Wundertüten-Finale in der DTM! Am kommenden Wochenende (08.-10. Oktober 2021) trägt die Traditionsserie erstmals ihren Saisonabschluss auf dem Norisring aus. Viel entscheidender als dieses Novum in der mehr als 30-jährigen Geschichte der DTM: Auf dem Nürnberger Stadtkurs sind noch nie Autos der aktuellen GT3-Generation gefahren.

Die letzten Daten führen auf das Jahr 2008 zurück, als zum ersten und bislang einzigen Mal ein Rennen mit GT3-Fahrzeugen auf dem 2,3 Kilometer langen Kurs ausgetragen worden ist. Damals startete das ADAC GT Masters im Rahmenprogramm der DTM. In den Qualifyings und Rennen krachte es mehrfach, der Sonntagslauf wurde wegen eines schweren Unfalls sogar vorzeitig abgebrochen.

Höchste Alarmstufe und haufenweise Fragezeichen für die Teams und Fahrer, die am kommenden Wochenende ihre Runden entlang des Dutzendteichs drehen. Mercedes-AMG hat sich auf ganz spezielle Weise auf das Rennwochenende vorbereitet: mit einem zweitägigen Test auf einem Flughafen. Die Affalterbacher simulierten auf einem abgesperrten Rollfeld tatsächlich das Strecken-Layout des Norisrings mit seinen nur vier Kurven.

Engel absolviert Flugplatz-Test für Norisring

Beim zweitägigen Flugplatz-Test saß der frühere DTM-Fahrer und GT3-Ausnahmekönner Maro Engel am Steuer eines Test-GT3-Mercedes, der mit spezieller Messtechnik ausgestattet war. Ebenfalls im Einsatz war ein Mercedes-AMG GT4, mit dem der Brite William Tregurtha samt dem Kundenteam CV Performance auf dem Norisring um die Meisterschaft kämpft.

"Wir haben ein Testprogramm aufgesetzt, sodass wir sukzessive Probleme angehen konnten, die wir erwarten oder ausschließen wollen", sagte Stefan Wendl, Leiter Mercedes-AMG Customer Racing in einer AMG-Medienrunde an diesem Mittwoch.

Wendl: Norisring hat Teams Kopfzerbrechen bereitet

Mit Maximilian Götz hat Mercedes-AMG im DTM-Titelkampf noch ein heißes Eisen im Feuer. Der DTM-Rückkehrer hat bei noch maximal 56 zu vergebenen Punkten einen Rückstand von 26 Zählern zu Spitzenreiter Liam Lawson (AF Corse-Ferrari). Neben dem HRT-Piloten sollen auch die weiteren sechs Mercedes-Fahrer in der DTM von den gesammelten Erfahrungen des Herstellers am Norisring profitieren.

"Wir versuchen uns als Hersteller geschlossen auf das Rennen vorzubereiten", erklärte Wendl. "Das hat dem einen oder anderen Kopfzerbrechen bereitet wegen der spezifischen Anforderungen ans Material, die nicht vergleichbar sind mit anderen Strecken, auf denen die aktuelle Generation GT3-Autos schon einmal gefahren ist."

Norisring: Keine technische Änderung für die Bremsen

Im Fokus stehen auf dem berühmten Stadtkurs sicherlich die Bremsen. Immerhin wird auf der nicht-permanenten Rennstrecke laut ITR-Angaben Tempo 260 erreicht. Die errechnete Rundenzeit liegt knapp unter 50 Sekunden (49,6s), die Renndistanz wird voraussichtlich 69 Runden betragen. Die Bremsen werden extrem belastet, wenn vor der Grundig-Spitzkehre fast 70 Mal brachial von 260 auf etwa 47 km/h heruntergebremst werden muss. Dazu kommt ein Volllastanteil von 67 Prozent.

Zu alten DTM-Zeiten gab es eine spezielle Wasserkühlung für die Prototypen, wo der Fahrer mehrfach pro Runde per Knopfdruck die Bremsen mit Wasser etwas kühlen konnte. Eine ähnliche Lösung wurde auch in der aktuellen DTM besprochen, in Absprache mit den Herstellern und der ITR jedoch nicht umgesetzt. "Andere Hersteller hatten keine optionale Ausrüstung für die Fahrzeuge", so Wendl. "Deshalb hat man sich darauf geeinigt, dass die Bremse so bleibt, wie sie ist."

Im Wissen um die enorme Beanspruchung des Materials und der schwierigen Kühlungsthematik (Außentemperaturen, viel Verkehr, harte Bremszonen, Boxengasse etc.) laufen Untersuchungen zur Einschätzung der Bremssituation am Norisring bereits seit dem Saisonbeginn. Dabei geht es um Erfahrungsdaten der Hersteller aus vergleichbaren Streckensituationen, Energiesimulationen durch die Hersteller, Vergleichsmessungen und auch BoP-Ersteller AVL. Spezielle Maßnahmen wie etwa die Kühlung der Bremsen durch berührungslose Luftventilatoren im Parc Ferme wurden durchgespielt.

Engel: Es hat nur der Dutzendteich gefehlt!

Ob auch andere Hersteller in der DTM sich auf derart spezielle Weise vorbereitet haben wie Mercedes-AMG oder auf ihre theoretischen Simulations-Daten setzen, war zunächst nicht bekannt. Die Marke mit dem Stern fühlt sich jedenfalls gut aufgestellt. Wendl: "Wir glauben, dass wir bestmöglich vorbereitet sind."

Engel, der dieses Jahr im ADAC GT Masters um die Meisterschaft kämpft und zusammen mit Teamkollege Luca Stolz den zweiten Platz belegt, nach dem Flugplatz-Test: "Es hat eigentlich nur der Dutzendteich gefehlt! Wir konnten die Strecke relativ gut nachstellen. Es gab Fragen zum Bremsverhalten und wie sich das Fahrzeug generell im Raum verhält. Es war ein sehr positiver Test. Aus Markensicht haben wir unsere Hausaufgaben gemacht, um den Jungs rund um Maxi die bestmöglichen Chancen zu geben."

Götz: Setup-Test in Hockenheim vor Finale

Obendrein nutzte das HRT-Team um Titelanwärter Götz einen weiteren Testtag auf dem Hockenheimring, um sich vorzubereiten und am Basis-Setup zu feilen. An gleicher Stelle hatte die Mannschaft um Besitzer Hubert Haupt bereits die Autos für den Einsatz am kommenden Wochenende vorbereitet. Götz während der Testfahrten: "Wir versuchen uns jetzt noch den letzten Schliff zu holen, dann geht's zum Norisring!"

Über bisherige Flugplatz-Tests in der DTM war bislang wenig bekannt. Eher kannten Experten diesen Kniff aus der Formel E, die fast ausschließlich auf Stadtkursen mit welligem Asphalt fährt. Offenbar ist diese Idee aber alles andere als neu.

Thomas Jäger, DTM-Fahrer von 2000 bis 2003 und inzwischen Kundensport-Koordinator von Mercedes-AMG: "Die Tests haben eine lange Tradition. Ich kann mich noch aus meinen DTM-Zeiten daran erinnern, und das ist 20 Jahre her. Wir wollen unseren Teams maximale Sicherheit geben, deshalb machen solche Vorbereitungen auf spezielle Rennstrecken absolut Sinn."