Schluss, aus, vorbei - die abschließenden Testfahrten in Barcelona sind Vergangenheit, in zwei Wochen beginnt die neue Saison mit dem Auftakt in Melbourne. Über fünf Tage erstreckten sich die zweiten Barcelona-Tests in der Vorsaison, jedem Team blieben dabei vier Tage Zeit, ihre neuen Boliden auf den Prüfstand zu stellen. Motorsport-Magazin.com hat sich einmal näher angeschaut, in welcher Verfassung sich die Top-Teams befinden.

Für die größte Überraschung sorgte Mercedes GP. Rückblende: Vor den letzten Barcelona-Tests konnte der neue MGP W02 nur selten überzeugen. Zahlreiche Probleme, vor allem mit der Kühlung, brachten immer wieder ungewollte Test-Unterbrechungen mit sich. Dazu lag der Silberpfeil in Sachen Speed zumeist hinter der Spitze. Motorsportchef Norbert Haug hatte seinem Team kurzzeitig nicht einmal eine Top-10-Platzierung zugetraut.

Brawns Vorhersage tritt ein

Ross Brawn gab zwar zu, dass man vor den abschließenden Tests rund eine Sekunde hinter den Top Teams liege, doch immer wieder betonte er, dass ein großes Upgrade-Paket dem Boliden sprichwörtlich Beine machen werde. Durchhalteparolen schon vor dem Saisonstart? Mitnichten, wenn man sich die Ergebnisse der vergangenen Tests anschaut.

Mercedes setzte ein Signal in Richtung Konkurrenz, Foto: Mercedes GP
Mercedes setzte ein Signal in Richtung Konkurrenz, Foto: Mercedes GP

Neue Front- und Heckflügel, Motorabdeckung, Auspuff, Unterboden und Luftkanäle für die Bremsen - Mercedes rüstete im Verlauf der vier Tage den MGP W02 kontinuierlich auf und legte somit die Karten auf den Tisch. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen: Michael Schumacher sorgte am Freitag mit einer Rundenzeit von 1:21,268 Minuten für die schnellste Runde überhaupt auf dem Circuit de Catalunya - und das auf weichen Reifen. Die vorigen Bestzeiten des Winters wurden zumeist auf der superweichen Mischung erzielt, welche allerdings extrem schnell abbaut. Man darf die Rundenzeiten während der Testfahrten nicht überbewerten, doch sie geben zumindest einen Anhaltspunkt.

Mercedes-Kampfansage an die Konkurrenz

"Fakt ist: Uns ernst zu nehmen, ist nicht allzu verkehrt. Meine Zeit war ja schon mal nicht schlecht", bilanzierte der Rekord-Champion nach seinem Husarenritt. Eine Kampfansage an die Konkurrenz, obwohl man sich noch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen wollte. "Bis Melbourne ist es noch ein weiter Weg. Und wir wissen nicht, ob die Gegner ihr Potenzial bisher vollständig abgerufen haben", fügte Schumacher hinzu.

"Ich sehe uns noch nicht als Siegesaspirant. Aber was nicht ist, soll noch - und wird noch - werden. Das dauert wohl aber noch eine Weile", stapelte auch Haug tief. Nicht nur Schumacher zeigte am Freitag das Potential des W02, auch Teamkollege Nico Rosberg wusste zu überzeugen. Er legte am Freitag die drittschnellste Zeit mit dem kürzesten Auto im Feld hin und musste dabei sogar noch auf den verstellbaren Heckflügel verzichten. Seine Zeit dürfte also auf dem gleichem Niveau liegen, wie die seines Teamkollegen. Vom Speed einmal abgesehen, präsentierte sich Mercedes auch zuverlässig. Eingeschobene Renn-Simulationen liefen flüssig und ohne nennenswerte Probleme ab, die Zeiten lagen auf konstant hohem Niveau.

Vettel von Silberpfeilen beeindruckt

"Mercedes hat einen Zahn zugelegt. Auf der Favoritenliste sind sie jetzt nach oben geklettert", zeigte sich auch Sebastian Vettel beeindruckt. Nach wie vor gilt Red Bull als Gradmesser für die anstehende Saison. Während der gesamten Tests überzeugte das Weltmeister-Team fast ausnahmslos mit starker Performance. Bestzeiten gemischt mit konstanter Zuverlässigkeit - die Mixtur für den potentiellen WM-Triumph.

Auch in Barcelona ließen die Bullen Muskeln spielen. Mark Webbers schnellste Tageszeit am Mittwoch unterbot Vettel am Tag darauf nochmals. Konstante und starke Zeiten während der Longruns lassen auf die Performance des RB7 schließen. Insgesamt spulte das Team 370 Runden ab. Nur am Freitag kämpfte Red Bull mit Unterboden-Problemen und mangelnder Balance, deshalb reichte es lediglich für 64 Umlaufe.

Zuverlässigkeit wichtiger als Speed

"Wir können mit den Tests insgesamt zufrieden sein. Wir haben mehr Runden gemacht als in jedem anderen Winter. Für die Zuverlässigkeit ist das wichtig", zog Vettel ein positives Fazit. Auch vom Speed her habe man sich noch einmal steigern können, obwohl der Fokus eher auf der Zuverlässigkeit lag. "Es hilft nichts, wenn dein Auto eine Sekunde schneller ist, aber man nicht ins Ziel kommt", erklärte der 23-Jährige und erinnerte sich wohl an die vergangene Saison mit zahlreichen, unnötigen Ausfällen zurück.

