Saison 2017. Schon lange war die Vorbereitung auf das neue Jahr nicht mehr so wichtig wie diesmal. Musste sich die F1 früher den Vorwurf gefallen lassen, dass selbst ein 18-Jähriger problemlos ein Rennauto bewegen kann, könnte jetzt alles anders sein. Die neuen Boliden mit ihrer gesteigerten Downforce sollen den Fahrern körperlich wieder alles abverlangen. Zeiten, in denen die Piloten mit einem Grinsen statt völlig verschwitztem Overall aus dem Auto steigen - vorbei!

Mehrere Sekunden schneller sollen die neuen Autos sein im Vergleich zum Vorjahr - die Zeit holen die Fahrer allein in den Kurven raus. Eine Welt, und gleichzeitig eine neue Herausforderung für die Fahrer aus physischer Sicht. "Wenn diese Zeiten wirklich stimmen, wird es enorm sein", sagte der bekannte Fitness-Coach Erwin Göllner im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. "Dann werden sich einige Fahrer umschauen."

Härteprobe Barcelona

Vor allem die ersten Testfahrten in Barcelona könnten zur echten Härteprobe werden. Zwar haben die Piloten über den Winter fleißig trainiert - doch den enormen Kräften eines F1-Boliden waren sie seit November nicht mehr ausgesetzt. "Am schlimmsten wird es jetzt beim Testen", erklärte Göllner. "Die Fahrer waren im Fitnessstudio, sind aber nicht im Auto gesessen. Wenn es jetzt wirklich so viel schneller wird, dann wird es brutal für sie. Weil sie diese Belastungen während des Winters nicht gewohnt waren."

Göllner weiß, wovon er spricht. Mehr als 20 Jahre lang begleitete er die Formel 1, arbeitete als Fitness-Coach unter anderem für Williams. Damon Hill und Jacques Villeneuve begleitete er eng auf ihrem Weg zum Titelgewinn. 'Weltmeister-Macher' wurde Göllner genannt. In seiner Heimat nahe Salzburg gingen und gehen die Stars der Szene aus und ein, um fit zu werden.

In Göllners Studio wartet auch der fast schon legendären Fliehkraft-Simulator, den der Österreicher in jahrelanger Entwicklungsarbeit aufgebaut hat. Die Maschine ist in der Lage, die exakten Fliehkräfte und klimatischen Bedingungen einer jeden Rennstrecke weltweit realitätsgetreu zu simulieren. Eine Konstruktion, gefüttert mit sensiblen Telemetriedaten direkt von Formel-1-Ingenieuren, die in dieser Form einmalig ist.

Erwin Göllner mit dem jungen Nico Rosberg 2006, Foto: Sutton
Erwin Göllner mit dem jungen Nico Rosberg 2006, Foto: Sutton

Ausgelaugt und fertig

Göllner konnte sich durchaus vorstellen, dass die Fahrer jetzt wieder genauso gefordert werden wie zu Zeiten, als das Reifen- und Benzinsparen weit weniger ausgeprägt war - und den Piloten alles abverlangt wurde. "Senna, Mansell", sagte er. "Was waren das für Anblicke, als die aus den Autos ausgestiegen sind und den Pokal kaum hochhalten konnten, weil sie so fertig waren. Die waren ausgelaugt, die Typen waren fertig, die haben alles gegeben. Und - das sage ich jetzt als Fan der Formel 1 - genau solche Bilder will ich doch heute wieder sehen. Wenn in den letzten Jahren ein Fahrer aus dem Auto gestiegen ist, hat man doch kaum gesehen, ob der jetzt gefahren war oder nicht."

Alte Hasen wie Fernando Alonso wissen genau, warum sie in diesem Winter alles der eigenen Fitness unterordnen. Der McLaren-Star soll sechs Stunden täglich trainieren. Laut seinem Trainer sehe sein Fitnessplan jetzt wieder genauso aus wie aus Zeiten, in denen Alonso seine Formel-1-Karriere begann. Sein Nackenumfang soll 45 Zentimeter messen, vergleichbar mit dem eines Mittelgewichtsboxers.

