Die provisorischen Boxen sind wieder abgebaut, auf der Strecke und auf den Tribünen ist es ruhig geworden - der Formel-1-Zirkus hat sich nach vier spannenden Testtagen aus Jerez verabschiedet. Die zweiten Testfahrten in diesem Jahr sind abgeschlossen, schon am Freitag geht es in Barcelona weiter.

Motorsport-Magazin.com analysiert, was bei den Tests innerhalb der Top-Teams auf und abseits der Strecke passiert ist. Das Augenmerk liegt zunächst auf den unterschiedlichen Bestzeiten. Nicht Sebastian Vettel, Lewis Hamilton oder Fernando Alonso trugen sich an den Tagen ganz oben in der Zeitentabelle ein. Stattdessen liest man die Namen Felipe Massa, Michael Schumacher, Nick Heidfeld und Rubens Barrichello - nicht unbedingt Favoriten, was die WM angeht.

Welche Aussagekraft besitzen die Topzeiten?

Zumindest bei Schumacher, Heidfeld und Barrichello muss man genauer hinterfragen, wie diese Zeiten zustande gekommen sind. Zuletzt war der verpönte Begriff "Vorstandszeit" häufiger durch die Boxengasse gegeistert - also Fabelzeiten, um die Investoren und Sponsoren der Teams ruhig zu stellen. In Schumachers Fall ist dies nicht von der Hand zu weisen. "Da hat er wohl eine kleine Show für Deutschland gefahren", stichelte Mark Webber kurz nach Schumachers Bestzeit am zweiten Tag. Der Rekord-Champ war auf den superweichen Pirelli-Reifen unterwegs und hatte laut Webber nur wenig Benzin am Bord. "Ich war auf einem Zehn-Runden-Run unterwegs und andere Teams haben die Reifen auch genutzt", verteidigte der Mercedes-Pilot seine Leistung.

Michael Schumacher in der Mercedes-Box, Foto: Mercedes GP
Michael Schumacher in der Mercedes-Box, Foto: Mercedes GP

Sicher ist: Zuletzt mussten sich die Silberpfeile teils heftige Kritik anhören, nachdem gerade Nico Rosberg häufig Probleme mit dem neuen MGP-W02 hatte und weitaus mehr Zeit in der Boxengasse verbringen musste, als sein erfahrener Teamkollege. Während Rosberg am ersten Jerez-Tag noch mehr als drei Sekunden auf Felipe Massa fehlten, dürfte Schumachers Bestzeit vorerst einige Kritiker zum Schweigen gebracht haben. Laut Merecedes soll der neue Bolide vorerst eher ein Interims-Auto darstellen, für den Saisonauftakt in Bahrain würde ein großes Update folgen.

Heidfeld-Zeit ein gutes Job-Argument

Dann wäre da Nick Heidfelds F1-Comeback, das wie eine Bombe einschlug. Nach dem tragischen Rallye-Unfall von Lotus Renault Stammpilot Robert Kubica erhielt der 33-Jährige die Chance, doch noch einen begehrten Job in der Königsklasse zu ergattern. Heidfeld nutzte sie. Zwar betonte "Quick Nick" immer wieder, dass er nicht auf die Zeiten, sondern auf die Entwicklung des Autos geschaut habe. Klar ist aber auch, dass seine Bestzeit ein sehr gutes Argument für einen Stammplatz im R31 ist. Dass der schwarz-goldene Bolide in diesem Jahr richtig viel Potenzial zu besitzen scheint, ist nicht nur Heidfeld aufgefallen. Vor seinem Crash hatte Kubica in Valencia bereits Topzeiten hingelegt und der R31 mit seinem revolutionären Abgas-System einen starken Eindruck hinterlassen. Ersatzfahrer Bruno Senna hatte in Jerez noch zu sehr mit sich selbst zu kämpfen, doch mit einem starken Fahrer an Bord könnte Renault um Siege mitfahren.

Letzter der verblüffenden Top-Timer in Jerez war Rubens Barrichello. Als erster der Fahrer schaffte er es am vierten Testtag, die 1,20er-Minutenmarke zu unterbieten. Lässt man diese Fabelzeit einmal außer Acht, könnte man die Williams-Zeit in Jerez in drei Worten zusammen fassen: Pleiten, Pech und Pannen. Erst verursachte der neue Heckflügel Probleme, dann fiel so ziemlich alles am KER-System aus, was nur ausfallen konnte. Die Folge: Bei Barrichellos Top-Run war das Hybrid-System gar nicht an Bord. Eine Gewichtsersparnis von immerhin 25 Kilogramm, dazu kühle Temperaturen, neue Reifen und natürlich fahrerisches Können - fertig ist die Topzeit.

Sicher ist aber, dass der FW33 noch mit argen Problemen zu kämpfen hat, auch wenn Technikchef Sam Michael diese im Zuge der Euphorie gekonnt herunter spielte: "Nichts konnte uns davon abhalten, mehr als 100 Runden am Stück ohne Probleme zu fahren." Auch nicht das KER-System - das lag schließlich in der Box...

