Großbritannien hat sich für das Ausscheiden aus der Europäischen Union entschieden. Großbritannien ist nicht nur der größte Inselstaat Europas, sondern auch Heimat der Formel 1. In Silverstone wurde 1950 das erste Rennen ausgetragen, hier hat sich die Motorsportkultur über Jahrzehnte entwickelt.

Die Geschichte der Formel 1 ist wie eine kleine Europäische Union - aufgebaut hauptsächlich von Bernie Ecclestone. Die zahlreichen kleineren britischen Teams taten sich Mitte der 1970er Jahre zusammen, um den Transport ihrer Fahrzeuge zu den Austragungsorten des Formel-1-Zirkus' gemeinsam zu organisieren.

Immer ein Ass im Ärmel: Bernie Ecclestone, Foto: Sutton
Immer ein Ass im Ärmel: Bernie Ecclestone, Foto: Sutton

Als Bernie Ecclestone in das Brabham-Team einstieg, erkannte er das Potential der Herstellervereinigung FOCA. Der junge Ecclestone wollte die Vereinigung nicht darauf beschränken, ihren Transport gemeinsam zu organisieren.

Ecclestone bot an, für eine Provision die Startgelder für alle britischen Teams gemeinsam mit den Strecken zu verhandeln. Das System funktionierte. Mit der Zeit entwickelte sich daraus eine politische Macht und damit auch ein Machtkampf zwischen FOCA und dem Automobilweltverband, damals noch FISA genannt.

Die FISA mit Präsident Jean-Marie Balestre stand auf der Seite der großen Automobilhersteller Ferrari und Renault. Die britischen Schmieden waren für ihn nur kleine Hinterhof-Garagen. Entsprechend wurde auch das Reglement so angepasst, dass die britischen Teams ihre Vorteile auf Chassis-Seite nicht mehr ausspielen konnten. Das Duell lautete: Großbritannien gegen den Rest.

Im Verlauf des Machtkampfes mit Boykotts und Intrigen gelang es Ecclestone irgendwann auch Enzo Ferrari mit ins Boot zu holen. Die Teams und Hersteller auf der einen Seite, die FISA auf der anderen. Aus Teams, die über Jahrzehnte als Einzelkämpfer unterwegs waren, wurde eine Einheit - quasi eine TU, die Team Union - mit dem Schwerpunkt Großbritannien.

Lange Jahre Strippenzieher hinter den Kulissen: Bernie Ecclestone und Max Mosely, Foto: Sutton
Lange Jahre Strippenzieher hinter den Kulissen: Bernie Ecclestone und Max Mosely, Foto: Sutton

Tradition und Wirtschaft vereint

Gemeinsam mit dem Großen Preis von Italien ist der Große Preis von Großbritannien mit 66 Ausgaben das am häufigsten gefahrene Formel-1-Rennen der Geschichte. 49 Läufe fanden in Silverstone statt, das auch momentan Austragungsort des Rennens ist, zwölf in Brands Hatch sowie fünf in Aintree, einer Ortschaft nahe Liverpool.

In Silverstone fand 1950 der erste GP der Geschichte statt, Foto: Sutton
In Silverstone fand 1950 der erste GP der Geschichte statt, Foto: Sutton

Darüber hinaus fand in Großbritannien - so ironisch es dieser Tage auch klingen mag - insgesamt drei Mal der Große Preis von Europa statt. Sowohl 1983 als auch 1985 wurde das Rennen in Brands Hatch ausgetragen, während sich die Formel 1 1993 zu ihrem einzigen Gastspiel überhaupt im Rahmen des Europa GP in Donington die Ehre gab.

Doch die britischen Traditionsrennstrecken sind weit mehr als nur der Ort legendärer Rennschlachten. Um sie herum hat sich im Lauf der Jahrzehnte ein ganzes Industriegebiet entwickelt, das vom Rennsport lebt. Im so genannten Motorsport Valley existieren mehrere hundert bis tausend Unternehmen, die sich in der Motorsportindustrie aktiv oder als Zulieferer betätigen. Der an das berühmte Silicon Valley angelehnte Begriff beschreibt ein Gebiet von Swindon in Südengland über Oxford und Northamptonshire bis nach Cambridge.

Zu diesen Technologieunternehmen zählen unter anderem so prominenten Firmen wie die Motorenhersteller Mercedes AMG High Performance Powertrains, Cosworth und Ilmor. "Wir haben eine hohe Konzentration an Motorsportunternehmen", sagt der Head of Investment bei Northamptonshire Enterprise, Tim Bagshaw, im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com.

Das McLaren Technology Center in Woking, Foto: Sutton
Das McLaren Technology Center in Woking, Foto: Sutton

Dass Großbritannien als Heimat des Rennsports gilt, unterstreicht die Tatsache, dass mit Ausnahme von Ferrari, Toro Rosso und Sauber alle momentanen Formel-1-Teams ihre Werke und Fabriken im Motorsport Valley angesiedelt haben.

