"Fucking hell! Fuck this was awesome! The best fucking race I ever had in my life! The best fucking racing! Fucking hell Mercedes, you should not leave this championship! You fucking idiots!"
Ein Funkspruch, bei dem Amerika vermutlich kollektiv in Ohnmacht gefallen wäre. Aber auch in Deutschland standen einige Münder weit offen, nachdem Timo Glock seinem Sieg beim DTM-Saisonauftakt 2018 in Hockenheim diese Schimpfwörter-Tirade samt Mercedes-Ansage folgen ließ. Es war der äußerst ambitionierte, wenn auch wenig erfolgreiche Versuch des BMW-Piloten, die Stuttgarter ihren angekündigten Rückzug zum Ende jener Saison überdenken zu lassen.
Möglicherweise sollten Eltern ihren Kindern kurz die Ohren zuhalten, wenn die DTM am 01. August in Spa-Francorchamps in die Saison 2020 startet. Glock konnte im Vorfeld zumindest nicht ausschließen, noch einmal verbal per Funkverkehr nach Rennende aktiv zu werden. Der Absender, das wäre in diesem Fall Audi. Ja, der Fall Audi. Mit weit weniger Vorlauf als Mercedes hat die Marke mit den vier Ringen den Ausstieg angekündigt und die strauchelnde Serie in eine weitere schwere Krise geführt. Jetzt steht der letzte Tourenwagen-Tanz der Marke mit den vier Ringen bevor.
"Ich kann das nicht so aus dem Ärmel schütteln, da müssen Emotionen dabei sein, dann fällt mir schon was ein", sagte Glock und es bleibt nur zu hoffen, dass ihm in Spa ein ähnlich legendäres Duell gelingt wie damals auf dem Hockenheimring mit dem späteren Champion Gary Paffett. Einen Verbündeten hätte der frühere Formel-1-Fahrer jedenfalls schon. "Bei der Wortwahl kann ich dir gerne helfen", kündigte DTM-Chef Gerhard Berger - selbst ein Freund offener Worte - breit grinsend seine Unterstützung an.
Mit ein bisschen weniger 'Fuck you' und dafür einem bisschen mehr Vorwurf hatte der Österreicher auf die für Alle überraschende Ausstiegsankündigung durch den neuen Vorstand in Ingolstadt reagiert. "Hier hätten wir uns - gerade in Corona-Zeiten - ein Vorgehen im Sinne unserer gemeinsamen Gesellschaft gewünscht. Nun ist die Situation zusätzlich verschärft", merkte Berger scharf an und machte schon in seiner ersten Reaktion kein Geheimnis daraus, dass nicht weniger als die Zukunft der DTM auf dem Spiel steht.
Seit dem Daimler-Knall anno 2017 und dem Fernbleiben weiterer Hersteller - das kurze Aston-Martin-Abenteuer mit Privatteam R-Motorsport außen vorgelassen - war für viele Beobachter klar: Totengräber der DTM ist der nächste Hersteller, der den Stecker zieht. Diese Rolle ist nun Audi zugefallen, BMW bleibt zunächst Alleinunterhalter im DTM-Zirkus.
"Das sehe ich natürlich ganz anders", stellte sich Audi-Motorsportchef Dieter Gass vor die Entscheidung des Vorstandes um den neuen CEO Markus Duesmann. "Da muss man sich mal das Gesamtbild anschauen. Nach dem Mercedes-Ausstieg gab es nur noch zwei Hersteller. Und es war eigentlich klar, dass die DTM mit nur zwei Herstellern nicht mehr funktionieren würde. Ich würde es so sehen, dass Audi die Marke war, die die DTM in den letzten Jahren am meisten gepusht hat."
Audi war 2019 der einzige Hersteller, dem es gelang, ein Kundenteam für die DTM zu finden. Auf der Gegenseite ging BMW angesichts der gewaltigen Kosten von bis zu fünf Millionen Euro pro Jahr für einen Kundeneinsatz zunächst leer aus. Als die Münchner mit großem Anlauf einen Geldgeber für das Privatcockpit von Robert Kubica fanden, hatte Audi erneut vorgelegt und dem Rennstall WRT aus Belgien sogar einen dritten Audi RS 5 zur Verfügung gestellt, um das überschaubare Starterfeld aufzustocken.
"Uns vorzuhalten, dass wir der Totengräber der DTM seien, finde ich ziemlich unfair. Wenn Audi nicht gewesen wäre, wäre die DTM schon viel früher beendet worden", wehrte sich Gass vehement im Interview mit Motorsport-Magazin.com gegen die Vorwürfe aus der Öffentlichkeit.
Was bleibt, sind die Fakten. Ohne Audi wird die DTM nach 2020 nicht mehr dieselbe sein, das ambitionierte Class-1-Projekt im Austausch mit japanischen Herstellern steht vor dem Scheitern und von Plänen einer Hybridisierung ab 2022 sowie dem Wandel 2025 hin zu reinelektrischen, leistungsstarken Tourenwagen-Monstern ist erst einmal keine Rede mehr. Stattdessen geht es für die Rennserie mit über 30 Jahren großer Historie ums nackte Überleben. "Eine Pause wäre keine gute Lösung", hofft Berger auf den Fortbestand über das Ende der Corona-Saison hinaus.
