Zu inkonstant, zu fehleranfällig und überhaupt nur mit einer Chance auf den MotoGP-Weltmeistertitel, weil sie auf den besten Motorrädern der Klasse sitzen - derartige Geringschätzung mussten sich Jorge Martin und Francesco Bagnaia zuletzt gefallen lassen. Und das, obwohl sie sich in den bisherigen Saisonrennen - je 19 Sprints und 19 Grands Prix - 26 der 38 möglichen Siege untereinander aufgeteilt haben und ihren ersten Verfolgern Marc Marquez und Enea Bastianini in der Gesamtwertung mittlerweile um rund 100 Punkte enteilt sind.
Jorge Martin und Francesco Bagnaia: Nicht ausreichend gewürdigt
Das rief im Vorfeld des MotoGP-Rennwochenendes in Sepang Ducati-Team-Manager Davide Tardozzi auf den Plan: "Ich habe vollsten Respekt vor Fahrern wie Valentino Rossi, Jorge Lorenzo oder Casey Stoner, aber sie sind Champions einer anderen Ära. Diese Ära hat neue Champions. Jorge und Pecco werden von den Leuten nicht ausreichend gewürdigt. Meiner Meinung nach sind sie auf einem Level mit ihren Vorgängern."
Den Beweis für ihre herausragenden Fähigkeiten lieferten die WM-Anwärter prompt im sonntäglichen Rennen. 16-mal wechselten sie sich in den ersten drei Runden an der Spitzenposition ab. Jedes Manöver blieb dabei blitzsauber, ohne übertriebenen Kontakt und ohne ein einziges Track-Limit-Vergehen. Martin und Bagnaia gingen volles Risiko, obwohl mit dem MotoGP-Weltmeistertitel der ultimative Preis des Motorradsports auf dem Spiel stand. Und das bei schwierigsten Bedingungen - sowohl körperlich als auch im Hinblick auf das Grip-Niveau der Strecke - mit 34 Grad Außentemperatur und 54 Grad auf dem Asphalt.
MotoGP-Dominatoren behalten die Nerven
Doch damit nicht genug der schwierigen Rahmenbedingungen: Das vergangene Wochenende war ein hartes für die gesamte MotoGP. Als sie am Mittwoch gerade ihre Zelte in Sepang aufschlug, drangen die ersten Nachrichten zur Flutkatastrophe in Valencia durch. Eine Stadt, die nicht nur das Saisonfinale zwei Wochen später beheimaten sollte, sondern die im Fahrerlager fest verankert ist.
Rennställe wie das Aspar Team sind dort zuhause, zahlreiche Paddock-Mitglieder stammen aus der Region. Viele von ihnen wussten aufgrund der zusammengebrochenen Kommunikationsinfrastruktur in Valencia lange nicht, wie es ihren Familien und Freunden in der fast 11.000 Kilometer entfernten Heimat geht. Die MotoGP-Stars gedachten den mittlerweile über 200 bestätigten Toten am Sonntag mit einer Schweigeminute in der Startaufstellung. Direkt anschließend hieß es: Die schrecklichen Bilder ausblenden, Helm auf und ab ins Rennen. Dass dieses nach einem schlimmen Startunfall und Minuten des Bangens um den zunächst regungslos liegengebliebenen Jack Miller auch noch abgebrochen und anschließend neu gestartet werden musste, war das finale Element in diesem Komplex von Widrigkeiten.
Bagnaia und Martin meisterten diese im Stil großer Champions. Denn genau das sind sie. Ja, im Vergleich zu früheren Zeiten unterlaufen ihnen viele Fehler. Das macht sie aber nicht zu schlechteren Fahrern als jene, die in der Königsklasse vor zehn, zwanzig oder dreißig Jahren um Siege und Weltmeistertitel kämpften. Andere Epochen stellen Rennfahrer vor andere Herausforderungen. Nie zuvor war der Grat zwischen Erfolg und Niederlage so schmal wie in der aktuellen der MotoGP. Minimale Fehler, die Motorräder in der Vergangenheit noch verziehen, führen jetzt zu Stürzen. Das muss aktuell auch Marc Marquez, der sich vor einigen Jahren noch eindrucksvoll und praktisch ohne nennenswerte Patzer gegen Fahrer wie Rossi oder Lorenzo durchsetzte, erkennen. Für Bagnaia oder Martin Maßstäbe vergangener Generationen anzusetzen, ist deshalb unsinnig. Schließlich wäre auch niemand auf die Idee gekommen, Piloten wie Rossi, Stoner oder Lorenzo vorzuwerfen, dass sie ihre Rennen oft nur mit wenigen Zehntelsekunden Vorsprung gewinnen konnten, während Mick Doohan eine Dekade zuvor die Konkurrenz teilweise um fast eine halbe Minute hinter sich ließ.
Jede Ära hat ihre Fahrer, die Außergewöhnliches leisten und sich so das einst geprägte Prädikat der Außerirdischen verdienen. Martin und Bagnaia zählen definitiv dazu. Fahrer wie Marc Marquez und Fabio Quartararo haben bereits in der Vergangenheit bewiesen, dass sie zu diesem elitären Kreis gehören - sie können zweifelsohne wieder zu altem Glanz zurückkehren. Und mit Pedro Acosta verfügt die Königsklasse über einen Youngster, der sich anschickt, Fans unseres Sports noch über viele Jahre hinweg zu verzaubern. Die MotoGP befindet sich fahrerisch auch aktuell in einem goldenen Zeitalter. Man muss es nur erkennen.
diese MotoGP Nachricht