Das Wort des Abu Dhabi Wochenendes ist 'Routine'. Nico Rosberg hilft sie dabei, den WM-Kampf völlig auszublenden, auch das letzte Rennwochenende der Saison eben genauso anzugehen, wie die 20 zuvor. Lewis Hamilton hingegen ist ebenjene Routine völlig egal. Vielleicht hat er den Zeitplan der letzten Medienrunde vor dem großen Showdown deshalb auch absichtlich durcheinandergebracht.

Eigentlich darf bei Mercedes immer der Fahrer als Ester zu den Medien sprechen, der sich besser qualifiziert hat - in den meisten Fällen also auf Pole steht. Hamilton startet den Abu Dhabi GP von Platz eins, Rosberg von Platz zwei. Diesmal allerdings musste Rosberg zuerst ran, Hamilton befand ich noch im Briefing mit den Ingenieuren.

Sollte es tatsächlich ein Nadelstich gewesen sein, zeigte der nicht besonders viel Wirkung. Rosberg wich wie schon die letzten Rennen jeder Frage nach der Titelentscheidung aus. Routine. Für ihn zählt angeblich erneut nur der Rennsieg. "Ich will ihm einen harten Wettkampf bieten, ich bin mir sicher, dass es ein gutes Battle wird", verspricht Rosberg. Dabei muss der WM-Führende genau das gar nicht.

Hält Hamilton absichtlich alle auf?

Rosberg reicht bei einem Sieg von Hamilton ein dritter Rang, um die Emirate als Weltmeister zu verlassen. In anderen Worten: Hamilton kann nicht aus eigener Kraft Weltmeister werden. Aber kann er dem Glück etwas auf die Sprünge helfen, kann er das gesamte Feld etwas einbremsen, damit Rosberg mehr Druck von der Konkurrenz bekommt?

Rosberg vs. Hamilton: Kein Handshake vor dem Finale, Foto: Sutton
Rosberg vs. Hamilton: Kein Handshake vor dem Finale, Foto: Sutton

Es ist zumindest denkbar. 2015 gab es eine ähnliche, etwas weniger prekäre Situation. Hamilton führte den China GP an, direkt dahinter Rosberg. Das Problem: Hamilton fuhr so langsam, dass Vettel direkt im Heck von Rosberg hing. Somit hätte Vettel mit einem früheren Boxenstopp an Rosberg vorbeigehen können - weil Rosberg erst zwei Runden später reagieren hätte können, weil bei Mercedes der besserplatzierte Fahrer zuerst zum Stopp kommen darf.

Erlaubt Mercedes Hamilton eine solche Fahrweise? "Wir wollen im letzten Rennen der Saison nicht eingreifen", verspricht Motorsportchef Toto Wolff. "Alles ist möglich, solange es den Sportsgeist nicht verletzt, solange ist es für uns in Ordnung. Beide Fahrer sind großartige Sportsmänner!"

Ein klares Verbot gibt es seitens Mercedes also nicht. Hamilton am Donnerstag: "Was die Taktik im Rennen angeht, muss das am Sonntag kommen. Ich muss wirklich darüber nachdenken. Ich habe nie wirklich darüber nachgedacht, das zu machen... Wenn ich vorne bin, will ich generell so weit wie möglich vorne sein. Wenn du 18 oder 30 Sekunden Vorsprung hast, ist das ein schmerzvoller Schlag, dem du deinem Gegner mitgeben kannst."

Hamilton: Aufhalte-Taktik macht Sinn

Hamilton will Rosberg also eher psychisch einen Schlag verpassen als auf der Strecke taktieren. "Beim letzten Rennen wäre ich ohne rote Flaggen 30 Sekunden weg gewesen - diese Szenarien sind für mich wertvoller. Das ist eine größere Leistung, als deinen Teamkollegen aufzuhalten. Außerdem - auch wenn es hier in der Theorie viel Sinn machen würde - ist es praktisch schwer umzusetzen. Es gibt hier zwei lange DRS-Zonen - das wäre nicht einfach zu machen und es wäre auch nicht weise."

Interessante Randnotiz: MotoGP-Pilot Jorge Lorenzo ist an diesem Wochenende als Gast eines Mercedes-Sponsors in Abu Dhabi. Lorenzo versuchte 2013 im Saisonfinale in Jerez de la Frontera, die Konkurrenz an Marc Marquez vorbeizubringen, indem er das gesamte Feld aufhielt. Geklappt hat seine Taktik nicht, Marquez wurde Weltmeister.

Red-Bull-Strategie bereitet Mercedes Kopfzerbrechen

Doch die Konkurrenz kann auch aus eigener Kraft gefährlich werden. "Die Offset-Strategie von Red Bull bereitet uns Kopfschmerzen und die Performance von Ferrari auch", gesteht Wolff. Beide Red-Bull-Piloten gehen mit Supersoft-Reifen ins Rennen, während Rosberg und Hamilton auf Ultrasoft starten.