Auf dem Weg in die ungewisse Zukunft will sich Audi verabschieden wie zuletzt Mercedes: mit weiteren Meisterschaften. Mit dem Turbo-RS 5, dessen zweieinhalbjährige Entwicklung inklusive der Saison 2019 mehr als 80 Millionen Euro verschlungen haben soll, haben die Ingolstädter zumindest die passende Waffe im Repertoire.
In der ersten Saison der voraussichtlich äußerst kurzen Neuen Turbo-Ära gewann Audi zum dritten Mal in seiner DTM-Geschichte alle drei Titel in der Fahrer-, Hersteller und Teamwertung. Zwölf Siege, zwölf Pole Positions, zwölf schnellste Runden und 40 von 54 möglichen Podiumsplatzierungen führten zur erfolgreichsten DTM-Saison in der Unternehmensgeschichte.
Großen Anteil daran hatte Rene Rast, der Außerirdische. Mit rekordverdächtigen 72 Punkten Vorsprung stürmte er 2019 zu seiner zweiten Meisterschaft innerhalb von drei Saisons. Mit Audi endet auch Rasts ohnehin viel zu kurze Zeit in der DTM. "Ich persönlich hatte mich für die nächsten drei bis fünf Jahre in der DTM gesehen. Ich hatte geplant, in der DTM meine Karriere zu beenden", trauerte Rast im Interview mit Motorsport-Magazin.com.
Sorgen um die Zukunft muss sich der 33-Jährige wohl nicht machen, als zweifacher DTM-Meister steht ihm ein entsprechendes Cockpit innerhalb des motorsportlich ausgedünnten Audi-Konzerns zu. Weitere DTM-Werksfahrer wie Mike Rockenfeller, Jamie Green oder Loic Duval dürften ebenfalls keine Schwierigkeiten haben, im Herbst ihrer Karriere andere attraktive Programme zu finden.
Anders sieht es bei den von Audi betreuten DTM-Werksteams aus. Seit 2006 waren Phoenix Racing aus Meuspath am Nürburgring und das in Neustadt beheimatete Team Rosberg ununterbrochen für die Ingolstädter in der Tourenwagenserie aktiv. Abt Sportsline aus Kempten ist gar seit Supertourenwagen-Zeiten mit Audi verbunden und steht 2020 vor seiner 21. und letzten DTM-Saison. Die Zukunft der Teams und ihrer zahlreichen Mitarbeiter erhielt neben der Corona-Krise einen weiteren Rückschlag.
"Wir müssen einen Weg finden, um in den kommenden zwei Jahren im Motorsport zu bleiben", sagte Ernst Moser, Teamchef des 1999 gegründeten Rennstalls Phoenix. "Wir befinden uns in einer Motorsport-Krise. So viele Optionen haben wir aktuell nicht im Motorsport. Mit unserer Teamstruktur ist es nicht so einfach, nur GT3-Sport zu betreiben. Wir schauen uns das LMDh-Reglement und ein LMP2-Projekt für die nächste Saison an. Bei anderen Dingen sehe ich keine wirkliche Zukunft im Motorsport."
Während Phoenix sein Motorsportprogramm in den vergangenen Jahren etwas breiter aufgestellt hat mit Kundenprojekten, setzte Rosberg - 2017 und 2019 Fahrer- und Teammeister - voll auf die DTM. Auf Arno Zensen, der sich nach 25 Jahren in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet hat, folgte der bisherige Sportdirektor Kimmo Liimatainen. An ein Ende der 1994 von Keke Rosberg gegründeten Mannschaft wollte er zunächst keinen Gedanken verlieren: "Wir dürfen nicht pessimistisch sein und denken, dass das passieren könnte. Wir versuchen das zu vermeiden und arbeiten an unterschiedlichen Optionen. Was sich davon umsetzen lässt, wird die Zeit zeigen."
Die für Rennställe immer härter werdenden Zeiten im deutschen Motorsport hat Abt Sportsline lange erkannt und das Traditionsunternehmen durch Projekte außerhalb des Motorsports gestützt. Der Pioniergeist von Hans-Jürgen Abt in der Formel E mit einem eigenen Team 2014 wurde belohnt durch die Audi-Werksübernahme sowie eine Weiterbeschäftigung der Kemptener Einsatzmannschaft. Der Wegfall des DTM-Engagements schmerzt trotzdem. "Wir schauen auch außerhalb des Motorsports, weil die Zukunft hier nicht die leichteste ist", sagt Abt-Geschäftsführer Thomas Biermaier. "Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere."
Das gilt hoffentlich auch für die Zuschauertribünen an den Rennstrecken, auf denen die DTM 2020 in ihre verspätete Saison startet. Einen Abschied vor leeren Tribünen hätte Audi - und im schlimmsten Fall die DTM selbst - nicht verdient. "Ich fahre auch fünf Rennen an einem Wochenende, das ist mir alles egal! Und wenn es erst am 31. Dezember möglich wäre, vor Publikum zu fahren, dann würden wir alles dafür tun, um das zu realisieren", hoffte Titelverteidiger Rast. Für einen letzten Tanz.
diese DTM Nachricht