In Göllners Fliehkraft-Simulator trainierten Stars wie Jacques Villeneuve, Foto: Benjamin Mazatis
In Göllners Fliehkraft-Simulator trainierten Stars wie Jacques Villeneuve, Foto: Benjamin Mazatis

Probleme für die Jungen?

Die älteren Piloten dürften sich also an frühere Zeiten erinnert fühlen, wenn sie in Barcelona ihre ersten Runden mit den neuen Autos drehen. Wie kommt wohl die jüngere Generation a la Wehrlein, Vandoorne und Stroll zurecht? "Alonso, Massa, Kimi und Co. kennen es ja", sagte Göllner. "Die sind alle zu einer Zeit gefahren, in der die Fliehkräfte noch so hoch waren. Die Jüngeren könnten schon eher Probleme bekommen. Zuerst müssen sie sich an diese Autos gewöhnen und dann an die hoffentlich brachiale Gewalt beim Bremsen und in den Kurven. Es könnte sein, dass es da ein wenig länger dauert."

Der 22-jährige Carlos Sainz sprach vom wohl härtesten Winter seiner bisherigen Karriere. Seine Crossfit-Einheiten erhöhte der Toro-Rosso-Pilot von 50 auf bis zu 120 Minuten, dazu trainiert er seit einiger Zeit seine Nacken- und Schultermuskultur mit einem speziellen Gokart-Training. Während seiner Fahrt trägt Sainz einen mit Zusatzgewichten beklebten Helm. "Diese Gewichte machen meinen Helm 1,5 bis 2 Kilo schwerer", sagte er. "Dadurch entstehen ähnliche G-Kräfte wie in meinem F1-Auto."

Es ist jedoch nicht nur der viel zitierte Nacken, der dieses Jahr wieder stärker beansprucht wird. Auch die inneren Organe müssen sich an die vergleichsweise höheren Fliehkräfte gewöhnen. Herz, Lunge und Co. werden im F1-Boliden extrem gefordert. "Man glaubt immer, dass es nur der Nacken ist", so Göllner. "Es kommt aber auch eine große körperliche Ermüdung dazu, weil sich die Organe erst wieder an die Fliehkräfte gewöhnen müssen. Sie verformen sich, weil sie zum Großteil aus Wasser bestehen. Die Organe entwickeln aber genau wie die Knochen eine Struktur, wenn man diesen Belastungen permanent ausgesetzt ist."

Carlos Sainz im knallharten F1-Training (01:30 Min.)

Nagelprobe Kurve 3

In Barcelona erwartet die Fahrer gleich die erste echte Nagelprobe des Jahres. In Turn 3, der langgezogenen Rechtskurve, wirken rund 4G - also das Vierfache des Körpergewichts - auf den Körper ein. Nicht auszuschließen, dass der eine oder andere Fahrer nach den ersten Testtagen heimlich über Nackenschmerzen klagen wird. "Es zählt, wie hoch und wie lange die Fliehkräfte im Auto sind", erklärte Göllner. "Es macht einen riesigen Unterschied, ob ich solche Kräfte für 0,8 oder 1,2 Sekunden halten muss. Das ist eine Welt!"

In Barcelona können sich die Fahrer zumindest auf der langen Gerade ausruhen. Bei anderen Rennstrecken wird das nicht der Fall sein - hier wirken sich die höheren Geschwindigkeiten der 2017er-Boliden noch deutlicher aus. Als Beispiel führte Göllner den Hungaroring an. "Budapest ist aus dieser Sicht einer der anstrengendsten Kurse", sagte er. "Da hast du zwar nie extrem hohe Fliehkräfte, aber du hast sie dauernd. Und du kannst dich nie ausruhen, weil die Start/Ziel-Gerade dafür zu kurz ist."

In Barcelona wird die komplette Formel-1-Welt ganz genau auf die Stoppuhren schauen: Wie viel schneller sind die neuen Rennautos wirklich in den Kurven? Allein ein Blick auf den Schweißgehalt der Rennoveralls und gequälte Blicke der Fahrer dürfte schon ein guter Indikator sein.