Sollte Red Bull in dieser Saison an die erfolgreichen Resultate der Testfahrten anknüpfen und zudem die nötige Geschwindigkeit auf die Strecke bringen, wird es schwer für die Konkurrenz. So lautet die einhellige Meinung im Fahrerfeld, wenn man nach den Favoriten für 2011 fragt. Vettel und Webber ließen mit ihren bisherigen Leistungen kaum einen Zweifel daran. Will man unbedingt Fehler im System finden, muss man sich auf den Defekt des Unterbodens stürzen. Doch in den verbleibenden zwei Wochen sollte sich dieser Umstand beheben lassen.

Ferrari fährt und fährt und...

Neben Red Bull startet Ferrari als Favorit in Melbourne. Mit Bestzeiten konnten die Italiener in Barcelona zwar nicht glänzen, dafür war die Konstanz des F150° Italia überragend. 101 addiert mit 132 und 141 ergibt die Anzahl der Runden, die die Scuderia in Barcelona abspulte. Die fünf gewerteten Umläufe im heftigen Regen am Samstag einmal außen vorgelassen, hat sich Ferrari wieder einmal als Test-Weltmeister entpuppt. Technik-Probleme? Fehlanzeige, die Rote Göttin performte einwandfrei und ließ keinen Zweifel an ihrer Zuverlässigkeit aufkommen.

Der Ferrari drehte Runde um Runde, Foto: Sutton
Der Ferrari drehte Runde um Runde, Foto: Sutton

Fernando Alonso wollte sich noch nicht auf einen klaren Favoriten festlegen. "Die Performance der Autos ist im Moment sehr ähnlich. Es gibt nicht ein Auto, das ganz weit vor allen anderen liegt, deshalb müssen wir unser Bestes geben", so der Spanier. Zumindest das neue Aerodynamik-Paket, welches Ferrari im Gepäck hatte, schien eingeschlagen zu haben. "Der Anpressdruck des Autos ist besser", schilderte Felipe Massa. "Je mehr Anpressdruck du hast, umso besser ist es, vor allem mit diesen Reifen, die sehr stark abbauen." Trotzdem habe Red Bull laut dem Brasilianer aktuell noch die Nase vorn.

Was ist bei McLaren los?

Mercedes, Red Bull und Ferrari - diesen drei Teams werden nach den Tests aktuell die besten Chancen eingeräumt. Doch was ist mit McLaren? Die ambitionierten Briten schafften es auch in Barcelona nicht, überzeugende Resultate abzuliefern. An den vier Tagen - inklusive dem Regensamstag - schaffte es der MP4-26 nur 221 Mal um den Circuit de Catalunya; also weit weniger als die große Konkurrenz. Die nackten Zahlen beweisen: In der aktuellen Verfassung zählt McLaren nicht zu den Top-Anwärtern auf Siege. "Glaube ich, dass ich ein Auto habe, mit dem ich die Weltmeisterschaft gewinnen kann? Das tue ich nicht, nein", gestand sich selbst Lewis Hamilton ein.

In Barcelona sorgten abermals Hydraulik- und Auspuffprobleme für lange Gesichter und viel Zeit in der McLaren-Box. Es scheint, als ob die Mannschaft es immer noch nicht geschafft hat, die nötige Zuverlässigkeit des Autos in den Griff zu bekommen. Vom Speed ganz zu schweigen: Als einziges der Top-Teams schaffte es McLaren nicht, im 1,21er-Bereich zu landen. Doch zu sehr wollte Hamilton nicht in Trauer verfallen: "Ich benutze das Wort 'frustrierend' nicht gerne, denn ich bin nicht frustriert. Es ist hart für alle im Team, denn jeder steckt so viel Arbeit hinein und das Ergebnis sieht so schön aus... es ist kein Desaster, es hat einfach momentan nicht so viel Leistung, wie wir das gerne hätten."

Hamilton hofft auf die Reifen

Zwei Wochen bleiben dem Team noch Zeit, um ein wettbewerbsfähiges Auto auf die Beine zu stellen. Während die Mitbewerber bereits an den Details feilen, steht bei McLaren noch Basisarbeit auf dem Programm. Ob die Zeit reicht? Hamilton scheint sich nicht sicher und hofft auf einen weiteren Faktor. Die neuen Pirelli-Reifen könnten dafür sorgen, dass das erwartete Fahrerfeld kräftig durchgemischt wird. "Bei den ersten Rennen kann man erwarten, dass bei den Boxenstopps alle etwas verwirrt sein werden", so der Brite.

Fazit: Mercedes hat sich aufgrund der starken Performance in Barcelona schlagartig an die beiden Top-Teams angenähert. Red Bull gilt weiter als das am besten vorbereitete Team, dicht gefolgt von Ferrari. Die aktuellen Weltmeister sind den Italienern wohl aufgrund der einprägsamen Rundenzeiten noch einen Tick voraus. Was mit McLaren los ist, wissen die Briten derzeit wohl nicht einmal selbst in vollem Umfang.