Der technologische Rüstungskrieg der MotoGP geht in Misano in die nächste Runde. KTM testete am Trainingsfreitag nämlich ein völlig neues Chassis, welches nicht aus dem üblichen Stahlrahmen gebaut wurde. Vielmehr waren beide Motorräder von KTM-Testfahrer Dani Pedrosa, der mit einer Wildcard am San Marino Grand Prix teilnimmt, mit einem Carbon-Chassis versehen.

Das überrascht durchaus, denn in der modernen MotoGP dominiert eigentlich das Aluminium-Chassis, welches seit vielen Jahren bei sämtlichen Herstellern - KTM ausgenommen - zum Einsatz kommt. Einzig die Österreicher setzten bisher auf Stahlrahmen, welchen sie aus dem Offroad-Racing in die Königsklasse mitbrachten. In Zukunft könnte sich das ändern, auch wenn Pedrosa am Freitag keine Details verraten wollte. "Wir testen es noch und sammeln Informationen. Ich kann also nichts sagen. Das Gefühl ist jedenfalls ein anderes. Nach dem Wochenende werden wir alles rekapitulieren", hielt er sich wortkarg.

Gänzlich neu ist ein Carbon-Chassis in der MotoGP nicht. Ducati verwendete das Material bereits vor knapp einer Dekade, damals aber noch mit dem Motor zusammen als Teil des Rahmens. Zum Arbeiten brachte der Hersteller aus Borgo Panigale dieses Konzept aber nie, weshalb es dann auch recht schnell wieder verworfen wurde. In diesem Jahr testete dann Aprilia, der Nachbar aus Noale, mit Testfahrer Lorenzo Savadori ein neues Chassis aus Carbon. Anders als bei KTM soll es allerdings noch nicht einsatzbereit sein.

Crafar: Carbon-Chassis soll zwei Vorteile bringen

"Das ist für mich bahnbrechend - das erste volle Carbon-Chassis, das ich je gesehen habe", lobte deshalb Ex-Rennfahrer Simon Crafar bei 'MotoGP.com' im offiziellen Livestream des Trainings, wo er seit 2019 als Experte und Kommentator fungiert. Der einfach Grand-Prix-Sieger erklärte anschließend, wo mögliche Beweggründe KTMs liegen könnten. "Hersteller gehen die Teile ihrer Motorräder immer und immer wieder durch, um Hundertstel oder bestenfalls eine Zehntel zu finden. Alles wird immer wieder neu erfunden. Da musst du dir manchmal neue Technologien ansehen, um Bereiche zu finden, in denen du dich verbessern kannst."

Crafar sieht speziell zwei Vorteile, die ein Carbon-Chassis liefern könnte. Zum einen sei Carbon deutlich flexibler und weniger starr wie herkömmliche Materialien. Eine Carbon-Schwinge - wie sie KTM einst debütierte - hilft beispielsweise dabei, dem Reifen mehr Kontakt zum Asphalt zu verschaffen, wenn über Curbs oder in Schräglage gefahren wird, weil sie sich stärker verbiegen kann. Das führt zu mehr Grip und geringerem Reifenabbau. "Warum sollte man das aus den gleichen Intentionen nicht auch beim Chassis versuchen?", fragt Crafar.

Dani Pedrosa wurde im Misano-Training starker Dritter, Foto: LAT Images
Dani Pedrosa wurde im Misano-Training starker Dritter, Foto: LAT Images

Gewichtsreduktion bei KTM? Carbon deutlich leichter!

Des Weiteren könnte der Wechsel vom Stahlrahmen auf Carbon KTM dabei helfen, Gewicht zu verlieren. Bei Aluminium- und Carbon-Chassis ist der Unterschied nicht sonderlich groß, bei Stahl und Carbon hingegen schon. "Es könnten sogar ein paar Kilogramm sein", glaubt Crafar. Kombiniert mit zusätzlichem Grip und Flexibilität könnte das die KTM RC16 deutlich schneller machen, denn es gilt natürlich der Grundsatz: Je leichter, desto schneller.

Zumindest der erste Eindruck scheint jedenfalls positiv. Pedrosa gehörte am Freitag von der ersten Minute an zur Spitzengruppe und beendete das FP1 auf Platz sechs. In der Nachmittagssession gelang ihm sogar Rang drei, nachdem er zwischenzeitlich auch schon geführt hatte. Der 'Little Samurai' war damit schnellster KTM-Pilot, knapp anderthalb Zehntel vor Stammfahrer Brad Binder.