Die MotoGP hat mit dem Spanien-GP noch nicht einmal ein Fünftel ihrer Saison 2024 absolviert. Und schon jetzt sind Marc Marquez und Francesco Bagnaia zwei Mal aneinandergeraten. Jorge Martin führt zwar die WM-Tabelle an und Pedro Acosta begeistert in seinem Rookie-Jahr mit herausragenden Leistungen, doch die Fights zwischen den Startnummer 1 und 93 stellen all das in den Schatten.
Wenn insgesamt elf Weltmeistertitel - acht für Marquez und drei für Bagnaia - aufeinandertreffen, ist das stets brisant und die Anziehungskraft dieses Kräftemessens nur logisch. Doch das Duell der beiden Ausnahmekönnern ist auf mehreren subtilen Ebenen interessant, denn die Protagonisten stecken in eigentlich vertauschten Rollen.
Als der um vier Jahre jüngere Bagnaia 2019 in die MotoGP kam, war Marquez am Höhepunkt seiner Karriere und dominierte nach Belieben. Bagnaia erlebte eine schwierige Debütsaison und hatte mit den Spitzenpositionen nichts zu tun. Als der Italiener in den vergangenen beiden Jahren zu zwei MotoGP-Gesamtsiegen fuhr, plagte sich Marquez mit den Folgen seiner schweren Oberarmverletzung und der immer weniger konkurrenzfähigen RC213V.
Marquez und Bagnaia gingen sich bislang sportlich also mit ganz wenigen Ausnahmen aus dem Weg. Erst 2024 kreuzen sich ihre Karrierewege nun erstmals wirklich. Das sorgt für die kuriose Situation, dass sich der ältere und erfolgreichere Marquez in der Rolle des Herausforderers wiederfindet, während Bagnaia versucht, seine Vormachtstellung in der MotoGP zu verteidigen.
Um Bagnaia vom Thron zu stürzen, muss sich Marquez im Arsenal des Titelverteidigers bedienen. Dem wird ja aufgrund seiner nüchternen und analytischen Art gerne etwas despektierlich nachgesagt, er wäre mehr Ingenieur als Racer. Doch genau diesen Typ Fahrer braucht es in der aktuellen MotoGP - und vor allem auf der Ducati Desmosedici GP, die von den Piloten als Formel-1-Auto auf zwei Rädern charakterisiert wird. Das musste auch Marc Marquez feststellen. Er zwingt sich seither, das Motorrad exakt am Limit und nicht wie in der Vergangenheit jenseits aller Grenzen zu bewegen. Er versucht gewissermaßen, sich in einen Francesco Bagnaia 2.0 zu verwandeln.
Bagnaia wiederum verhält sich im direkten Zweikampf wie ein Marc Marquez zu seinen besten Zeiten. Weder in Portimao noch in Jerez ließ er seinem Widersacher auch nur einen Zentimeter Platz zu viel. In Jerez ging die Strategie auf, Bagnaia gewann das Rennen vor Marquez. In Portimao landeten beide Fahrer im Kies. Doch auch diese Kollision war für Bagnaia nicht unbedingt eine Niederlage, denn er hatte Marquez gezeigt, wozu er bereit ist. Die Botschaft kam bei Marquez an: In Jerez war er es, der im entscheidenden Moment zurückzog. "Ich hatte keine Angst, dass es zum Sturz kommen könnte", sagte Bagnaia nach dem Rennen. "Ich schon", sagte Marquez.
Dieses fast schon zahme Verhalten des sonst so kompromisslosen Marquez könnte auch mit seiner langfristigen Karriereplanung zu tun haben. Er will über 2024 im Ducati-Lager bleiben. "Die Desmosedici ist das kompletteste Motorrad. Jeder Fahrer will das haben", erklärte er am Wochenende in Jerez. Doch Marquez will nicht weiterhin auf einer Vorjahresmaschine sitzen, sondern ein Bike der offiziellen Spezifikation haben. Dieses wird es auch 2025 nur im Werksteam und aller Voraussicht nach bei Pramac Racing geben. Die Fahrerverträge für beide Rennställe liegen im Verantwortungsbereich der Ducati-Bosse. Um einen dieser heiß begehrten Plätze zu ergattern, muss sich Marquez auch an die Spielregeln in Borgo Panigale halten. Und die beinhalten auch, Erfolgsgarant Bagnaia nicht in regelmäßigen Abständen vom Motorrad zu räumen.
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