Nur drei Top-Fünf-Ergebnisse in der gesamten MotoGP-Saison, nur ein Einziges davon in den letzten neun Rennwochenenden. Dazu lediglich 120 WM-Punkte, was nicht einmal einem Drittel der Punkteausbeute des Werksteams (373 Zähler) entspricht - RNF Aprilia, aktuell auf dem achten Platz der Team-Weltmeisterschaft, erlebt 2023 wahrlich keine gute Saison. Speziell der Trend der zweiten Saisonhälfte ist dabei alarmierend: Konnte Miguel Oliveira zu Jahresbeginn noch regelmäßig der Spitze kämpfen, sind er und Teamkollege Raul Fernandez in den vergangenen Monaten fast ausschließlich im hinteren Bereich des Feldes vorzufinden.

"Ich habe die Entwicklungen bei RNF beobachtet, insbesondere die Leistung von Miguel Oliveira. Es ist ein wenig verwirrend zu sehen, welche Entscheidungen sie treffen und welche Richtung sie einschlagen", wunderte sich zuletzt auch Aprilia-Werkspilot Aleix Espargaro, der in dieser Saison bereits zwei Hauptrennen und einen Sprint gewinnen konnte. "Ihr Motorrad ist von 2022 und unseres von 2023, aber sie sind praktisch identisch. Ich will nicht schlecht über RNF und ihre Fahrer reden, aber ich verstehe nicht ganz, was da los ist. Ich kann mir kein klares Bild davon machen, was sie in ihrer Box machen. Es gab zuletzt kein Rennen, in dem sie konkurrenzfähig waren. Sie sind zwei gute Fahrer und haben zwei gute Motorräder. Ich verstehe das nicht."

Miguel Oliveira kämpfte zuletzt in Barcelona an der Spitze des MotoGP-Feldes, Foto: LAT Images
Miguel Oliveira kämpfte zuletzt in Barcelona an der Spitze des MotoGP-Feldes, Foto: LAT Images

Die fahrerischen Qualitäten der RNF-Piloten sind in der Tat unbestritten: Oliveira ist fünffacher MotoGP-Rennsieger, Fernandez immerhin Moto2-Vizeweltmeister. Daher hätte sich auch der zweite Aprilia-Stammfahrer Maverick Vinales etwas mehr erwartet: "Miguel ist ein talentierter Fahrer, das aktuelle Szenario bei RNF überrascht mich daher ein bisschen. Ich kenne die internen Diskussionen nicht, aber von außen betrachtet ist es schwer, ihren Plan zu verstehen. Ich persönlich arbeite lieber alleine und konzentriere mich nicht zu sehr auf Raul oder Miguel. Für Aprilia als Hersteller sind sie aber wichtig. Bis jetzt hatten sie meiner Meinung nach aber keinen Nutzen. Es gibt keine Teamarbeit, jeder geht seinen eigenen Weg. Das ist keine Hilfe."

RNF-Piloten widersprechen: Haben nur veraltete Motorräder

Wie lassen sich die großen Leistungsunterschiede zwischen Werks- und Kundenteam erklären? Fernandez und Oliveira gehen in die Defensive und widersprechen den Aussagen Espargaros. "Wir hatten wieder ein Problem mit dem Bike. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es ist schwierig momentan. Wenn wir an einem Wochenende zu kämpfen haben, brauchen wir Kilometer auf dem Bike, aber jedes Mal kommt es dann zu Defekten. So werden wir uns nicht verbessern", klagte Fernandez am Sonntag nach dem Malaysia Grand Prix, den er in Runde sieben mit einem technischen Defekt vorzeitig hatte beenden müssen. "Mein Team gibt alles, sie arbeiten mehr als sie sollten. Ich habe eine fantastische Crew um mich herum, aber wir brauchen einfach mehr Hilfe von Aprilia", stellt er klar.

