Zugegeben: Noch ist Liberty Media nicht im Besitz der MotoGP. Aber mit der Überzeugung, in der die Presseaussendung der Amerikaner und der Dorna geschrieben war, müssen wir davon ausgehen, dass der angekündigte Kauf der MotoGP durch Liberty Media trotz letzten Fragen in Sachen EU-Wettbewerbsrecht durchgehen wird. Sollte Liberty aber davon ausgehen, nun einfach ihr Formel-1-Modell anwenden zu können, so werden sie eine böse Überraschung erleben.
In den Paddock-Club und dann ab ins Casino? Das klappt nicht in der MotoGP
Die Formel 1 hat in den letzten Jahren einen enormen wirtschaftlichen Boom hingelegt. Die Einnahmen stiegen und stiegen, ebenso wie die Zuschauerzahlen an den Rennstrecken. Die Preise für den Fan stiegen damit natürlich auch. Wobei sich sowieso die Frage stellt, wer überhaupt 'der Fan' ist. Mit Netflix, Social-Media und Co. wurde eine neue Gruppe an - mehrheitlich jungen - Menschen erreicht, keine Frage. Es handelt sich aber auch größtenteils um eine wohlhabende Schicht. Geht die Formel 1 vermehrt in die Städte, weil es dort so großartige Rennen gibt? Natürlich nicht. Da liegt das Geld, vor allem natürlich in Las Vegas. Wer will schon an der Strecke campen, wenn es nach dem Rennen noch zum Konzert, ins Casino und dann in das gemütliche Hotelbett geht?
Nicht falsch verstehen. Natürlich gibt es auch noch die klassischen Fans und positive Gegenbeispiele. In Silverstone wird immer noch im Schlamm gecampt, in Zandvoort kommen die Massen sehr umweltfreundlich mit dem Fahrrad an die Rennstrecke und in Mexiko-City erzeugt das Stadion eine ganz besondere Atmosphäre. Aber wenn es ums finanzielle geht, so ist klar welche Art von 'Fans' Liberty am liebsten ist. Nicht umsonst wurde in der offiziellen Ankündigung zum neuen Rennen in Madrid ab 2026 das neue "Premium Paddock Building" und die "VIP Hospitality" schon im zweiten Satz angepriesen. Dass man vielleicht auch eine interessante Strecke hätte designen können, war wohl nicht so wichtig.
Diesen 'Event'-Typus kann sich Liberty mit der MotoGP allerdings abschminken. Stadtrennen funktionieren im Motorradsport aus Sicherheitsgründen prinzipiell nicht. Die VIPs müssen schon damit leben, dass das Rennen nicht vor ihrer Haus- bzw. Hoteltür stattfinden wird. Außerdem sind viele der MotoGP-Fans selbst Biker und fahren mit ihren Motorrädern zum Rennen. Wer einmal den Motorrad-Parkplatz in Le Mans gesehen hat, weiß was Sache ist. Biker reisen mit wenig Gepäck und campen. Sie sind zumeist keine Hotelkundschaft und nicht an VIP-Services interessiert.
Mediale Aufrüstung wird kommen, aber die MotoGP spricht andere Sprache(n)
Wenn es darum geht, die Fans zu erreichen, dann dürften andere Wege zur Nahbarkeit der Stars und des Sports, die Liberty in der Formel 1 geschaffen hat, durchaus auch in der MotoGP willkommen sein. Wir können uns auf neue Formate in Sachen Berichterstattung, Social-Media, Fan-Events und ähnliches gefasst machen und das alles muss nicht immer schlecht sein. Mit der Action auf der Strecke und dem Blick hinter die Kulissen hat die MotoGP hier sicherlich einiges zu bieten.
Dabei sollten Liberty aber auch die kulturellen Grundlagen des Sports klar sein. Die Formel 1 ist europäisch, aber vor allem britisch geprägt. Englisch ist die Paddocksprache, sonst nichts. In der MotoGP dominieren vor allem die Spanier in Sachen Fahrer und Management und die Italiener auf der technischen Seite. Hinzu kommt eine starke japanische Fraktion. Die internationale Anschlussfähigkeit ist dort nicht per se so problemlos umzusetzen wie in der Königsklasse auf vier Rädern, wo sieben der zehn Teams in Großbritannien beheimatet sind. Die Gresini-Chefin Nadia Padovani spricht bspw. kein Englisch, in der Formel 1 undenkbar.
