Lewis Hamilton dominierte den Freitag in Kanada nach Belieben. Dann kam der Samstag und mit ihm ein neues Setup. Und plötzlich wankte der Kanada-Spezialist. "Heute habe ich durch die Setupänderungen etwas das Gefühl verloren. Ich konnte das Auto nicht immer so fahren, wie ich es wollte", klagte Hamilton - nachdem er sich trotzdem die Pole Position geholt hatte.

Allerdings war es knapp: 0,062 Sekunden trennten ihn von Nico Rosberg. Der WM-Führende hatte am Freitag noch mit größeren Problemen im ersten Sektor zu kämpfen. Noch immer ist Sektor eins Rosbergs Problem-Sektor, aber der Deutsche konnte den Abstand verringern.

Sektor 1 Sektor 2 Sektor 3
Hamilton 20.154 Rosberg 23.466 Hamilton 29.054
Vettel 20.273 Hamilton 23.529 Rosberg 29.068
Ricciardo 20.287 Räikkönen 23.608 Vettel 29.105
Rosberg 20.340 Vettel 23.612 Bottas 29.189
Verstappen 20.348 Ricciardo 23.631 Ricciardo 29.248
Massa 20.430 Verstappen 23.647 Verstappen 29.306

Und auch Ferrari-Pilot Sebastian Vettel ließ mit 0,178 Sekunden Rückstand nicht lange auf sich warten. Mit etwas mehr als drei Zehntelsekunden hielt sich auch der Abstand von Daniel Ricciardo im Red Bull in Grenzen. Allerdings bekamen Hamilton und Rosberg ihre letzten Versuche nicht ganz auf die Reihe.

Red Bull holt 1,3 Sekunden auf

Trotzdem: Ferrari und Red Bull sind näher an den Silberpfeilen dran, als gedacht. Auf der ersten richtigen Motorenstrecke im Kalender sind die Abstände vor allem im Vergleich zum Vorjahr drastisch zusammengeschrumpft.

Weil Vettel 2015 im Qualifying technische Probleme hatte, gibt es nur die Referenzzeit von Kimi Räikkönen aus dem Vorjahr. Der Finne war mehr als sechs Zehntelsekunden langsamer als die Pole-Zeit. In diesem Jahr ist er zwar knapp acht Zehntelsekunden hinten, allerdings hat er das ganze Wochenende schon mit Problemen zu kämpfen. Nimmt man die Zeit von Vettel als Referenz, hat Ferrari einen ordentlichen Sprung gemacht.

2015 Rückstand 2016 Rückstand
Lewis Hamilton 1:14.393 -1:12.812-
Nico Rosberg 1:14.702 + 0,3091:12.874+ 0,062
Sebastian Vettel - -1:12.990+ 0,178
Kimi Räikkönen 1:15.014 + 0,6211:13.579+ 0,767
Daniel Ricciardo 1:16.079 + 1,6861:13.166+ 0,354
Daniil Kvyat 1:16.114 + 1,721--
Max Verstappen - -1:13.414+ 0,602

Noch ordentlicher aber ist der Sprung von Red Bull: 2015 fehlten Daniel Ricciardo und Daniil Kvyat jeweils rund 1,7 Sekunden auf Hamilton. In diesem Jahr war der Australier nur 0,354 Sekunden hinter der Pole. Zu diesem Zeitpunkt in der Saison 2015 hatte Red Bull weder ein herausragendes Chassis, noch einen guten Motor. In diesem Jahr ist das Chassis wieder State of the Art und der Motor seit dem Monaco-Update zumindest einigermaßen konkurrenzfähig.

Sicherlich hätte der Rückstand auch noch anders ausfallen können, hätte Hamilton seine finale Runde richtig hinbekommen, könnte man meinen. Aber der Sektor-Vergleich verrät, dass der Brite vielleicht eine Zehntel hat liegen lassen. Hamilton hatte am Samstag tatsächlich Probleme. Der Temperatursturz gepaart mit der Setup-Änderung lassen ihn auf seiner Vorzeigestrecke menschlich aussehen.

Soft-Reifen könnten zum Problem werden

Trotzdem sind Ferrari und Red Bull noch hinter Mercedes, trotzdem ist das Rennen noch nicht gegessen. Zwei Unbekannte könnten Würze in den Kanada GP bringen: Die Soft-Reifen und das Wetter.

Erstmals in dieser Saison haben die Teams nicht die fast uneingeschränkte Reifenwahl am Sonntag: Der Soft-Reifen ist Pflicht. Und das macht es spannend: Der Soft-Pneu hat ein komplett anderes Arbeitsfenster als Supersoft und Ultrasoft. Er braucht höhere Temperaturen, um optimal zu funktionieren.

