Rene, wie wichtig ist heutzutage das fahrerische Talent im Motorsport?
Rene Rast: Sehr wichtig. Talent ist das eine, was du daraus machst, das andere. Es gibt Fahrer, die ein natürliches Talent besitzen, die sich ins Auto setzen und auf Anhieb schnell sind. Die hauen einfach so eine schnelle Runde raus. Das bezeichnet man als Talent. Dann gibt es die anderen, die sich sagen: 'Ich will noch schneller werden, noch einen Tick besser sein als der Rest'. Das sind diejenigen, die vielleicht ein nicht so großes Natural-Talent haben, sondern es sich zum Teil erarbeiten müssen. Deshalb denke ich schon, dass Talent heutzutage noch wichtig ist.

Würdest du dich als Talent bezeichnen?
Rene Rast: Ich glaube nicht, dass ich überaus talentiert bin. Ich habe einfach sehr große Erfahrung aus den vergangenen Jahren, weil ich viele unterschiedliche Fahrzeugkonzepte gefahren bin. Außerdem bin ich jemand, der viel arbeitet, sich mit der Materie auseinandersetzt und versucht, sich immer weiterzuentwickeln. Das ist heute sehr wichtig im Motorsport.

Angesichts deiner Erfolge fällt es schwer zu glauben, dass du dich nicht als sehr talentierten Fahrer siehst.
Rene Rast: Ein Beispiel: Nehmen wir mal die zehn besten Fahrer, die es gibt. Die setzt man dann alle in ein baugleiches Auto rein und ich trete gegen sie an. Alle können ein, zwei Runden fahren und dann schauen wir, wer der Schnellste ist. Vom Gefühl her würde ich nicht sagen, dass ich weit vorne dabei wäre. Ich bin einfach nicht derjenige, der sich ins Auto setzt und direkt schnell ist. Ich muss erst alles verstehen. Aus dem, was ich dabei lerne, kann ich dann der Schnellste werden.

Dein Beispiel klingt nach dem Show-Event 'Race of Champions'. Und das hast du 2018 zusammen mit Timo Bernhard im Team Deutschland gewonnen...
Rene Rast: Ja, das stimmt. Das lag aber an meiner Erfahrung mit Rennautos. Das NASCAR-Auto, mit dem ich gegen Juan Pablo Montoya gewonnen habe, ließ sich wie ein Cup-Auto fahren. Da konnte ich aus meiner Zeit in den Porsche-Markenpokalen zehren.

Bei aller Bescheidenheit: Viele Experten bezeichnen dich als besten deutschen GT/Tourenwagen-Fahrer des Jahrzehnts. Würdest du das gelten lassen?
Rene Rast: Es gibt heutzutage so viele gute GT-Fahrer. Wegen Dingen wie der Balance of Performance finde ich das sehr schwierig einzuschätzen. Früher war das einfacher, da gab es auch nicht so viele Meisterschaften. Durch die unterschiedlichen Einstufungen kann man heute schwer sagen, wer wirklich heraussticht. Wenn man das aber anhand der reinen Erfolge messen möchte, hatte ich in den vergangenen zehn Jahren sicherlich mehr Erfolg als alle anderen.

Du hast 2010, 2011 und 2012 den Porsche Supercup dominiert und 2008 sowie 2012 auch den Porsche Carrera Cup gewonnen. Insider wissen, dass du das Bremsen in den Porsche-Markenpokalen revolutioniert hast. Was steckt hinter dieser Geschichte?
Rene Rast: Im Porsche-Cupauto musstest du Zwischengas geben. Du musstest drei Pedale mit zwei Füßen bedienen, weil du zwischendurch noch kuppeln musstest. Beim Runterschalten bist du mit dem rechten Fuß auf die Bremse, mit dem linken auf die Kupplung und musstest dann noch Zwischengas geben, wenn du einen Gang runtergeschaltet hast. Und da war ich richtig schlecht drin! In der Saison 2007 bin ich so gefahren, habe aber nichts gerissen und bin Zehnter in der Meisterschaft geworden. 2008 beim ersten Test habe ich einfach mal probiert, ohne Kupplung runterzuschalten. Jeder hat gesagt: 'Wenn du das machst, zerstörst du das Getriebe, Katastrophe, geht nicht!'

Und du hast dich nicht daran gehalten...
Rene Rast: Nein, war mir egal und ich habe es probiert. Also mit links gebremst, mit rechts Zwischengas gegeben und den Schalthebel einfach runtergekloppt. Hat funktioniert. Dadurch habe ich eine halbe Sekunde pro Runde gefunden. Bei den ersten Rennen im Carrera Cup und im Supercup stand ich dann direkt auf Pole und alle haben sich gefragt: Wer ist dieser Typ?!

