Sicherheit in der Boxengasse während eines Rennens - nicht erst seit der Verletzung eines Mechanikers von Abt Sportsline ein wichtiges Thema in der DTM. Der Unfall rund um den missglückten Boxenstopp von Mike Rockenfeller am Sonntag in Hockenheim war zwischen unzähligen problemfreien Räderwechseln der zweite Vorfall in der laufenden Saison, bei dem ein Mechaniker verletzt wurde.

Bereits auf dem Nürburgring hatte ein Mechaniker des Mercedes-Teams GruppeM Racing einen Schaden davongetragen, als er von Gaststarter Luca Stolz (Toksport-Mercedes) bei der Anfahrt zum Boxenplatz erwischt wurde. Während dieser Fall mehr oder weniger glimpflich endete und das Teammitglied nach einem Krankenhaus-Check am selben Abend zur Strecke zurückkehren konnte, musste der Abt-Mechaniker an der linken Hand operiert werden.

Das Team-Mitglied, das die Äbte als äußerst wichtig bezeichnen und das neben den Boxenstopps weitere relevante Aufgaben an einem Rennwochenende übernimmt, verpasst das Saisonfinale auf dem Norisring am kommenden Wochenende.

Auch aufgrund des Formel-E-Programms hat Abt Sportsline zwar ausreichend Mitarbeiter in den eigenen Reihen, die Erfahrung aufweisen und mit Druck umgehen können sowie sogar eine komplette zweite Boxen-Mannschaft. Doch der notwendige Wechsel bei der Crew von Rockenfeller und Titelanwärter Kelvin van der Linde ist zumindest kein Vorteil...

DTM-Reglement während Saison geändert

Der Unfall bei Rockenfeller ereignete sich, weil die Hinterräder seines Audi R8 LMS GT3 bereits durchdrehten, als das Auto noch aufgebockt war. Am linken Hinterrad hatte der Mechaniker zu diesem Zeitpunkt noch eine Hand an der Felge. Rockenfeller, der am Boden zerstört und weinend in der Abt-Box zu sehen war, erhielt nachträglich eine 30-Sekunden-Zeitstrafe, weil er laut Urteil "zu früh gestartet" sei.

In der DTM-Vergangenheit waren durchdrehende Räder während eines Boxenstopps strikt verboten und wurden stets hart bestraft. Zum Beginn der aktuellen Saison war diese Thematik tatsächlich noch gar nicht im Reglement geklärt.

Erst am Freitag zu Beginn des dritten Rennwochenendes in Zolder kam es zu einer Klarstellung: "Nachdem alle vier Räder gewechselt wurden, ist der früheste Moment für das Drehen der Räder der Moment, in dem alle am Radwechsel beteiligten Mechaniker dem Fahrzeug-Kontrolleur deutlich sichtbar signalisiert haben, dass ihre Arbeit beendet ist."

Warum dies vor Zolder verabschiedet worden ist, erklärte Renndirektor Niels Wittich bei Motorsport-Magazin.com: "Die Teams hatten die Rennleitung angesprochen, die Regularien für die Boxenstopps klarzustellen. Wir haben dann gemeinsam und in Abstimmung mit den Teams in der Sporting Working Group die aktuellen Bestimmungen definiert."

In der Boxengasse geht es oftmals hektisch zu, Foto: DTM
In der Boxengasse geht es oftmals hektisch zu, Foto: DTM

Sicherheit trotz Performance-Boxenstopps in DTM

Warum die Boxenstopps vor allem in der DTM ein Thema sind und die Sicherheit durch vielfache Regelvorgaben gewährleistet sein soll, ist klar: In der Traditionsserie gibt es im Gegensatz zu allen anderen GT3-Rennserien sogenannte Performance-Boxenstopps ohne eine Mindeststandzeit. Dadurch will die DTM-Dachorganisation ITR an einem bisherigen Wettbewerbs-Faktor festhalten.

Eine Abschaffung der Mindeststandzeit wurde öffentlich bislang nicht gefordert, doch nach der Saison müssen die Verantwortlichen das Thema ganz genau unter die Lupe nehmen - vor allem wegen der Sicherheit, aber auch wegen der baubedingten Unterschiede zwischen den Herstellern, über die wir bereits vielfach berichtet haben.

Ein Abt-Teammitglied, das namentlich nicht genannt werden wollte, erhob gegenüber Motorsport-Magazin.com sogar schwere Vorwürfe: "Das hat die ITR nun von ihren gewollten Performance-Boxenstopps, die die benachteiligten Teams zu immer schnelleren Stopps veranlassen und herausfordern." Abt-Teamchef Thomas Biermaier teilte unterdessen mit, dass Performance-Boxenstopps Teil der DTM-DNA seien und bleiben sollten: "Aber wir dürfen nie aufhören, die Sicherheit zu verbessern."