Da wären zum einen die waschechten englischen Teams wie McLaren (Woking), Williams (Grove) und Manor (Dinnington), und zum anderen jene Rennställe, die derzeit zwar unter der Flagge anderer Nationen fahren, ihre Wurzeln aber ebenfalls auf der Insel haben: Mercedes (Brackley), Red Bull (Milton Keynes), Force India (Silverstone) und Renault (Enstone). Ein Sonderfall ist der neue amerikanische Rennstall Haas, der seine Basis zwar in den USA hat, aus logistischen Gründen aber ebenfalls aus Großbritannien operiert und seine Zelte in Banbury aufgeschlagen hat.

Neben jenen Teams, die momentan in der Formel 1 antreten, gibt es aber auch noch eine Vielzahl britischer Rennställe, die sich mittlerweile zwar aus dem Rennsport zurückgezogen haben, aufgrund ihrer historischen Errungenschaften jedoch ein integraler Bestandteil der Königsklasse sind. Es würde den Rahmen sprengen, all ihre Namen aufzuzählen, doch Teams wie Cooper, March, Brabham, BRM, Lotus, Tyrrell und Surtees sind nicht nur Motorsportenthusiasten ein Begriff.

Der sechsrädrige Tyrrell: Ein legendärer Wagen aus Großbritannien, Foto: Phipps/Sutton
Der sechsrädrige Tyrrell: Ein legendärer Wagen aus Großbritannien, Foto: Phipps/Sutton

Britische Teams und Piloten geben den Ton an

So wichtig die Teams und Technologieunternehmen auch sein mögen, die Formel 1 wäre nichts ohne die Menschen, die hinter ihnen stehen, und auch diesbezüglich sticht Großbritannien als klare Nummer eins hervor. Von den 862 Piloten, die bislang zumindest einen Grand Prix absolvierten, sind 160 britische Staatsbürger, das ist ein Anteil von knapp 20 Prozent.

Dreifache Weltmeister: Lewis Hamilton und Jackie Stewart, Foto: Sutton
Dreifache Weltmeister: Lewis Hamilton und Jackie Stewart, Foto: Sutton

Mit 156 Piloten sind die USA dem Vereinigten Königreich zwar dicht auf den Fersen, doch der Schein trügt ein wenig. Die hohe Anzahl der US-Piloten rührt aus den 1950er-Jahren her, als das Indy 500 zur Formel-1-Weltmeisterschaft zählte und jeder Fahrer, der am legendären Rennen auf dem Brickyard teilnahm, automatisch auch einen Grand Prix gutgeschrieben bekam.

Tatsächlich nahmen in den letzten zehn Jahren mit Scott Speed und Alexander Rossi nur zwei US-amerikanische Piloten an Formel-1-Rennen teil, deren Erfolge sich im arg überschaubaren Rahmen hielten. Im Gegensatz dazu stehen mit Lewis Hamilton, Jenson Button und Jolyon Palmer in der Saison 2016 drei britische Piloten im Aufgebot der Königsklasse.

Ebenso lang wie die Liste der Namen britischer Piloten in der Formel 1, ist auch die Liste ihrer Erfolge. Mit 16 Weltmeistern stellt keine andere Nation mehr Champions. Der erste war 1958 Mike Hawthorn, der bis dato letzte der amtierende Weltmeister Lewis Hamilton. Hamilton ist gemeinsam mit dem Schotten Jackie Stewart auch britischer Rekord-Champion, beide entschieden die Fahrer-Wertung drei Mal für sich. Die zweiterfolgreichste Nation mit elf Titeln ist dank Michael Schumacher und Sebastian Vettel Deutschland.

Williams gewann neun Mal den Konstrukteurs-Titel, Foto: Sutton
Williams gewann neun Mal den Konstrukteurs-Titel, Foto: Sutton

Noch wesentlich erfolgreicher als bei den Fahrern, ist Großbritannien in der seit 1958 ausgefahrenen Konstrukteurs-Weltmeisterschaft, 33 der bislang 58 vergebenen Titel gingen auf die Insel. Einziger kleiner Makel: Mit 16 Titeln ist Ferrari, und damit ein italienischer Rennstall, Rekord-Weltmeister. Williams, das erfolgreichste britische Team, hält bei neun Triumphen, dicht gefolgt von McLaren mit deren acht.

All diese Daten, Zahlen und Fakten untermauern, dass Großbritanniens Bedeutung für die Formel 1 mit dem Status' keines anderen Landes zu vergleichen ist, sondern sowohl Vergangenheit, Gegenwart als auch Zukunft der Rennserie eng mit dem Vereinigten Königreich verbunden sind. Angesichts der aktuellen politischen Geschehnisse vielleicht sogar ein wenig zu eng. Doch wie sagt Tim Bagshaw über das Motorsport Valley? "Wir wollen es in schwierigen Zeiten erhalten und gedeihen sehen."