Wir stehen hier in Monza 44 Jahre nach Jochen Rindts Tod. Wie geht es Ihnen dabei?
Heinz Prüller: Ich denke nicht nur an ihn, wenn ich nach Monza komme, sondern auch, wenn ich auf die Uhr schaue und es ist 14:20, wie es damals im Abschlusstraining war. Es gibt immer wieder Dinge, die mir einfallen. Ich war mit dem Jochen vor dem Unfall noch Mittagessen, da war auch Colin Chapman dabei. Das sind Dinge, die man einfach nicht vergisst. Ich bekomme einen Hass, weil der Unfall nicht notwendig gewesen wäre. Die Rettungsmaßnahmen waren damals schrecklich. Der Unfall hätte an sich schon nicht passieren dürfen, denn es hat einige Vorzeichen mit diesem Auto gegeben. Jochen wusste auch, dass es nicht ungefährlich ist, aber er wollte Weltmeister und der größte Name im Motorsport werden. Das war sein Wunsch.
Kam es beim angesprochenen Mittagessen zu einer Konversation zwischen Jochen und Chapman?
Heinz Prüller: Ja, aber die war eher locker. Das war im Rennfahrerhotel, dort waren früher alle Piloten untergebracht, später hat sich das dann mehr verteilt. Aber ich habe auch jetzt wieder Piloten dort getroffen: Andretti hat zu Mittag gegessen; Kimi Räikkönen, Grosjean und ein paar andere sind auch dort. Es wurde aber oft genug über die Geschichte diskutiert. Jochen hat auch mit Bernie Ecclestone darüber gesprochen. Ich erinnere mich an Ferien in Acapulco nach den Olympischen Spielen 1968 und vor dem Mexiko GP. Wir haben damals eine Woche Ferien mit den dazugehörenden Damen gemacht und es wurde auch viel geredet und telefoniert, wie es weitergehen soll. Jochen hat überlegt, ob er für das halbe Geld bei Brabham bleiben oder für das doppelte Geld für Lotus fahren soll. Es war eine schwierige Entscheidung für ihn.
Wie haben Sie die weitere Saison und den posthumen Weltmeistertitel erlebt?
Heinz Prüller: Der Titel hat sich schon abgezeichnet. Ich wollte damals mit der Formel 1 aufhören. Nicht mit meinem Beruf, ich bin ein ganz normaler Sportjournalist, der auch über Fußball und Skifahren berichtet, aber ich bin zum nächsten Grand Prix gefahren, um mich von den Fahrern zu verabschieden. Ich habe gesagt, ich danke euch und wünsche euch alles Gute, aber ich werde jetzt nicht mehr kommen. Sie waren aber sehr nett, unter anderem Jackie Stewart und Jack Brabham, und ich habe mir gedacht, vielleicht sollte ich doch bleiben. Im nächsten Jahr fand das erste Rennen in Kyalami statt und ich war natürlich dort und es ist irgendwie normal weitergegangen. Aber es sind natürlich schon Steine im Herzen, weil dauernd etwas passiert, an das man sich erinnert, zum Beispiel der Tod von Ronnie Peterson hier in Monza.
Wie war damals das Verhältnis zwischen den Piloten und Journalisten?
Heinz Prüller: Die Kameradschaft zwischen den Fahrern war sehr groß, und ich glaube, auch zwischen den Fahrern und einigen Journalisten. Ich bin froh, dass ich mich dazu zählen durfte zu diesem engen Kreis. 1967 sind wir in Indianapolis zu fünft in einem Mietwagen gesessen. Jochen Rindt, Jackie Stewart, Denis Hulme, Jack Brabham und ich. Sie haben geplaudert und Witze gemacht, aber je näher es zur Rennstrecke ging, desto stiller wurde es. Jochen sagte zu mir: "Ich fühle mich in Indianapolis immer wie auf dem Weg zum eigenen Begräbnis." So war die Stimmung damals in Indianapolis mit den vielen Unfällen, die es dort gab.
Wie hat sich Jochen beim Indy 500 geschlagen?
Heinz Prüller: Jochen stand in der elften und letzten Startreihe, rechts von ihm war Graham Hill, links von ihm Miller, ein Cherokee-Indianer. Ich bin wie immer bei Jochen gestanden und er fragte mich, was der Memorial Day eigentlich sei. Ich habe gesagt, das ist wie bei uns Allerseelen, aber für die Amerikaner mehr ein Heldengedenktag, auch wenn das Indy 500 mittlerweile nicht mehr zwingend am 30. Mai stattfindet. Jochen schaute mich an und sagte mit seiner üblichen Stimme: "Günstiger Tag." Da läuft es mir schon kalt den Rücken herunter, wenn ich mich daran erinnere.
