In den 90er-Jahren war die Eau Rouge ein Inbegriff für Mut und echte Rennfahrer. Wer hier nicht bremste, sondern nur leicht lupfte, der nahm besonders viel Geschwindigkeit mit auf die folgende Bergauf-Gerade. In den letzten Jahren ist die ehemalige Mutkurve allerdings ein Opfer der Technik geworden. Die Autos wurden zwar schneller, bekamen aber auch immer mehr Anpressdruck. Die Eau Rouge war zuletzt keine Herausforderung mehr, stattdessen war die berühmte Kurve nur noch ein Teil der längsten Vollgas-Passage im Formel-1-Rennkalender.

Zumindest bei trockenen Bedingungen scheint sich für die Top-Teams an dieser Tatsache auch in diesem Jahr mit den neuen Autos nichts geändert zu haben. "Mit den neuen Autos haben wir eine höhere Endgeschwindigkeit und gleichzeitig weniger Reifenhaftung", erklärt Adrian Sutil die Ausgangslage für das aktuelle Wochenende. Was in den letzten Jahren aber noch ganz entspannt mit dem Fuß auf dem Bodenblech gefahren werden konnte, ist nun zur Vollgas-Herausforderung geworden. Nur wer die richtige Linie trifft und genügend Mut mitbringt, kann die Eau Rouge voll fahren.

Ein wichtiges Bauteil wird das Setup sein. Nico Rosberg oder Lewis Hamilton, die mit auffällig viel Heckflügel unterwegs sind, werden die Eau Rouge wohl auch mit verschlossenen Augen fahren können. Anders sieht es bei Sebastian Vettel oder auch Adrian Sutil aus. "Bezüglich der Abstimmung des Autos gibt es zwei Varianten, entweder ist man schnell im zweiten Sektor und relativ langsam auf den Geraden, oder umgekehrt. Ich würde eher zu mehr Höchstgeschwindigkeit auf den Geraden tendieren", erklärt der Sauber-Pilot die Ausgangslage. "Aufgrund des geringeren Abtriebs wird es in diesem Jahr bestimmt schwieriger sein, die Eau Rouge, eine meine Lieblingskurven, Vollgas zu fahren."

Pouhon ist die neue Eau Rouge - fast

Andre Lotterer schaffte Eau Rouge noch nicht mit Vollgas, Foto: Sutton
Andre Lotterer schaffte Eau Rouge noch nicht mit Vollgas, Foto: Sutton

Mit fast vollen Tanks und etwas abgefahrenen Reifen gibt es in Spa-Francorchamps längst neue Mutkurven. "Die Formel 1 hat sich in den letzten Jahren einfach verändert. Während früher noch Eau Rouge und Blanchimont die beeindruckenden Sektionen waren, ist es jetzt vielleicht die Pouhon", sagt Daniel Ricciardo. Pouhon, das ist die Doppel-Link im zweiten Streckenabschnitt. Zwei Kurven mit einem ordentlichen Gefälle, in denen die Formel 1 eben nur fast Vollgas fahren kann. Dank der großen Asphalt-Wüste, die vor einigen Jahren das Kiesbett ersetzt hat, ist Pouhon aber längst nicht so gefährlich.

Nur für einen ist die Eau Rouge noch eine echte Herausforderung. Andre Lotterer fährt an diesem Wochenende seinen ersten Grand Prix im unterlegenen Caterham und antwortete nach dem Training auf die Frage, ob Eau Rouge denn mit Vollgas möglich war: "Das ding nicht." Die Chancen dürften aber nicht schlecht stehen, dass Lotterer im Laufe des Rennens genug Vertrauen in sein Auto gewinnt und die ehemalige Mutkurve dann auch für ihn zum Vollgas-Abschnitt wird.