"Davon habe ich geträumt, seit ich ein kleiner Junge war." So viele Jahre können gar nicht vergangen sein, bis der Traum zur Realität wurde. Im zarten Alter von 20 Jahren, nur sechs Tage nach seinem Geburtstag, bejubelte Sheldon van der Linde in Zolder seine erste Pole Position in der DTM. Damit trug sich der Neueinsteiger als jüngster Pole-Setter in einem BMW und nach Pascal Wehrlein als jüngster überhaupt in die Geschichtsbücher der Tourenwagenserie ein.

Spätestens nach dem Pole-Coup bei der DTM-Rückkehr auf den belgischen Kurs nach 17 Jahren - als Laurent Aiello zuletzt 2002 siegte, war van der Linde gerade einmal drei Jahre alt - dürfte allen klar sein: Mit dem Südafrikaner hat sich BMW einen echten Rohdiamanten geangelt.

"Ich habe ihn bei den Testfahrten letztes Jahr in Jerez beobachtet und gesehen, dass er auf Anhieb sehr schnell war", lobte der amtierende Vize-Meister Rene Rast den jungen Mann, der seit einigen Jahren in Kempten im Allgäu lebt und laut eigener Aussage zu 70 Prozent die deutsche Sprache beherrscht.

Van der Linde beeindruckendes Debüt

Rast - obwohl bei der Konkurrenz von Audi angestellt - sollte es wissen: Mit Dennis Rostek haben er und van der Linde den selben Manager im Rücken. Und tatsächlich beeindruckte Sheldon bei seiner allerersten Ausfahrt in einem DTM-Boliden. Wohlgemerkt im BMW, nachdem er zuvor noch bei Audi customer Sports angestellt war und dort bereits einige Erfolge verbuchen konnte.

Van der Linde saß nur an einem der drei Testtage vergangenen Dezember in Jerez im 2018er Rennwagen von BMW und erzielte im Verlauf seiner 42 Runden die drittschnellste Rundenzeit aller Fahrer, die mit der V8-Generation unterwegs waren. Seine persönliche Bestzeit stellte er bereits in der 18. Runde auf.

Die jüngsten Pole-Setter der DTM-Geschichte

PlatzFahrerAlterHersteller
1Pascal Wehrlein19 Jahre, 10 Monate, 27 TageMercedes (2014)
2Sheldon van der Linde20 Jahre, 0 Monate, 6 TageBMW (2019)
3Martin Tomczyk20 Jahre, 4 Monate, 14 TageAudi (2002)
4Lucas Auer21 Jahre, 0 Monate, 15 TageMercedes (2015)
5Jörg van Ommen21 Jahre, 5 Monate, 13 TageRover (1984)
6Dario Franchitti21 Jahre, 11 Monate, 4 TageMercedes (1995)
7Paul Di Resta22 Jahre, 1 Monat, 2 TageMercedes (2008)
8Tom Blomqvist22 Jahre, 6 Monate, 27 TageBMW (2016)
9Miguel Molina22 Jahre, 7 Monate, 1 TagAudi (2011)
10Bernd Schneider22 Jahre, 9 Monate, 6 TageGrab Motorsport Ford Sierra (1987)

Berger: Der Mann des Wochenendes

In Zolder verpasste es van der Linde nur haarscharf, seiner Pole Position das Sahnehäubchen folgen zu lassen. Auf bestem Wege zum ersten Podestplatz fiel er in der letzten Runde nach hartem Kampf mit den erfahrenen Audi-Piloten Jamie Green und Mike Rockenfeller auf den fünften Platz zurück.

Lob gab es anschließend sogar von oberster Stelle. DTM-Boss Gerhard Berger sagte: "Mann des Wochenendes ist für mich Sheldon van der Linde. Dieser Junge kommt aus dem Nichts und mischt beim zweiten Event bereits munter mit den Großen vorne mit."

Sheldon van der Linde verpasste sein erstes DTM-Podest nur knapp in Zolder, Foto: BMW Motorsport
Sheldon van der Linde verpasste sein erstes DTM-Podest nur knapp in Zolder, Foto: BMW Motorsport

Van der Linde: Speed und Instinkt

Van der Lindes erste Leistungen in der DTM-Saison 2019 haben gezeigt, was für ein Talent Audi an die Konkurrenz aus München verloren hat. Beim Auftakt in Hockenheim ließ der jüngere Bruder von Kelvin van der Linde mit Platz sechs im regnerischen Qualifying aufhorchen und sammelte wenig später als Siebter seine ersten Meisterschaftspunkte. Am darauffolgenden Sonntag bei trockenen Bedingungen belegte Sheldon den zehnten Startplatz, verpasste nach einer Kollision mit Jamie Green aber die Punkteränge.

Nervosität war dem Nachwuchspiloten bei seinem ersten Renneinsatz im Tourenwagen nicht anzumerken. "Sein Potenzial haben wir schon in anderen Serien gesehen", sagte BMW Motorsport Direktor Jens Marquardt in Hockenheim. "In seinem ersten DTM-Rennen hat sich gezeigt, dass er nicht nur den Speed, sondern auch den nötigen Instinkt hat. Das macht einen guten Rennfahrer aus."

Von Nervosität keine Spur: Toptalent Sheldon van der Linde, Foto: BMW Motorsport
Von Nervosität keine Spur: Toptalent Sheldon van der Linde, Foto: BMW Motorsport

Ein Rohdiamant

Was der südafrikanische Nachwuchsfahrer so alles drauf hat, stellte er schon in der Vergangenheit unter Beweis. Einer, der es genau wissen muss, ist Teamchef Wolfgang Land. 2018 holte er mit Sheldon van der Linde und dessen drei Jahre älterem Bruder Kelvin die Vize-Meisterschaft im ADAC GT Masters und einen Podestplatz beim prestigeträchtigen 24-Stunden-Rennen von Spa-Francorchamps.

Land bezeichnete Sheldon van der Linde bei Motorsport-Magazin.com als einen Rohdiamanten. Und sagte weiter: "Ich bin richtig stolz, dass BMW erneut einen Fahrer verpflichtet hat, der bei uns sein Handwerk erlernt hat. Das ist für mich ein Zeichen, dass wir offensichtlich keinen schlechten Job machen." Van der Linde war neben dem US-Amerikaner Connor De Philippi der zweite 'Land-Fahrer' innerhalb eines Jahres, der einen Audi- gegen einen BMW-Rennwagen eingetauscht hat.

Erfolgreiches Bruderpaar: Kelvin und Sheldon van der Linde, Foto: ADAC GT Masters
Erfolgreiches Bruderpaar: Kelvin und Sheldon van der Linde, Foto: ADAC GT Masters

Das Wochenende der van der Lindes

Damit hat der Volkswagen-Konzern seit 2012 schon insgesamt sechs hochtalentierte, ausgebildete und unterstützte Fahrer an BMW verloren: Neben Sheldon van der Linde und De Philippi wechselten auch Dirk Werner, Marco Wittmann, Tom Blomqvist und Joel Eriksson die Seiten.

Sheldons Bruder Kelvin hingegen ist noch bei Audi customer Sports angestellt - und erzielte am Wochenende beim ADAC GT Masters in Most seinen ersten Saisonsieg im Audi R8 LMS von Serienneuling HCB-Rutronik Racing. Sheldon und Kelvin: Zwei van der Lindes erobern den deutschen Motorsport.