Trotz der Trauer um Jochen war es für Sie letztlich die richtige Entscheidung, der Formel 1 treu zu bleiben?
Heinz Prüller: Ja. 1971 ging es weiter. Da fanden am selben Wochenende ein Kampf von Cassius Clay und der Südafrika GP in Kyalami statt. Ich konnte mir aussuchen, wo ich hinfahren wollte, und bin nach Kyalami gefahren.
Sie haben viel über tragische Erinnerungen gesprochen, aber was waren die schönen Erlebnisse mit Jochen Rindt?
Heinz Prüller: Sehr viele, zum Beispiel gemeinsam Skifahren am Arlberg, gemeinsame Ferien. Jochen war oft beim mir im Fernsehstudio, wir haben auch zusammen ein Buch geschrieben - mein erstes und sein erstes. Ich bin damals an einem See gesessen und habe den ganzen Tag an dem Buch geschrieben. Jochen kam immer am Abend vorbei, hat es sich angeschaut und ist wieder abgehaut. Jochen war ein irrsinnig lustiger Mensch, der kein Konditionstraining brauchte, wie die heutigen Fahrer. Er ist sehr gut Motorrad und Wasserski gefahren und hat sich als steirischer Jugendmeister beim Skifahren zwei Mal den Fuß gebrochen. Darum hat er nach einem Rennen immer leicht gehinkt, wenn er sehr müde war, zum Beispiel bei den 24 Stunden von Le Mans 1965, die er gewonnen hat.
Welche Erinnerungen haben Sie an Le Mans?
Heinz Prüller: Er hatte ursprünglich kein Auto und keinen Startplatz und hat mich am Donnerstag angerufen und mir gesagt, dass er jetzt nach Le Mans fliegt. Ich bin ihm mit dem Auto gefolgt, das war sehr weit von Wien aus. Nach ungefähr zweieinhalb Stunden im Rennen habe ich Jochen bereits wieder in zivil am Parkplatz gesehen. Ich habe gefragt: "Bist du verrückt? Du musst ja ein Autorennen fahren!" Er antwortete darauf: "Ich fahre nicht mehr, das Auto steht in der Box und wird repariert, wir haben keine Chance mehr zu gewinnen. Ich fahre an den Traunsee zu meiner Großmutter." Sein Teamkollege konnte ihn dann aber doch überreden weiterzumachen, aber nur unter Jochens Bedingung, Vollgas bis zum Ende fahren zu dürfen. Er sagte: "Entweder das Auto zerbricht komplett oder wir gewinnen." Und er hat gewonnen.
Was hat Jochen als Rennfahrer ausgezeichnet?
Heinz Prüller: Für uns war er der erste Astronaut in Österreich. Er hatte einen unvorstellbaren Mut, obwohl er sehr sensibel sein konnte, aber als Rennfahrer war er unheimlich mutig und wahnsinnig schnell. Bernie Ecclestone sagt heute noch, der Jochen war der schnellste Rennfahrer, den es je gab und besser als Senna. Jeder hat eine hohe Meinung von ihm. Er war einfach gut.
Können Sie verstehen, dass Kritik geübt wird, wenn etwas sicherer gemacht wird, wie hier in der Parabolica? Viele haben tödliche Unfälle in der Formel 1 ja gar nicht mehr miterlebt...
Heinz Prüller: Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Es gibt berühmte Rennfahrer, die sagen, wenn der Sport nicht lebensgefährlich ist, hätte ich ihn gar nicht betrieben. In den ersten Jahren der Formel 1 hat noch der Krieg ein bisschen mitgespielt. Die Engländer sind auf ihren Flugplätzen Rennen gefahren, ich habe das immer als eine Art Fortsetzung des Kriegs empfunden. Es gab Autorennen mit acht Toten, das war normal, aber die Le-Mans-Katastrophe von 1955 hat schon nachgewirkt. Wenn das heute passieren würde, wäre der Sport sofort am Ende. Damals sind die meisten sogar weitergefahren. Stirling Moss beklagt sich heute noch, dass er nicht versteht, warum Mercedes die Autos zurückgezogen hat, denn er hatte drei Runden Vorsprung. Drei Runden Vorsprung bei 85 Toten...
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