Eigentlich hatte Pirelli angekündigt, die stark in der Kritik stehenden Reifen bis zum Rennen in Silverstone überarbeiten zu wollen, doch wie Motorsportdirektor Paul Hembery nun erklärte, wird es bereits ab dem Rennen in Kanada Veränderungen geben. "Wir werden etwas vom Design der Reifen von 2013 nehmen, aber auch Elemente von 2011 und 2012 einfließen lassen. Der Sinn der Änderungen liegt darin, dass sich die Reifen nicht mehr so stark erhitzen", betonte Hembery. "Wir wollen wieder Rennen mit zwei oder drei Stopps." Zuletzt sahen sich die meisten Piloten in Barcelona gezwungen, vier Reifenwechsel vorzunehmen, was Pirelli harsche Kritik einbrachte.

Kritik an Tests

Wie Hembery verriet, hatte Pirelli nicht damit gerechnet, dass die Teams über den Winter so viel Performance finden würden und die Boliden des aktuellen Jahrgangs daher unterschätzt, weshalb die Reifen zu stark belastet wurden. "Wir können nicht mit den aktuellen Autos testen. Alles, wozu wir Zugang haben, ist ein Renault von 2010, der vier oder fünf Sekunden langsamer als die heutigen Formel-1-Autos an einem Sonntag ist ", klagte der Brite. "Wir sehen in diesem Jahr bereits so viel Downforce wie 2011 mit dem angeblasenen Diffusor. Wir können so keine Reifen entwickeln."

Daher fordert Pirelli eine neue Regelung der Wintertests, damit die Pneus länger und unter denselben Temperaturen erprobt werden können, die auch während der Saison vorherrschen. "Die Teams sind derselben Meinung - und wir wollen beim nächsten Mal längere Testzeiten sowie unterschiedliche Schauplätze", erklärte Hembery. Pirelli habe die Reifen für 2013 auf der Basis sorgfältiger Simulationen entworfen, zog jedoch nicht in Betracht, dass sich der Speed der Autos um bis zu drei Sekunden pro Runde steigern würde, so der 57-Jährige.

Niemanden bestrafen

Lotus kam mit den Reifen gut zuecht, Foto: Sutton
Lotus kam mit den Reifen gut zuecht, Foto: Sutton

"Es war also eine Kombination mehrerer Faktoren, die zusammenkamen", sagte Hembery. "Wir wollten nicht zu dramatische Änderungen vornehmen und wollen auch nicht jene Teams bestrafen, die ihr Design nach dem Umgang mit den Reifen ausgerichtet haben. Aber wir mussten auch etwas tun, um die Situation zu verbessern." Vor allem Red Bull hatte sich zuletzt massiv über die fragilen Pneus beschwert, während sich Ferrari und Lotus als reifenschonend erwiesen.

"Es gab Befürchtungen von einigen Teams, dass die Änderungen andere Teams bevorzugen könnten, aber wir denken nicht, dass das der Fall sein wird", versuchte Hembery zu beruhigen. "Diese Änderungen werden für Pirelli gemacht und für sonst niemanden. Wir müssen die Balance richtig hinbekommen." Der Motorsportchef betonte, dass man nicht überreagieren wollte, denn das hätte bestimmten Teams in die Karten gespielt. "Wir wollen auf der aggressiven Seite bleiben, damit die Rennen spannend bleiben. Die Änderungen stehen im Interesse des Sports."

Kein Druck von Red Bull

Ganz ausschließen konnte Hembery aber doch nicht, dass die länger haltenden Reifen zur Dominanz eines Rennstalls führen könnten. "Wir hoffen nicht", sagte er. "Aber natürlich besteht dieses Risiko immer." Der Brite war jedoch bemüht, klarzustellen, dass die Änderungen nicht aufgrund des Drucks von Red Bull vorgenommen werden - zuletzt hatte ja Dietrich Mateschitz massive Kritik geübt. "Die Leute werden sagen, es ist Druck von Red Bull, aber es gab keinen übermäßigen Druck von ihnen", sagte er und ergänzte: "Um fair gegenüber Christian Horner zu sein, es wurde in den Medien in der letzten Woche viel mehr kommuniziert als sie mir gesagt haben."

Selbst Formel-1-Boss Bernie Ecclestone zeigte sich vom gegenwärtigen Zustand alles andere als begeistert. "Die Reifen sind falsch und nicht das, was wir von Pirelli erwartet hatten", sagte der Zampano im britischen Express. "Pirelli weiß das. Wir werden zum Reifentyp der vergangenen Saison zurückkehren, der uns enge Rennen beschert hat."

Ein weiterer Grund für die Adaptionen seien die von Lewis Hamilton in Bahrain und Paul di Resta in Spanien erlittenen Reifenschäden, bei denen die Pneus nahezu auseinanderfielen. "Die Schäden waren optisch spektakulär", sagte Hembery. "Es war eine Art Schaden, den wir zuvor in der Formel 1 noch nicht gesehen haben - uns gefällt das nicht." Allerdings sei trotz der sich lösenden Laufflächen die Sicherheit der Piloten nicht gefährdet gewesen, da der Kern der Reifen von den Auflösungserscheinungen, die durch auf der Strecke herumliegende Teile hervorgerufen wurden, nicht betroffen gewesen sei, sodass die Fahrer ihre Runde beenden konnten, um neue Gummis aufzuziehen.

Durch die Überarbeitung könnte sich auch die Reifenwahl für den Kanada GP ändern. Pirelli plante zunächst, die beiden weichsten Mischungen nach Montreal zu bringen und will die Teams im Falle neuer Pläne im Laufe der Woche informieren.

Redaktionskommentar

Motorsport-Magazin.com meint: Der Umstand, dass Pirelli nicht erst in Silverstone, sondern bereits in Montreal überarbeitete Reifen liefert zeigt, wie stark die Italiener unter Druck stehen. Die Kritik an den Pneus war zuletzt gigantisch und es war klar, dass der Status Quo nicht aufrechtzuerhalten sein würde. Pirelli bleibt zu wünschen, dass sich das Kräfteverhältnis mit den neuen Reifen gleich wie zuvor darstellt, damit der Formel 1 die drohende Debatte um Schiebungsgerüchte und Bestechung erspart bleibt und das schwarze Gold generell wieder in den Hintergrund rückt. (Philipp Schajer)