Wie hat die Konkurrenz darauf reagiert?
Rene Rast: Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis das jemand rausgefunden hat. Selbst der Teamchef wusste es nicht. Als er es dann rausbekommen hatte, ist er komplett durchgedreht, weil er Angst um sein Getriebe hatte. Dabei haben die Mechaniker gesagt, dass mein Getriebe das Beste war, das sie jemals gesehen haben.

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Junge Nachwuchsfahrer argumentieren gern mal, dass gewisse Rennautos ihrem Fahrstil nicht entgegenkommen würden. In anderen seien sie sicherlich viel schneller... Was würdest du darauf antworten?
Rene Rast: Dann sage ich: "Schwachkopf, halt den Mund, lern erst mal Auto fahren!" Das sind Ausreden. Das ist eigene Faulheit und so etwas lasse ich nicht gelten. Wenn sich jemand wirklich damit auseinandersetzt und etwas lernen will, kann er mit jedem Auto schnell fahren. Ob vorwärts, rückwärts oder seitwärts.

Gab es in deiner Karriere Autos, mit denen du besonders gut oder schlecht zurechtgekommen bist?
Rene Rast: Wenn ich verstehe, wie ein Auto funktioniert, dann liegt mir eigentlich jedes Fahrzeug. Wenn nicht, dann tue ich mir auch schwer. Wenn ich etwa auf eine Kurve zufahre und nicht weiß, ob es besser ist, spät zu bremsen und viel Geschwindigkeit in die Kurve mitzunehmen oder ob ich lieber für einen besseren Kurvenausgang früher bremsen sollte. Wenn ich mich damit noch beschäftigen muss, ist es schwer für mich, gute Leistungen abzurufen. Wenn ich das Auto hingegen kenne, rufe ich einen Fahrplan ab, den ich dann abarbeite.

Und welches Auto stellte bislang für dich die größte Herausforderung dar?
Rene Rast: Alle Autos, die ich nur kurz fahre. Wie das Formel-E-Auto, als ich bei einem Rennen in Berlin eingesprungen bin. Ich saß am Samstag erstmals in dem Auto und ein paar Stunden später stand schon das Rennen an. Boah, das war schon echt hart! Das war ein Auto, das ich gar nicht kannte. Keine Servolenkung, keine Aero, elektrischer Antrieb, dazu Straßenreifen und vor allem war ich jahrelang kein Formelauto mehr gefahren. Wenn ich vorher ein paar Tage getestet hätte, wäre das sicherlich anders gelaufen. Aber in dieser Konstellation war das Formel-E-Auto eine mega Herausforderung. Oder auch das LMP1-Auto, in das ich damals kalt reingeworfen wurde. Ein Hybridauto mit 30 Knöpfen am Lenkrad, das ich quasi von gestern auf heute beherrschen musste...

2018 kam die Story auf, dass du im DTM-Auto auf den Geraden mit beiden Füßen aufs Gaspedal trittst. Was steckt wirklich dahinter?
Rene Rast: Mir selbst ist das gar nicht aufgefallen, um ehrlich zu sein! Das hat mir mal irgendjemand erzählt, da musste ich selbst erst auf den Onboardaufnahmen nachschauen, um es zu glauben. Das war nicht bewusst, als Fahrer merkst du das überhaupt nicht. Wenn ich jetzt DTM-Rennen fahre, könnte ich nicht einmal sagen, ob ich das noch mache oder nicht.

Und warum hast du das gemacht?
Rene Rast: Vielleicht, weil ich im Unterbewusstsein dachte, dass ich so nicht vom Gaspedal abrutschen kann, wenn ich über Bodenwellen fahre.

Was eigentlich auch nicht passiert, wenn man nur einen Fuß auf dem Gas hat...
Rene Rast: Stimmt, das kommt normalerweise nicht vor.

Hast du noch andere 'Tricks' im DTM-Auto auf Lager?
Rene Rast: Nee, in der DTM geht es einfach darum, alles auf den Punkt hinzubekommen. Das schaffst du nur, wenn du dir einen Plan zurechtlegst: Wie gehe ich das Qualifying und jede einzelne Kurve an, wie viel mehr Potenzial kann ich mit neuen Reifen rausholen? Einfach rausfahren und sagen: 'Mal gucken, was der neue Reifen kann' - das funktioniert nicht. Zum Beispiel: In Hockenheim kann ich die erste Kurve mit frischen Reifen nicht im vierten, sondern im fünften Gang fahren. Und ich muss nicht 20 Meter, sondern erst 15 Meter vor einer Kurve bremsen. Das musst du alles vorher wissen. Und du musst das Vertrauen haben, dass das Auto auch dazu in der Lage ist. Das ist das Geheimnis.