Reifenmischung Temperaturfenster Minium Maximum
Hard Hoch 105 135
Medium Niedrig 90 120
Soft Hoch 100 125
Supersoft Niedrig 85 115
Ultrasoft Niedrig 85 115

Mercedes hatte die Soft-Reifen am Freitag im Griff. Allerdings war es zum Zeitpunkt der Runs 20 Grad warm, der Asphalt hatte sogar rund 45 Grad Celsius. Im Qualifying stieg das Quecksilber nur mehr auf 15,7 Grad Luft- und 22,3 Grad Streckentemperatur.

Mercedes hat zwar den Vorteil, über viel Downforce hohe laterale Kräfte generieren zu können, allerdings gibt es zwei Faktoren, die es erschweren, den Reifen auf Temperatur zu bekommen: Erstens gibt es in Kanada keine schnellen Kurven, zweitens versuchen die Teams aktuell mit den Temperaturen zu tricksen, um den Luftdruck niedrig zu halten. Der Trick könnte wie ein Bumerang auf Mercedes zurückfallen.

Ein oder zwei Stopps?

Möglicherweise könnte auch die Strategie eine Rolle spielen. Eigentlich ist Kanada ein Ein-Stopp-Rennen. Die Longruns am Freitag auf den Ultrasoft waren eigentlich so ordentlich, dass auch mit den weichsten aller Mischungen eine Ein-Stopp-Strategie möglich sein sollte. Die Top-10 müssen allesamt auf Ultrasoft starten.

Pirelli allerdings stellt eine andere Rechnung auf: Sollten die Temperaturen ähnlich hoch wie noch am Freitag sein, ist theoretisch eine Zweistopp-Strategie am schnellsten. Sogar eine Drei-Stopp-Strategie wäre rechnerisch noch schneller als Ein-Stopp. Nur bei niedrigen Temperaturen soll Ein-Stopp die schnellste Variante sein. Die Chance auf hohe Temperaturen ist allerdings niedrig. Zudem wäre es nicht das erste Mal, dass sich die Pirelli-Ingenieure täuschen. Track-Position darf nie unterschätzt werden - auch nicht in Montreal.

Die Wettervorhersage aber lautet Regen. "Sollte es morgen regnen, spielt das Qualifying keine große Rolle für das Rennen", weiß auch Toto Wolff. Allerdings lag der Bericht schon am Samstag nicht ganz richtig. "Der zuvor vorhergesagte Regen spielte letztlich keine Rolle", bemerkte Paddy Lowe.

Red Bull Topspeed: Fast so stark wie Mercedes

Kommt der Regen, sieht alles anders aus. Da steht Red Bull plötzlich wieder ganz oben auf der Liste. Ganz einfach, weil Leistung im Regen nicht so wichtig ist. Das Power-Defizit wiegt weniger schwer, die Aero-Stärken kommen mehr zum Vorschein. Wobei sich Mercedes beim Chassis nicht verstecken muss.

Aber selbst bei trockenen Bedingungen sieht sich Red Bull nicht chancenlos. "Der Start ist wichtig hier, aber man kann überholen. Wir haben jetzt eine ziemlich gute Höchstgeschwindigkeit, deshalb sollten wir in der Position sein, überholen zu können", glaubt Daniel Ricciardo. Und tatsächlich: Das Motoren-Upgrade spiegelte sich am Samstag in den Topspeed-Werten wieder. Mit 332,2 Stundenkilometer landete Max Verstappen auf Rang neun, Daniel Ricciardo nur marginal langsamer auf Rang zwölf.

Fahrer Geschwindigkeit
MASSA336.7
BOTTAS336.6
VETTEL335.4
WEHRLEIN334.9
RAIKKONEN334.4
HULKENBERG333.3
ROSBERG332.9
SAINZ332.2
VERSTAPPEN332.2
PEREZ332.2
GUTIERREZ332.0
RICCIARDO331.6
ERICSSON331.2
HARYANTO331.0
PALMER331.0
GROSJEAN331.0
KVYAT330.9
HAMILTON330.9
NASR327.6
BUTTON327.0
ALONSO325.3

Ricciardo setzt vor allem auf die kühleren Temperaturen: "Morgen wird es kalt sein, wenn nicht sogar regnen. In diesen Bedingungen könnt es jedermanns Rennen sein. Hoffentlich ist es ein Kampf mit fünf oder sechs Fahrer - das könnte eine Menge Spaß machen."