Motorsporthistorikern, Geschichtsliebhabern und eingefleischten (britischen) Rennfans dürfte es seit einiger Zeit regelmäßig den Magen umdrehen. Statistiken, ruhmreiche Helden und glorifizierte Legenden sind ihnen heilig. Ferrari ist eine davon. Geprägt vom alten Mann aus Maranello, dem Commendatore, Enzo Ferrari, Weltmeistertiteln und GP-Siegen in Serie und vergötterten Piloten wie Niki Lauda, Gilles Villeneuve und Michael Schumacher, obwohl dieser heute sicher nicht mehr ganz oben steht in der Beliebtheitsskala bei der Scuderia und den heißblütigen Tifosi.

Einen ähnlichen Klang hat der Name Lotus. Jarno Trulli sagt voller Überzeugung: "Diese Marke ist die einzige, die sich im Motorsport mit Ferrari vergleichen lässt." 1952 als Team Lotus von Enzo Ferraris britischem Konterpart Colin Chapman gegründet, errang Lotus bis zur Schließung des Teams im Jahr 1994 in 491 Formel-1-Rennen mit Fahrern wie Jim Clark, Graham Hill, Jochen Rindt, Emerson Fittipaldi, Mario Andretti und Ayrton Senna 6 Fahrerweltmeisterschaften, 7 Konstrukteurweltmeisterschaften, 71 schnellste Rennrunden, 79 Siege und 107 Pole Positions.

Lotus zählte die Rennen bis zum falschen Jubiläum herunter..., Foto: Sutton
Lotus zählte die Rennen bis zum falschen Jubiläum herunter..., Foto: Sutton

Nach 15 langen Jahren sind sie wieder zurück und bestreiten am Wochenende in Valencia ihren 500. Grand Prix, oder etwa nicht? Mit Lotus Racing schickt sich ein in Norfolk beheimatetes Formel-1-Team an, die Lotus-Tradition fortzusetzen. Allerdings wurde Lotus Racing mehr neu erschaffen, als sensationell wiederbelebt.

Eigentlich heißt das Unternehmen 1Malaysia F1 Racing Team, ein von malaysischen Unternehmern wie AirAsia-Boss und Teamchef Tony Fernandes privat finanziertes Projekt der Tune und der Naza Gruppe, das zudem die volle Unterstützung der malaysischen Regierung, deren 1Malaysia Initiative sowie des staatlichen Autobauers Proton genießt, der seit 1997 die Namensrechte an der Marke Lotus besitzt und dem Team zur Verfügung stellt. An dieser Stelle beginnt bei den eingangs erwähnten englischen Hardcorefans mal wieder der Magen heftig zu rebellieren.

Reichen eine gold-grüne Retro-Lackierung und die Ankündigung aus, dass der erste Sieg des Teams (der so schnell nicht um die Kurve biegen wird) der 80. Lotus-Sieg und nicht der erste des neuen Rennstalls sein wird, um das Lotus-Erbe fortzusetzen und den britischen Rennmythos wieder aufblühen zu lassen? "Ja, es ist ein neues Team, aber wir behalten die Geschichte und das Vermächtnis des alten Teams", sagt Technikchef Mike Gascoyne. "Ist McLaren noch das Team, das Bruce McLaren gegründet hat? Nein, das ist es nicht. Es ist komplett anders."

Jim Clark in einem echten Lotus, Foto: Sutton
Jim Clark in einem echten Lotus, Foto: Sutton

Auch Ferrari hat sich ohne seinen Namensgeber verändert, selbst das neue Mercedes Silberpfeil-Werksteam ist nicht mehr jenes der 30er und 50er Jahre. Trotzdem: Bei all diesen Beispielen ist eine gewisse Kontinuität und Echtheit gewahrt, es wurde nicht nur ein bekannter Name in einem gänzlich neuen Umfeld auf ein völlig neues Produkt gepappt, das von einem anderen Besitzer, vor einem anderen Hintergrund und mit einer anderen Nationalität hergestellt wird.

In nur fünf Monaten während der Wirtschaftskrise aus dem Nichts ein F1-Auto auf die Räder zu stellen, das tatsächlich existiert, nicht als amerikanischer Phantomtoaster verunglimpft wird und vom ersten Tag an fährt, ohne sich beim Jungferntest selbständig in alle Einzelteile aufzulösen, ist eine fantastische Leistung von Gascoyne und Fernandes.

Aus Marketingsicht ist die Namenswahl ein ebenso cleverer Schachzug, aber wäre es nicht noch schöner für die Verantwortlichen, die anvisierte Zielgruppe in Malaysia und die britischen F1-Fans, wenn das malaysische Nationalteam, als das es verkauft wird, auch tatsächlich unter malaysischer Flagge und mit einem eigenen Namen à la Force Malaysia Erfolge feiern würde?