Rene Rast hat in der DTM-Saison 2019 schon zwei Siege eingefahren, Foto: Audi
Rene Rast hat in der DTM-Saison 2019 schon zwei Siege eingefahren, Foto: Audi

Wie würdest du deinen eigenen Fahrstil beschreiben?
Rene Rast: Sehr ruhig, sehr kontrolliert. Bei mir gibt es unter normalen Umständen keine Überraschungen im Rennauto. Ich weiß, was ich tue, noch bevor etwas passiert.

Mit wie viel Prozent Perfektion fährst du das DTM-Auto?
Rene Rast: In den Rennen passieren mir wenige Fehler. Da fahre ich meist am Optimum, würde ich behaupten. Wenn ich in meinem Flow bin, kommt es ganz selten vor, dass ich mal einen Bremspunkt verpasse oder einen groben Fehler begehe. Ich würde also sagen, dass ich ein DTM-Auto zu 99 bis 100 Prozent perfekt fahre. Ich habe eigentlich nie das Gefühl, dass irgendwo noch mehr Luft nach oben gewesen wäre.

Dabei hat es eine ganze Weile gedauert, bis du ein Cockpit in der DTM bekommen hast. Trotz einiger Tests sowohl für Audi als auch BMW.
Rene Rast: Diese Sichtungslehrgänge sind ja immer nur Momentaufnahmen. Du wirst ins kalte Wasser geschmissen. Ein talentierter Fahrer setzt sich rein und haut eine Rundenzeit raus, die so schnell ist wie die der Stammfahrer. Dazu war ich nie in der Lage. Ich brauchte immer eine Referenz, ich musste wissen, wie das Auto funktioniert. Das konnte ich innerhalb eines halben Tages natürlich nicht rausfinden. Das war damals sehr schwierig. Als ich das Cockpit in der DTM bekommen habe, hatte ich viel mehr Zeit und Testtage. Anhand der Daten habe ich mich immer weiter ans Limit herantasten können, bis ich irgendwann verstanden hatte, wie das DTM-Auto funktioniert. Das ist ein schleichender Prozess bei mir, der einfach etwas Zeit braucht.

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2017 bist du als Rookie auf dem Weg zum DTM-Titelgewinn dafür auf Anhieb durchgestartet. Wie konnte das klappen?
Rene Rast: Da hat auch meine Saison 2016 mit dem LMP2-Auto geholfen, als ich einige Rennen für G-Drive in der WEC gefahren bin. Das hat unglaublich geholfen, weil das ja auch Autos mit Downforce waren. Diese Erfahrungen haben mir im Jahr darauf beim DTM-Auto geholfen. Der Mix macht es aus. In der DTM kämpfst du ständig mit unterschiedlichen Herausforderungen. Mal baut die Vorderachse ab, mal die Hinterachse. Oder alles zusammen. Das Auto befindet sich ständig in einem anderen Zustand. Und wenn du in der Vergangenheit viel gefahren bist, weißt du, wie du für gewisse Probleme möglichst schnell die Lösung findest.

Heutzutage durchlaufen viele Fahrer die Formelschiene, bevor sie in die DTM wechseln. Du bist nach zwei Saisons in der Formel BMW zum Jahr 2005 in den VW Polo Cup gewechselt. Wie würde deine Karriere wohl aussehen, wenn du stattdessen den Weg in die Formel 3 gefunden hättest?
Rene Rast: Darüber habe ich mir ehrlich gesagt nie Gedanken gemacht. Natürlich war ich damals nicht glücklich, vom Formelwagen in den Polo Cup zu wechseln. Im Endeffekt war es aber das Beste, was mir passieren konnte. Das hat den Stein ins Rollen gebracht mit den unterschiedlichen Markenpokalen in den folgenden Jahren. Was wäre gewesen, wenn ich damals Formel 3 gefahren wäre... der Weg in die Formel 1 war schon damals so teuer. Die GP2 wäre für mich unbezahlbar gewesen. Selbst, wenn mir jemand das Geld dafür gegeben hätte, ist es jetzt müßig, darüber zu diskutieren. Ich wäre dann heute nicht der Fahrer, der ich jetzt bin.

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