Nico Rosberg ist clever. Geradezu weltmeisterlich schlau. Der Mercedes-Pilot hamstert sich kontinuierlich in Richtung Titelsieg. In Brasilien fuhr er zum dritten Mal in Folge zu Platz zwei, während Teamkollege Lewis Hamilton von Sieg zu Sieg eilt. Seit Suzuka weiß Rosberg: Zweite Plätze reichen locker, um das große Ziel zu erreichen. Genau das setzt er um. So auch beim Regen-Chaos von Interlagos, als Platz zwei durch den heranstürmenden Max Verstappen arg gefährdet war. Am Ende landete Rosberg vor dem jungen Niederländer. Es war ein gefühlter Sieg.

Jetzt reist Rosberg mit zwölf Punkten Vorsprung auf Hamilton nach Abu Dhabi. Wäre der WM-Spitzenreiter Dritter geworden in Brasilien, hätte er im Falle eines Hamilton-Sieges beim Saisonfinale Zweiter werden müssen. Ein riesiger Unterschied angesichts der zuletzt starken Red Bulls, die auch in Abu Dhabi ums Podium mitkämpfen können. Rosbergs Ziel in Brasilien während des Rennens war nicht Hamilton, sondern Verstappen. Dabei hatte er Glück, dass Red Bull bei der Boxenstopp-Strategie patzte.

Hamilton mahnt Red Bull

Rosbergs Glücksmoment dank Red Bulls Fehler. Das sorgte für Unverständnis selbst bei Hamilton - und verdeutlicht, wie wichtig der zweite Platz für Rosberg tatsächlich war. "Unglaublich, wann hört das auf?", sagte Hamilton bei Sky UK nach dem Rennen. "Red Bull ist so ein dicker Fehler unterlaufen. Als mir das Team sagte, dass andere Fahrer auf Inters wechseln, dachte ich, 'Die sind verrückt. Das kann nie halten, die müssen noch mal an die Box'. So ist es auch passiert. Schade, aber ich kann daran nichts ändern."

Um überhaupt noch eine Chance auf die Titelverteidigung zu haben, wandte sich Hamilton direkt an die Konkurrenz: "Verstappen hatte trotzdem ein tolles Rennen und wurde Dritter. Es wäre aber gut, wenn sie beim nächsten Rennen ein paar gute Entscheidungen treffen." Hamilton setzt beim WM-Fight auch auf den starken Verstappen und dessen Teamkollegen Daniel Ricciardo, um seine Chancen zu erhöhen.

Lewis Hamilton feierte in Brasilien seinen 52. Formel-1-Sieg, Foto: Red Bull
Lewis Hamilton feierte in Brasilien seinen 52. Formel-1-Sieg, Foto: Red Bull

Siege nicht um jeden Preis

Und Rosberg? Der bleibt weiter cool und zieht seinen Stiefel durch. Spricht vor jedem Rennen vom Sieg - und begnügt sich mit Platz zwei, wenn Hamilton ihm keine Gelegenheiten bietet. Natürlich hätte Rosberg in jedem der letzten drei Rennen den Sieg gern mitgenommen. Aber nicht um jeden Preis. Hamilton war unschlagbar, Rosberg akzeptierte es. Nach dem Brasilien-Rennen sagte er: "Am Anfang habe ich schon versucht, Druck auf Lewis zu machen. Ich habe dann aber verstanden, dass er ein bisschen stärker war. Und dann kommt der Punkt, an dem ich sage, dass ich den zweiten Platz akzeptieren muss."

Das weiß auch Hamilton. Um die drohende Titel-Niederlage einzuordnen und zusätzlich Druck auszuüben, setzte er nach seinem ersten Interlagos-Sieg ein paar Spitzen in Richtung Rosberg-Lager. "Ich bin froh, dass ich alle schlagen konnte. Ich konnte Nico mit dem gleichen Auto besiegen und er ist aktuell in seiner besten Verfassung", sagte der Brite etwa. Und während Rosberg öffentlich weiter von Siegen spricht, brachte es Hamilton in den Medien auf den Punkt: "Nico macht das, was er tun muss."

Rosberg lassen die Sticheleien seines Teamkollegen kalt. Es ist der neue, gereifte Rosberg, der sich gar nicht erst auf Psychospielchen einlässt. Warum auch? Diesmal ist er der Gejagte. Ob er sich in Abu Dhabi oder den zweiten oder dritten Platz freuen würde, hakte Motorsport-Magazin.com nach. Rosberg: "Warum soll ich mir darüber Gedanken machen? Ich will dort gewinnen. Warum also nachdenken über 'Hätte, wäre, wenn'."

Hamilton hat die Titelentscheidung schon lange nicht mehr in der eigenen Hand, Foto: Mercedes-Benz
Hamilton hat die Titelentscheidung schon lange nicht mehr in der eigenen Hand, Foto: Mercedes-Benz

Nur Niederlagen bleiben präsent

Ein Sieg zum Abschluss wäre sicherlich ein gutes Argument, die Kritiker ein für allemal ruhigzustellen. Aber: Wer fragt in einem Jahr noch nach, wie genau Rosberg Weltmeister wurde... Vielmehr würde in Erinnerung bleiben, wenn er den Titel auf der Zielgeraden wegwirft. In Brasilien schonte er im Schlussstint seinen Motor, um noch besser vorbereitet nach Abu Dhabi zu kommen.

Das blieb auch Hamilton nicht verborgen, der sich seit Wochen laut über sein Technik-Pech beschwert. Ein wenig schien er dem Titel bereits in Brasilien nachzutrauern. "Nico hat dieses Jahr jedes Rennen beendet - mit Ausnahme von Barcelona, wo wir beide nicht das Ziel sahen", sagte Hamilton. "Er hatte also eine fantastische Zuverlässigkeit. So wie es jetzt läuft, wird es sehr schwierig, ihn zu schlagen." Was ihn am meisten fuchsen dürfte: Er hat es seit einiger Zeit nicht mehr selbst in der Hand.