Die MotoGP hat im zweiten Grand Prix den ersten großen Aufreger der Saison 2024. Mit Marc Marquez und Francesco Bagnaia sind in Portimao der mit Abstand erfolgreichste Fahrer des Feldes und der amtierende Weltmeister kollidiert. Statt zweier Top-Sechs-Ergebnisse brachte der Portugal-Grand-Prix somit für beide Fahrer eine Nullnummer ein.

Die Kollision wurden von den Stewards untersucht. Ihre Entscheidung: Rennunfall - keine Strafen für die Beteiligten. Eine Meinung, die sich weitestgehend mit der von aktuellen und ehemaligen Rennfahrern teilt. Auch Bagnaia selbst stimmt dem Urteil der Stewards zu, Marc Marquez sah die Schuld für den Crash bei seinem Gegenspieler. Doch um die Frage, wer denn nun der Unfallverursacher war, soll es dann dieser Stelle nicht gehen.

Marc Marquez überzeugt: Bagnaia schuld an Portimao-Crash (06:16 Min.)

Viel mehr wollen wir uns mit einer Einschätzung von Marquez beschäftigen, die er nach dem Rennen in seiner Medienrunde kundtat: "Wir haben um Platz fünf oder sechs gekämpft, es ging um zwei Punkte mehr oder weniger. Außerdem hatte er mit seinem Hinterreifen zu kämpfen. Er hätte diese Position ohnehin irgendwann verloren. Da war es nicht nötig, so aggressiv zu fahren."

Zieht man in dieser Situation so wie Marquez alleine die zu gewinnenden Punkte heran - elf Zähler bringt der fünfte Platz ein, zehn der sechste - so ist seine Einschätzung natürlich korrekt. Doch in diesem Moment ging es für Bagnaia um mehr als nur WM-Punkte. Er ist zwar bereits zweifacher MotoGP-Weltmeister, musste sich aber noch nie in einem Titelkampf gegen Marquez behaupten. Betrachtet man dessen Leistungen an den ersten beiden Rennwochenenden des Jahres, kann man davon ausgehen, dass sich das 2024 ändern wird.

Marc Marquez bewies in Portimao, dass 2024 mit ihm zu rechnen ist, Foto: LAT Images
Marc Marquez bewies in Portimao, dass 2024 mit ihm zu rechnen ist, Foto: LAT Images

Und um in einem WM-Fight gegen Marquez zu bestehen, braucht es mehr als nur herausragenden Speed, den Bagnaia ja zweifelsohne hat. Marquez ist ein Meister der psychologischen Kriegsführung. Das soll keine Kritik an Marquez sein. Ganz im Gegenteil: Wie alle großen Champions des Motorsports - Namen wie Valentino Rossi, Michael Schumacher oder Ayrton Senna seien an dieser Stelle genannt - ist es ihm über Jahre hinweg gelungen, das restliche Feld massiv einzuschüchtern. Für die MotoGP-Piloten unserer Zeit gibt es kaum furchteinflößendere Szenarien, als von ihrer Crew mitgeteilt zu bekommen, dass sich die Startnummer 93 direkt hinter ihnen befindet. Denn dann ist klar: Früher oder später wird die Attacke kommen. Notfalls auch mit der Brechstange.

Springt ein Fahrer wie Bagnaia nun beim ersten harten Angriff Marquez' zur Seite und überlässt dem wiedererstarkten Ex-Dominator die Vorfahrt, geht der erste Punkt im Mentalkrieg bereits klar an Marquez. "Ich will meine Gegner zerstören", antwortete mir Marquez 2019, in der erfolgreichsten Saison seiner bisherigen Karriere, als ich ihn danach fragte, welche Ziele er denn in seinem unglaublichen Erfolgslauf noch verfolgen würde.

Oft gelang Marquez das in der Vergangenheit, aber Bagnaia zeigte am Sonntag in Portimao, dass er kein Interesse daran hat, ein weiterer Eintrag auf dieser Liste zu werden. Er zeigte Marquez, dass er im direkten Duell kein dankbares Opfer ist, sondern ihm die Stirn bieten wird. Die erste Runde im Duell der Alphatiere endet somit statt mit einer Niederlage für Bagnaia mit einem Unentschieden. Und das könnte für ihn wertvoller sein als zehn Punkte in einer Saison, in der es 777 Zähler zu holen gibt.