Das DTM-Saisonfinale auf dem Hockenheimring (07.-09. Oktober 2022) verspricht eine äußerst hart umkämpfte Angelegenheit zu werden. Theoretisch können zehn Fahrer die Meisterschaft gewinnen, selbst der amtierende Champion Maximilian Götz (Winward-Mercedes) hat als Gesamt-Zehnter mit seinen 74 Punkten zumindest auf dem Papier noch Chancen.

Praktisch können sich bei 58 zu vergebenden Punkten Spitzenreiter Sheldon van der Linde (Schubert-BMW, 130 Punkte), Lucas Auer (Winward-Mercedes, 119), Rene Rast (Abt-Audi, 118), Thomas Preining (Bernhard-Porsche, 116) und Mirko Bortolotti (GRT-Lamborghini, 114) die größten Hoffnungen auf den Titelgewinn machen. Fünf Fahrer von fünf unterschiedlichen Marken an der Spitze - das klingt schon jetzt nach langen Abenden für die Rennleitung...

In den vergangenen Wochen seit dem Ende der Sommerpause waren die Fahrer-Standards in der DTM das große Thema. Eine Abstandsregel mit einer halben Wagenbreite - wohlgemerkt geltend für die Ein- und Ausgänge von Kurven und nicht generell - sollte Abhilfe schaffen. Zum letzten Spielberg-Event passte die Rennleitung das offizielle Wording an, inzwischen ist die Rede von "angemessenem Abstand" und "respektvollem Fahren".

Tatsächlich ging es nach den oftmals überharten Nürburgring-Kämpfen bei den folgenden Events in Spa und Spielberg insgesamt gesitteter zu. Das harte Durchgreifen der Rennleitung zeigte seine Wirkung. Aber: Die beiden Vorfälle in Spielberg mit der nachträglichen Rücknahme der Zeitstrafe gegen Thomas Preining nach seinem Duell gegen Nico Müller (Rosberg-Audi) sowie eine ausbleibende Strafe für Maro Engel (GruppeM-Mercedes) nach seiner Kollision mit Laurens Vanthoor (SSR-Porsche) sorgten für Konfusion.

Wissen die Fahrer vor dem Hockenheim-Finale wirklich, was in Zweikämpfen erlaubt ist und was wie bestraft wird? "Kein Kommentar", hieß es von einigen Piloten in Spielberg auffallend strikt auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com. Kaum jemand wollte sich öffentlich äußern, offenbar aus Sorge vor einer vermeintlichen Benachteiligung durch die Rennleitung beim Saisonfinale.

Hinter vorgehaltener Hand brachten mehrere Titelanwärter und Teamchefs zum Ausdruck, dass einige Verhaltens-Klarstellungen und Strafen bzw. Nicht-Bestrafungen durchaus für Verwirrung gesorgt hätten. Das ist ein potenzieller Konflikt für die beiden letzten Rennen des Jahres in Hockenheim mit seinen zahlreichen Überholmöglichkeiten in der ersten Kurve, der Spitzkehre oder dem Abschnitt Mercedes-Arena.

Von einer Disharmonie wollte der neue DTM-Rennleiter Scot Elkins nichts wissen. Zwar räumte der US-Amerikaner ein, dass die nachträgliche Rücknahme der Preining-Strafe Raum biete für Diskussionen: "Wenn eine Entscheidung nachträglich geändert wird, kann jeder leicht sagen, dass er dachte, es müsse so oder so laufen."

Aber, so Elkins weiter: "Meinungen sind wie Nasen - jeder hat eine. Ich verstehe, dass das etwas verwirrend sein konnte. Ich fühle aber keine Disharmonie mit Blick auf meine Erkenntnisse aus den Fahrer-Briefings oder unserer WhatsApp-Gruppe. Ehrlich gesagt, habe ich das Gefühl, dass wir uns näher sind als je zuvor. Vor allem nach dem persönlichen Treffen in Spa, bei dem wir alles besprochen haben."

Elkins wollte nicht ausschließen, dass sich einige Fahrer hinter vorgehaltener Hand beschwerten - zu ihm selbst sei aber nichts dergleichen durchgedrungen: "Wenn jemandem etwas nicht passt, wäre es ein Leichtes, das mit dem Rennleiter zu besprechen. Das ist aber nicht geschehen."

Bemerkenswert und zunächst nicht bekannt: Elkins selbst bat im Zuge der eigens verhängten 10-Sekunden-Zeitstrafe für Porsche-Werksfahrer Preining die Sportkommissare, den Fall im Nachgang noch einmal aufzurollen. Die 'SpoKos' überstimmten nach Ansicht aller erst nach dem Rennen verfügbaren Daten die Entscheidung und nahmen die Strafe zurück. Elkins sei nach dem Rennende nicht zu 100 Prozent von seiner Entscheidung überzeugt gewesen, räumte er später ein. Die finale Verkündung samt Ergebnis-Änderung erfolgte dann erst rund vier Stunden nach dem Rennende.

Elkins: "In der Race Control geht es während eines Rennens sehr geschäftig zu. Ich kann mir die Vorfälle anschauen, sehe aber nur ausgewählte Blickwinkel. Ich habe keine Onboard-Aufnahmen und kann nicht mit den Fahrern sprechen. Je länger ich darüber nachdachte, desto unwohler fühlte ich mich. Das habe ich mehrfach dieses Jahr gemacht. Entscheidungen während eines Rennens werden sehr schnell getroffen und es ist möglich, dass man nicht alles sehen kann, was man sehen sollte."

Die Entscheidung der Sportkommissare, Preining nach seinem sehenswerten Duell mit Noch-Audi-Werksfahrer Müller doch nicht zu bestrafen, gefiel nicht nur den Zuschauern, sondern auch DTM-Boss Gerhard Berger. Der langjährige Formel-1-Fahrer sprach mit Blick auf die engen Zweikämpfe zwischen den robusten GT3-Autos von einer "ganz feinen Linie". Dabei machte Berger ausdrücklich klar, dass er seine Meinung zwar mitteile, aber nicht in die sportlichen Belange eingreifen wolle.

Berger: "Ich saß lange in Rennautos und kann sagen, wo die Linie ist. Aber für die Sportkommissare, die nicht im Rennauto waren, ist es wahnsinnig schwer, sie zu finden. Deshalb habe ich meistens ein anderes Verständnis. Für mich waren die ganzen Preining-Aktionen super. Das war für mich Motorsport vom Feinsten. Er ist aggressiv und gut gefahren und hat den anderen nicht in die Wüste geschickt. Der hat einfach harten Motorsport geliefert."

Mit den Sportkommissaren in der DTM sei Berger grundsätzlich sehr zufrieden, nur relativ selten gebe es Probleme. Aber: "Ich glaube, dass sich Sportbehörden langfristig mehr mit der Ausbildung von Sportkommissaren befassen müssen. Das ist nicht negativ gemeint, sondern ein Ausbildungsthema. Ich glaube, dass man das vernachlässigt hat über die Jahre. Wir brauchen Sportkommissare, die noch mehr Gefühl einbringen."