Die aktuell schwierige Lage lässt den 23-jährigen Madrilenen fast ein bisschen hilflos wirken. "Es ist nicht normal, so viele Probleme mit dem Motorrad zu haben", meint er und ergänzt: "Ich weiß nicht, was ich ihnen [Aprilia, Anm.] noch sagen soll. Ich bin nur der Fahrer, ich gebe mein Feedback und versuche, das Maximale herauszuholen. Jemand bei RNF oder Aprilia muss eine Lösung dafür finden. Es geht schließlich auch um Aprilia selbst: Wenn du das Projekt verbessern willst, musst du Rennen gewinnen. So werden wir aber keine Rennen gewinnen. Ich hatte dieses Jahr mehr Probleme mit dem Motorrad als ich Fehler gemacht habe."

Raul Fernandez mit seiner RNF-Aprilia im Kiesbett von Sepang
Raul Fernandez und RNF mussten 2023 schon zahlreiche Ausfälle verzeichnen, Foto: LAT Images

Tatsächlich war der Ausfall in Malaysia schon Fernandez' dritter technisch bedingter DNF in dieser Saison in einem Hauptrennen. Teamkollege Oliveira erlebte dieses Schicksal gar fünfmal, während die beiden Aprilia-Werkspilot zusammen lediglich auf drei Ausfälle durch technische Defekte an ihren Motorrädern kommen. Woran das liegen könnte? "Wir fahren mit dem 2022er-Material. Das ist es, das Motorrad ist ein Jahr alt. Ein paar Dinge wurden recycelt, aber mehr nicht", hat Oliveira die Antwort parat. Sein Stallgefährte stimmt zu: "Wir haben wahrscheinlich zu viele Kilometer mit diesem Bike absolviert. Wir bekommen nichts neues, nur die Reifen. Es ist schon das zweite Jahr für dieses Motorrad, vielleicht liegt es daran."

RNF-Piloten fordern: Brauchen in Zukunft mehr Hilfe von Aprilia

Die beiden RNF-Piloten beklagen, dass sie von Aprilia nur noch Altmaterial zur Verfügung gestellt bekommen. Während alle anderen Teams und Fahrer Fortschritte mit dem Motorrad erzielen, stagnieren sie. "Ich denke, dass Aprilia, alle Ressourcen nutzt, die ihnen zur Verfügung stehen, um uns das bestmögliche Material zur Verfügung zu stellen und uns bestmöglich zu unterstützen. Natürlich wünschen wir uns etwas mehr, aber es sieht so aus, als wäre momentan nicht mehr möglich. Hoffentlich können wir das in der Zukunft verbessern", findet Oliveira klare Worte. Fernandez stimmt zu: "Wir brauchen mehr Kontrolle. Was hat Ducati getan, um zu gewinnen? Sie haben allen Fahrern ihr bestes Material zur Verfügung gestellt. Es ist simpel: Du kannst einen solchen Fehler einmal haben, da sage ich nichts dagegen. Aber viermal in einer Saison? Das geht nicht!"

Die RNF-Piloten Raul Fernandez und Miguel Oliveira kämpfen im Malaysia-GP.
Die RNF-Piloten wünschen sich 2024 mehr Unterstützung von Aprilia, Foto: LAT Images

2023 wird sich an dieser Situation wohl nichts mehr ändern, stehen doch nur noch zwei Rennwochenenden aus. Auf das Gastspiel in Katar (17. - 19.11.) folgt kommende Woche noch das Saisonfinale in Valencia (24. - 26.11.). In der kommenden Saison hofft Oliveira jedoch auf Besserung: "Das Ziel sollte sein, dass wir alle das gleiche Material haben. So können wir bessere Vergleiche ziehen und uns eine bessere Basis für die Zukunft schaffen. Ich kann nicht sagen, ob dies passieren wird. Ich kenne die Details des Projekts nicht. Aber natürlich wünschen wir uns, dass wir alle auf den gleichen Motorrädern wären." Zeichnen sich da also bereits erste Risse im Verhältnis zwischen Aprilia und RNF ab? Nein, stellt der 28-jährige Portugiese klar: "Wir vertrauen ihnen und sie vertrauen uns. Wir müssen sie in schwierigen Zeiten unterstützen und ihnen vertrauen, dass sie uns in Zukunft etwas mehr unterstützen werden."