Zugegeben: Seit Anbeginn seiner Existenz gehörte Marussia, von 2010 bis 2012 noch unter dem Label Virgin Racing bekannt, zu den Hinterbänklern des F1-Grids. Wenig Reputation, kaum mediale Aufmerksamkeit und folglich auch für Fans und die große Konkurrenz oft nur lästiges Beiwerk. Die Saison 2014 hielt für die Mannschaft von Teamchef John Booth jedoch einiges bereit - so viel, dass sich das kleine Team auf den Titelseiten der Gazetten dieser Welt wiederfand: Vom neunten Platz Jules Bianchis in Monaco, über dessen tragischen Unfall im japanischen Suzuka, bis hin zum finanziellen Kollaps nach dem Großen Preis von Russland. Die Marussia-Ära endete im Jahr 2014.

Marussia ging in der Saison mit der gleichen Fahrerpaarung wie im Vorjahr an den Start, Foto: Sutton
Marussia ging in der Saison mit der gleichen Fahrerpaarung wie im Vorjahr an den Start, Foto: Sutton

Das Team: Marussia machte in der vergangenen Saison aus sportlicher Sicht erstmals beim Großen Preis von Monaco von sich reden: Jules Bianchi und Max Chilton gingen zwar von den Rängen 20 und 21 in das Rennen im Fürstentum, zahlreiche Zwischenfälle und Gelbphasen, die in den Straßenschluchten Monacos nicht unüblich sind, spülten den Franzosen Bianchi jedoch bis auf Rang acht nach vorne. Eine Startkollision mit Pastor Maldonado und die damit verbundene 5-Sekunden-Strafe warf Bianchi auf dem Tableau dann letztlich noch einen Platz nach hinten. Als Neunter sicherte er seinem Rennstall im fünften Jahr in der Formel 1 dennoch die ersten Punkte. Auch von den Großen der Branche wurde Bianchi anschließend mit reichlich Lob bedacht.

Das Rennen in Monaco war das Saisonhighlight, wenn nicht sogar der Höhepunkt seit Teambestehen. So groß die Freude über die Punkte, so groß waren auch die finanziellen Sorgen des kleinen Teams. Schon am 7. Oktober waren, wenn auch nur hinter den Kulissen, Insolvenzgerüchte aufgekommen. Nur zwei Tage nach Bianchis tragischem Unfall in Suzuka setzte es für den kleinen Rennstall somit umgehend den nächsten Tiefschlag. Die Rennen in Texas, Brasilien und Abu Dhabi bestritt Marussia aufgrund fehlender Gelder nicht mehr. Ende November sah sich das Team dann sogar gezwungen, einen Großteil seines technischen Equipments zu verkaufen. Eine Rückkehr in die Startaufstellung steht somit mehr denn je in den Sternen.

Jules Bianchi holte für Marussia die einzigen beiden WM-Zähler der Teamgeschichte, Foto: Sutton
Jules Bianchi holte für Marussia die einzigen beiden WM-Zähler der Teamgeschichte, Foto: Sutton

Das Auto: Schon bei den Testfahrten Anfang des Jahres in Jerez machte sich Marussia sehr rar. Erst zwei Tage nach Testbeginn wurde der MR03 offiziell vorgestellt. Die Tests ließen für die Saison nichts Gutes verheißen - gravierende Performance-Probleme, Schwächen in der Elektronik - die Liste wurde auch nach dem Auftakt in Melbourne nicht bedeutend kürzer. Die Power-Unit von Ferrari brachte dem Team zudem nicht die dringend benötigte PS-Stärke.

Umso erstaunlicher war Jules Bianchis Triumphfahrt in Monaco. Natürlich profitierte der Franzose von einigen Ausfällen, dennoch sank die Ausfallrate bei Marussia im Verlauf der Saison signifikant. In Barcelona brachte dann ein umfangreiches Update die sportliche Wende. Das Ergebnis beim Monaco GP ist bekannt ...

Die Fahrer: Erstmals in der Teamgeschichte ging Marussia mit der gleichen Fahrerpaarung wie im Vorjahr in eine Saison. Mit Max Chilton und Jules Bianchi sollte Konstanz in den Rennstall gebracht werden. Die Konstanz hielt bis Runde 42 des Großen Preises von Japan. Bianchi krachte in einen Bergungskran und erlitt schwere Kopfverletzungen. Nach dem tragischen Unfall begann das Hoffen für den jungen Franzosen, das noch bis heute anhält. Das Bianchi-Schicksal schlug riesige Wellen und rief ein weltweites Echo der Anteilnahme hervor. Vor allem sportlich lief es für den 25-Jährigen bis zu seinem Unfall großartig, da ein Ferrari-Cockpit in absehbarer Zukunft greifbar schien. Der von der Ferrari-Academy ausgebildete Mann aus Nizza sollte die Zukunft der Scuderia mitgestalten - eine Duftmarke setze er in Monaco.

Das Auto von Jules Bianchi blieb in Russland unberührt, Foto: Sutton
Das Auto von Jules Bianchi blieb in Russland unberührt, Foto: Sutton

Max Chilton bestritt den Russland GP ohne Teamkollegen. Marussia entschied sich dazu, aus Respekt für den verunglückten Teamkollegen keinen Ersatzfahrer einzusetzen. Chilton fiel in der gesamten Saison drei Mal aus - genauso oft wie sein Teamkollege Bianchi oder Ex-Weltmeister Sebastian Vettel. Beim letzten Grand Prix des Jahres für Marussia in Sochi fiel für Chilton und das Team bereits nach Runde neun der Vorhang.

Redaktionskommentar: Das sportliche Saisonfazit fällt, lässt man die traurigen Geschehnisse um Bianchi außer Acht, deutlich positiver aus, als man vor der Saison hätte vermuten können. Für diese Annahme sprechen die nackten Zahlen: In der Konstrukteurs-Wertung ließ man nicht nur den ewigen Hinterbänkler-Rivalen Caterham hinter sich, sondern auch das gestandene Traditionsteam Sauber. Die zwei Punkte von Jules Bianchi bescherten Marussia Rang neun in der Gesamtwertung. Zudem fehlten "nur" acht Punkte auf Lotus. Somit wurden die Experten, die dem Team erneut eine punktlose Saison prophezeiten, Lügen gestraft.

Den sportlichen Höhen folgten bekanntlich auch finanzielle Tiefen und menschliche Tragödien. Das Finanz-Debakel nach dem Bianchi-Crash besiegelte das Aus des russischen Teams - ein Abgang, der durch den tragischen Unfall weitestgehend überschattet wurde. Insgesamt absolvierte Marussia seit Bestehen bis zum letzten Grand Prix in Russland 23.399 Rennkilometer auf 5.782 absolvierten Rennrunden. Das Teamerzielte zwei WM-Zähler. Sebastian Knost