Wir haben jetzt fast Saisonhalbzeit. Wie fällt eure Bilanz aus?
Helmut Marko: Wir haben bislang das Optimum aus unseren Möglichkeiten herausgeholt. Auf den Strecken, auf denen wir siegfähig waren, haben wir gewonnen. Wo es nicht gegangen ist, haben wir die maximal möglichen Punkte mitgenommen. Wenn wir die Situation mit dem Saisonbeginn in Australien vergleichen, wo wir dachten, dass wir überlegen gewinnen würden, haben wir die Erfahrungen mit den Reifen entsprechend umgesetzt und sind im Schnitt vorne dabei.

Zu Saisonbeginn seid ihr mit der Reifensituation etwas auf dem falschen Fuß erwischt worden, oder?
Helmut Marko: Wir hofften nach dem Training, dass wir gewinnen könnten, aber diese Hoffnung war nach vier Runden vorbei. Bei diesem und einigen anderen Rennen haben wir gesehen, dass wir uns mit dem Thema Reifen auseinandersetzen mussten, um erfolgreich zu sein.

Glaubt ihr, das jetzt im Griff zu haben?
Helmut Marko: Das würden wir so nicht behaupten. Schon geringe Temperaturunterschiede oder eine andere Windrichtung bewirken eine andere Beanspruchung. Die Autoabstimmung muss passen, dann kann der Fahrer einiges machen. Die einfachste Lösung ist, vorne zu starten und das Tempo zu diktieren.

Red Bull hat drei WM-Titel gewonnen. Merkt ihr noch Veränderungen, die das Team weiter voranbringen, Bereiche, in denen es weiter wächst?
Helmut Marko: Das Wichtigste ist, dass die Leidenschaft - trotz aller Erfolge - noch immer brennt. Es wird immer weiter entwickelt und alles mit einem ungeheuren Enthusiasmus weiter perfektioniert. Der Teamgeist flacht nicht ab, sondern wird mit jedem Erfolg noch größer. So kommen wir auf ein immer höheres Niveau.

Wird die Schlüsselfigur Adrian Newey mittlerweile auch immer stärker von anderen unterstützt?
Helmut Marko: Newey hat ein Team hinter sich, das den Anforderungen und Ansprüchen gerecht wird und dadurch wesentlich schneller und effizienter arbeitet. Das zeigt sich beispielsweise darin, dass die meisten unserer Updates einen Zeitgewinn mit sich bringen. Dieser Geist, dieses Know-how, diese Leidenschaft sind im gesamten Team verankert. Es herrscht der Wille, Lösungen zu finden, die vor drei Jahren als technisch unmöglich erklärt wurden. Wenn Newey sagt, er möchte das, dann wissen die Jungs, dass es machbar ist und dann wird es auch umgesetzt.

Ein Adäquater Ersatz für Webber? Das wird schwierig

Vettel stand im Mittelpunkt, Webber wusste ihn aber zu fordern, Foto: Red Bull
Vettel stand im Mittelpunkt, Webber wusste ihn aber zu fordern, Foto: Red Bull

Wie sehr hat die Teamorder-Affäre in Malaysia das Team gestört?
Helmut Marko: Das hat schon etwas die Teamharmonie gestört, aber Malaysia war vielleicht der Höhepunkt. Es ist schließlich bekannt, dass das Verhältnis zwischen Mark und Sebastian nicht das beste war und ist. Aber mit der Entscheidung von Mark, sich im nächsten Jahr mit Porsche in der Sportwagenwelt zu bewegen, hat sich das eh erledigt.

Spielte Malaysia bei dieser Entscheidung vielleicht eine entscheidende Rolle?
Helmut Marko: Das weiß ich nicht. Man muss einfach bedenken, dass Mark 36 Jahre alt ist. Er tritt am Höhepunkt seiner Leistung ab und findet ein tolles, anderes Betätigungsfeld. Das ist eine bewundernswerte Entscheidung. Die meisten Fahrer übersehen diesen Zeitpunkt und treten zurück, wenn sie keine Angebote mehr bekommen.