Lewis Hamilton steht in Abuz Dhabi auf Pole - Nico Rosberg in der WM-Wertung, Foto: Sutton
Lewis Hamilton steht in Abuz Dhabi auf Pole - Nico Rosberg in der WM-Wertung, Foto: Sutton

Rosberg hingegen sieht in der Bullen-Strategie keine Gefahr: "Überhaupt keine! Unsere Strategie ist die Beste!" Doch tatsächlich könnte die Strategie von Red Bull aufgehen. Wenn Red Bull die Stintlängen zu Beginn des Rennens zieht, könnte der letzte Stint vielleicht auf Ultrasoft gehen. Ein Safety-Car und Mercedes muss zittern.

"Unsere Strategie ist laut unserer Analyse eigentlich schneller", meint auch Toto Wolff, der eigentlich nur einen Red Bull auf der Offset-Strategie erwartet hatte. "Aber Red Bull hat wohl keine Chance gesehen, aus eigener Kraft etwas zu machen, deshalb versuchen sie wohl etwas anderes." So wie bei den vergangenen Rennen auch - Red Bull hat nichts mehr zu verlieren, es zählen nur mehr Einzelerfolge.

Sollte Mercedes tatsächlich Druck von hinten bekommen, wird die Strategie spannend - und dann spielt es auch eine Rolle, ob Hamilton weit vorne ist oder direkt vor Rosberg fährt. Denn auch im letzten Rennen der Saison gilt: Der Führende hat bei der Strategie Vorrang. "Es bleibt so, auch wenn es die Titelentscheidung ist", stellt Wolff klar. "Man geht damit immer das Risiko, den zweiten Platz zu verlieren."

Rosberg-Schreck Max Verstappen steht diesmal immerhin etwas weiter hinten. Der Niederländer startet nach einem Verbremser nur von Platz sechs. Eigentlich ein willkommenes Geschenk für Rosberg, so könnte man meinen. "Ich schaue nicht nach hinten", meint Rosberg. "Es ist nur schade, dass ich hinter Lewis bin."

Mercedes führt keine zusätzlichen Sicherheits-Checks ein

Hamiltons zweite große Hoffnung zu WM-Titel Nummer vier ist die Zuverlässigkeit - von der er sich in diesem Jahr so sehr im Stich gelassen fühlte. Spezielle Maßnahmen, um die Zuverlässigkeit der Boliden noch einen weiteren Schritt abzusichern, wurden von Mercedes für das WM-Finale nicht getroffen.

Die Technik ließ Hamilton in dieser Saison etwas öfter im Stich als Rosberg, Foto: Sutton
Die Technik ließ Hamilton in dieser Saison etwas öfter im Stich als Rosberg, Foto: Sutton

"Wir haben die Prozesse zur Sicherstellung der Zuverlässigkeit seit einiger Zeit verbessert und verbessern sie weiter", verspricht Wolff. "Aber wenn wir jetzt vor dem letzten Rennen eine größere Änderungen vorgenommen hätten und neue Prozesse eingeführt hätten, dann hätten wir vielleicht irgendetwas nicht bedacht." Dann hätte der Schuss auch schnell nach hinten losgehen können.

Interessant könnte auch der Start werden: Immerhin ein Ferrari steht in Reihe zwei - die Renner aus Maranello starten in dieser Saison erneut gut. Hamilton aber macht sich keine Sorgen. Sein letzter Start-Patzer liegt immerhin vier Rennen zurück. In Austin, Mexiko und Brasilien ging er von Pole aus jeweils als Erster in die erste Kurve.

Hamilton übt Starts nur von Pole Position

Weil die Boxenausfahrt in Abu Dhabi für Startübungen nicht optimal ist, wurden die Probestarts nach den Trainingssessions auf der Start- und Zielgeraden durchgeführt. Hamilton probte jedes Mal von Startplatz eins. "Es gab einfach keine andere Wahl", sagt Hamilton selbstbewusst.

Einen möglichen WM-Titel feiert Rosberg übrigens ohne Vater Keke, dem Formel-1-Weltmeister von 1982. "Der schaut sich das Rennen lieber zu Hause mit drei Monitoren an", erklärt Rosberg Junior. Dafür ist aber Ehefrau Vivian an der Strecke. "Das war aber schon länger geplant." Team Hamilton feiert möglicherweise mit Hamiltons Mutter, die nur selten an der Strecke zu sehen ist. "Sie ist mein bester Freund", erzählt der Herausforderer.

Die Szenarien für die WM-Entscheidung

Nico Rosberg wird in Abu Dhabi Weltmeister, wenn er...

  • ... mindestens Dritter wird.
  • ... Vierter, Fünfter oder Sechster und Hamilton maximal Zweiter wird.
  • ... Siebter oder Achter und Hamilton maximal Dritter wird.
  • ... als Neunter oder schlechter abschneidet und Hamilton maximal Vierter wird.
  • ... und Hamilton beide ausfallen oder außerhalb der Punkteränge ins Ziel kommen.

Lewis Hamilton wird in Abu Dhabi Weltmeister, wenn er...

  • ... gewinnt und Rosberg maximal Vierter wird.
  • ... Zweiter und Rosberg maximal Siebter wird.
  • ... Dritter und Rosberg maximal Neunter wird.