Zufriedene Stille um Red Bull

Mit dem KERS-Problem muss man sich bei Red Bull noch nicht herum schlagen. Weder Sebastian Vettel noch Mark Webber hatten den Hybrid-Antrieb in Jerez an Bord. Um das Weltmeister-Team war es insgesamt erstaunlich ruhig in Jerez - und das ist gut für die Bullen. Mit Topzeiten glänzte das Fahrer-Duo nicht, aber der RB7 lief fast wie ein "Duracell-Häschen". Runde um Runde spulten Vettel und Webber auf dem Circuito de Jerez ab, insgesamt waren es nach den vier Tagen 395 - und das ohne aufsehenerregende Ärgernisse. "Es lief ziemlich gut. Wir konnten unser Programm plangemäß abspulen", erklärte Webber nüchtern.

Der Red Bull reihte sich in der Zeitentabelle meist im Mittelfeld ein. Das lag vor allem an den häufigen Longruns, die das Team immer und immer wieder durchzog. Dass nach einem 15-Runden-Lauf mit den verschleiß-freudigen neuen Reifen keine Bestzeit heraus springt, ist offensichtlich, aber der RB7 scheint auf einem guten Weg, was die WM-Verteidigung angeht. "Wenn man davon ausgeht, dass Red Bull im vergangenen Jahr eine halbe Sekunde Vorsprung hatte, sind sie auch in diesem Jahr die Referenz", erklärte Ferrari-Pilot Alonso. Barrichello stimmte nach den vier Testtagen zu: "Red Bull liegt in Front."

Fernado Alonso passiert die begeisterten Fans, Foto: Sutton
Fernado Alonso passiert die begeisterten Fans, Foto: Sutton

Hat Ferrari die Nase vorn?

Ist das wirklich der Fall? Nicht wenige Experten sehen aktuell Ferrari als stärkstes Team im Feld. Die Performance in Jerez spricht dafür: 463 Mal umrundete der F150th Italia den Kurs, kein anderes Team war so testfreudig wie die Scuderia. Wenn der Red Bull das "Duracell-Häschen" darstellte, war der Bolide aus Maranello klar der "Duracell-Hase". Massa und Alonso spulten ein Pensum ab, bei dem man sich fragen musste, ob die beiden auch mal schlafen. Der Ferrari lief konstant - und schnell. Im Schnitt lagen die Roten mindestens auf dem gleichen Zeiten-Niveau wie der große Konkurrent Red Bull.

"Jetzt konzentrieren wir uns darauf, das Auto stark zu machen. Für all die kleinen Probleme, die bei Tests auftreten, etwa mit zu hohen Temperaturen oder so, haben wir jetzt Zeit. Ich bin nach den vier Tagen in Jerez sehr zufrieden. Es gab keine Probleme für Felipe und keine Probleme für mich, wir machen gute Fortschritte", zeigte sich Alonso mit der Performance seines Arbeitsgerätes sichtlich zufrieden. Kritiker hatten der Scuderia vorgeworfen, ein zu konservatives Design an den Start gebracht zu haben. Technische Revolutionen gab es keine, doch der F150th Italia kommt auch ohne Innovationen gut zurecht. Man darf gespannt sein, was sich das Team um Teamchef Stefano Domenicali bis zum ersten Rennstart in Bahrain noch einfallen lassen wird. Der Weg ist geebnet.

Bloß schnell weg: McLaren in Jerez, Foto: Pirelli
Bloß schnell weg: McLaren in Jerez, Foto: Pirelli

Frust pur bei McLaren

Fehlt noch das letzte Top-Team im Bunde: McLaren, das große Sorgenkind in Jerez. Einfach ausgedrückt, lief den Briten fast nichts zusammen. Sichtlich frustriert zog das ambitionierte Team aus Jerez ab, nicht einmal Interviews wollten die Fahrer geben. Was war passiert? Schaut man sich die Zeitentabellen der vier Tage an, erblickt man Lewis Hamilton und Jenson Button immer wieder im oberen Drittel - wenn sie denn fuhren. Das Problem: Der MP4-26 drehte nur lächerliche 233 Runden über den Circuito de Jerez. Viel öfter stand der spektakuläre Bolide in der Box; vor scheinbar ratlosen Mechanikern. Kinderkrankheiten machen dem Auto sichtbar zu schaffen und verursachen größte Probleme.

Button und Co. müssen nachlegen

Zudem war man offensichtlich nicht in der Lage, benötigte Ersatzteile nach Spanien zu transportieren. Zwar hüllte man sich in großes Schweigen, was die technischen Neuerungen anging, doch die beiden in Jerez getesteten Diffusoren und Abgas-Trakte stecken noch voll in der Entwicklung. Dabei ist die Hälfte der Vorsaison-Testfahrten vorüber, allzu viel Zeit bleibt McLaren einfach nicht mehr. Die Briten müssen mächtig Gas geben, um den riesigen Nachteil zur Konkurrenz rechtzeitig bis Bahrain wettzumachen.

Zusammengefasst: Mit Ausnahme von McLaren befinden sich die Top-Teams auf einem guten Weg, Ferrari könnte die Nase derzeit leicht vorn haben. Lotus Renault scheint ein starkes Auto konstruiert zu haben, dass die Elite ordentlich unter Druck setzen kann. Dazu sollte man die einzelnen Topzeiten der Testfahrten im Hinblick auf die WM nicht überbewerten, bis Bahrain wird sich noch eine Menge entwickeln.