Das Team hat stets großen Wert auf Kontinuität gelegt. Jetzt bricht Mark weg. Ist das eine Schwächung für das Team?
Helmut Marko: Wir haben drei Mal die Konstrukteurs-WM gewonnen. Dafür müssen beide Fahrer entsprechende Leistungen bringen. Mark war ein harter Gegner für Sebastian, der auf gewissen Strecken fast unschlagbar war und ihn gefordert hat. Einen adäquaten Ersatz zu finden, der auch teamintern hart arbeitet, das wird schwierig. Nach außen wirkt das vielleicht locker, aber es steckt viel Arbeit im Simulator dahinter. Dafür müssen wir die richtige Person finden. Wir übereilen jedoch nichts und werden alle Parameter berücksichtigen.

Ihr werdet auch eure beiden Toro-Rosso-Junioren noch einmal genau durchleuchten?
Helmut Marko: Selbstverständlich sind die beiden auch ein Teil der Gedankengänge.

Wäre Kimi Räikkönen eine Idealbesetzung, wenn man ihn bekommen könnte?
Helmut Marko: Kimi ist sicher eine Bereicherung. Ob er eine Idealbesetzung wäre, ist schwer zu sagen, denn es gibt eben mehrere Punkte zu berücksichtigen. Wie gesagt, wir haben Zeit und studieren die Situation in Ruhe.

Das größte Problem könnte sein, dass Kimi nicht gerne PR-Arbeit macht. Könnte man ihm da entgegen kommen?
Helmut Marko: Gewisse Verpflichtungen sind mit dem Job verbunden. Wir sind mittlerweile eines der am besten gesponsorten Teams und Sponsoren wollen natürlich eine Gegenleistung. Dieses Verhältnis muss stimmen.

Neid muss man sich hart erarbeiten

Die Konkurrenz sieht bei Red Bull oft ein rotes Tuch, Foto: Red Bull
Die Konkurrenz sieht bei Red Bull oft ein rotes Tuch, Foto: Red Bull

Im vergangenen Jahr hast du einmal gesagt, dass Sebastian immer noch weiter wächst. Ist er in diesem Jahr noch einmal besser geworden?
Helmut Marko: Sebastian ist besser geworden. Er wird in dieser Woche 26 Jahre alt - das ist für Formel-1-Verhältnisse sehr jung, vor allem wenn man bedenkt, dass er bereits drei Weltmeistertitel gewonnen hat. Das beste Beispiel war Kanada: Wenn wir von dem Mauerkuss absehen, war es eine perfekte und dominante Vorstellung. Das zeigt, wie er als Person und Fahrer weiter gereift ist. Ich sehe noch immer keinen Zenit.

Ein Blick in die Zukunft: Wird die Reifenfrage weiter die Themen beherrschen?
Helmut Marko: Die krassen Überraschungen wie zu Saisonbeginn wird es sicher nicht mehr geben. Aber man muss die Reifenfrage sicher ganz genau im Auge behalten. Wir sind nicht so vermessen, zu sagen, dass wir die Reifen jetzt im Griff hätten.

Würdet ihr euch selbst als Favoriten bezeichnen?
Helmut Marko: Wir sind gut aufgestellt, aber im vergangenen Jahr waren wir nach Monza 44 Punkte hinten und haben die WM trotzdem gewonnen. Aber wir gehen an jedes Rennen mit der gleichen Einstellung heran und wollen so gut wie möglich abschließen. Das ist Teil unserer Rennkultur. Wir entwickeln permanent weiter, manchmal in größeren Schritten, manchmal in kleineren. Es gibt kein Rennwochenende, an dem wir keine Neuerungen haben.

Wird es in der nächsten Saison, mit all den Regeländerungen, schwieriger, die Führungsposition zu halten?
Helmut Marko: Historisch gesehen waren immer Newey-Autos vorne, wenn es drastische Reglementänderungen gegeben hat. Diesmal kann aber der Antriebsstrang das entscheidende Kriterium sein. Wir sind aber zuversichtlich und haben unsere Zusammenarbeit mit Renault intensiviert. Sie sind schon sehr weit und wir sind innerhalb der Kooperation das Nummer-1-Team von Renault.

Die Konkurrenz würde sich freuen, wenn ihr Probleme bekommen würdet. Fühlt ihr euch arg angefeindet?
Helmut Marko: In Österreich sagt man: Neid muss man sich hart verdienen. Aber es ist auch klar, dass die Formel 1 kein Kaffee-Kränzchen ist. Wer, wie wir, ohne Automobilhintergrund so lange vorne ist, hat es auf die Dauer gesehen immer schwerer.