DTM-Manager Frederic Elsner reagierte auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com auf die erhobenen Vorwürfe: "Wir bedauern natürlich sehr, was dem Mechaniker des Teams Abt Sportsline bei dem Pflichtboxenstopp widerfahren ist. An dieser Stelle einen Zusammenhang zum Thema Performance Boxenstopp herzustellen, ist unserer Meinung nach nicht richtig."

Mehr Sicherheit durch spezielle Technik?

In der Theorie gäbe es unterschiedliche Möglichkeiten, weiter an der bereits hohen Sicherheit bei den Boxenstopps zu feilen - auf technischer sowie auf menschlicher Seite. "Es gibt andere Meisterschaften, bei denen du den Motor ausmachen musst, wenn du stoppst", sagte Kelvin van der Linde bei einer DTM-Onlinepressekonferenz an diesem Mittwoch. "Du kannst das Auto erst wieder starten, wenn es auf dem Boden steht. Das wäre eine der logischsten und einfachsten Änderungen für nächstes Jahr."

Ein derartiges System nutzen tatsächlich die Ferrari 488 GT3 von AF Corse in der DTM. Das sei auch ein Grund gewesen, wieso Liam Lawson und Alex Albon (wird am Norisring durch Nick Cassidy ersetzt) ihre Autos nach dem Ablassen mehrfach abwürgten. Der Meisterschaftsführende: "Durch dieses Sicherheits-Feature können die Räder nicht drehen, wenn das Auto noch in der Luft ist. Vielleicht sollten alle Autos ausgehen, wenn sie angehoben werden. Alle GT3-Autos haben einen Restart-Knopf, der sehr schnell funktioniert. Darüber sollte man sprechen, denn es ist sehr unglücklich, was da passiert ist."

Auch Mercedes-AMG GT3 hat ein solches Drop-Start-System entwickelt. Stefan Wendl, Leiter Mercedes-AMG Customer Racing, warnte allerdings vor technischen Schnellschüssen. "Wir hoffen, dass es dem Mechaniker bald wieder gut geht", sagte er während einer AMG-Medienrunde am Mittwoch. "Solch ein System sichert nicht ab, dass hinten ein Mechaniker eventuell noch eine Hand in der Felge hat. Es gibt sicherlich weitere Möglichkeiten, die Boxenstopps noch sicherer zu machen. Vielleicht, indem man dafür sorgt, dass die Vorderräder als letztes festgemacht werden müssen. In dem Moment würde man ausschließen, dass am Hinterrad etwas passieren kann."

Heikles DTM-Thema: die Boxenstopps 2021, Foto: Red Bull Content Pool
Heikles DTM-Thema: die Boxenstopps 2021, Foto: Red Bull Content Pool

Van der Linde: Performance-Boxenstopps Teil des Spiels

Walkenhorst-Pilot Marco Wittmann meinte vor seinem Heimspiel auf dem Norisring: "Die Boxenstopps waren ein großes Thema. Sicherheit muss an erster Stelle stehen. Früher waren sich drehende Räder bei den Wechseln schon nicht erlaubt. Über den Winter müssen wir meiner Meinung nach einige Sachen anpassen."

Die ITR wird sich auch nach den bisherigen Erfahrungen fragen müssen, wie die Sicherheit noch weiter verbessert werden kann, ohne dabei den Wettbewerbs-Faktor außen vor zu lassen. Der ist auch von Seiten der aktuellen Fahrer durchaus gewollt, wie Kelvin van der Linde meinte: "Performance-Boxenstopps sind Teil des Spiels, gleichzeitig müssen wir die Sicherheit beachten. Die DTM will die beste GT-Serie der Welt sein, da kann man nicht zu viel zähmen. Ein Risiko besteht immer. Es gibt so viele clevere Ingenieure bei den Herstellern, bestimmt können sie etwas entwickeln."

Der frühere DTM-Champion Hans-Joachim Stuck, am Mittwoch ebenfalls zu Gast in der Pressekonferenz, hatte als erfahrener FIA-Steward gleich einen Vorschlag parat. "Eine Mindestzeit vom Boxeneingang bis zum Ausgang, die der Fahrer kontrollieren muss, wäre keine schlechte Idee", sagte der 70-Jährige, der dieses System aus seinen jüngsten Einsätzen in der GT2-Rennserie von SRO-Boss Stephane Ratel kennt. "Wo sollen die Rennen entschieden werden: in der Box oder auf der Strecke?"