Faszination MotoGP: Gladiatoren sind kein Hochglanzprodukt
Dazu sind auch die Fans andere. In der Formel 1 herrscht neben dem Wunsch nach gutem Rennsport auch die Faszination für die Technik. Letztere stört viele Fans in der MotoGP aber momentan, wenn immer weiter ausufernde Aero-Flügel und Devices die Rennen langweiliger machen. Die Fans fordern die Zurückrüstung und sogar Hersteller wie KTM oder Aprilia unterstützen dieses Bestreben. Die Stars der MotoGP sind die Fahrer. In der Formel 1 haben auch die Technik und Traditionsteams wie Ferrari durchaus ihre Anhänger.
Die Piloten der MotoGP sind aus verschiedenen Gründen beliebt. Wenn sie nach einem Sieg eine Show wie einst Valentino Rossi oder Jorge Lorenzo hinlegen, ist das Liberty sicher mehr als recht. Aber sie sind auch harte Hunde und der Sport ist und bleibt viel gefährlicher als die Formel 1. Nicht umsonst wird oft der Vergleich mit den antiken Gladiatoren gezogen. Das kann auch zu schwierigen Momenten und Bildern führen, die eben nicht mit einem Gläschen Champagner in der VIP-Hospitality genossen werden können. Ein bisschen Karbon darf für die Show gern zu Bruch gehen, menschliche Knochen aber doch lieber nicht.
Außerdem sind die Fahrer in ihren Aussagen deutlich weniger 'politisch korrekt' getrimmt. Das ist Fluch und Segen zugleich. Einerseits gefällt das den von Liberty hofierten Sponsoren und Partnern häufig wohl nicht. Andererseits müsste eine etwaige Netflix-Serie "Survive to drive" auch nicht künstlich Geschichten aufbauschen. Wenn etwa ein Marc Marquez gegen seine Konkurrenten ledert oder ein Jorge Martin Reifenhersteller Michelin vorwirft, ihm den Titel gestohlen zu haben, dann sind diese Geschichten echt.
Motorsport-Markt USA: Formel 1 die Gegenwart, Motorrad die Vergangenheit
Letztlich bleibt noch die Frage der regionalen Ausrichtung. Die MotoGP drängte zuletzt in die Motorrad-Märkte Asiens mit ihrer Expansion. Die Formel 1 macht sich in den USA breit. Dorthin will die MotoGP aber auch. Mit Dan Rossomondo wurde ein Ex-NBA-Mann extra dafür verpflichtet. Die Vergangenheit des Motorradsports in den USA ist mit Namen wie Kenny Roberts, Eddie Lawson oder Wayne Rainey groß, die Gegenwart aber mickrig. Das Städtemodell kann nicht ziehen. Also kein Miami, kein Vegas, kein New York oder was auch immer. Wie ein F1-ähnlicher Boom genau gelingen soll, wird eine große Aufgabe für Liberty. Momentan fährt die MotoGP nur in Austin, vor viel weniger Zuschauern als beim dortigen Formel-1-Rennen.
Zuletzt bleibt noch anzumerken, dass es mit dem Verbleib von Carmelo Ezpeleta und seinem Dorna-Team in Madrid ein erstes Anzeichen dafür gibt, dass Liberty sich der Unterschiede zur Formel 1 sehr wohl bewusst ist. Auch in der Formel 1 holten sie sich mit Ross Brawn und Stefano Domenicali Leute vom Fach hinzu, welche zunächst auch positive Entwicklungen wie den Budgetdeckel oder die Bekämpfung der Dirty Air anstießen. Dennoch wurde das letztendliche Ziel dort spätestens in diesem Januar klar: Es soll so viel Geld wie möglich herausgeholt werden. Dass das auch für die MotoGP gelten wird, davon sollten wir fest ausgehen. Und am Ende besteht dabei stets die Gefahr, dass der Fan darunter leiden muss.
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