Nur 93 Punkte nach zehn Grand-Prix-Wochenenden, geteilter letzter Platz in der Konstrukteurs-Weltmeisterschaft: Der einstige MotoGP-Dominator Honda befindet sich 2023 mitten in der schwersten Krise seiner Teamgeschichte. Selbst ein mittlerweile wieder vollständig genesener Marc Marquez ist aktuell nicht in der Lage, Spitzenresultate einzufahren. Der Honda RC213V fehlt es vor allem an Grip am Heck, was auch zu schlechtem Topspeed und hohem Reifenverschleiß führt.

Neu sind diese Probleme wahrlich nicht, getan hat sich seit Jahren aber nur sehr wenig. Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass Honda sein Kundenteam LCR bislang kaum in die Test- und Entwicklungsarbeit eingebunden hat. "Ich finde, dass Honda mich nicht wirklich unterstützt. Ich habe das Gefühl, dass ich hier nicht richtig genutzt werde", kritisierte etwa LCR-Neuzugang Alex Rins schon vor dem Amerika-GP. Weil sich bis zur Sommerpause nichts änderte, entschied sich der ehemalige Suzuki-Pilot für die Saison 2024 zu einem Wechsel ins Yamaha-Lager.

Ersetzen wird Rins ab der kommenden Saison Johann Zarco, der von Pramac Ducati kommt. Die Verpflichtung des erfahrenen Franzosen könnte ein Indiz darauf sein, dass es im kommenden Jahr einen Strategiewechsel geben wird. Schließlich fuhr Zarco in den vergangenen drei Saisons das wahrscheinlich beste MotoGP-Bike im Grid und war als 'fahrender Testfahrer' elementar an der Entwicklung der Ducati Desmosedici GP-22 und GP-23 beteiligt. Sein Wissen ungenutzt zu lassen, wäre für einen so stark angeschlagenen Hersteller wie Honda fatal.

Nakagami hofft: Frischer Wind durch Zarco-Verpflichtung

Das sieht auch Takaaki Nakagami so. Der Japaner wird 2024 aller Voraussicht nach ein weiteres Jahr für LCR Honda fahren und damit Teamkollege von Zarco werden. "Es ist so gut wie sicher, ich werde zu 99 Prozent weiter bei LCR fahren", verriet er am Donnerstag in Barcelona. "Ich will dabei helfen, dass Bike zu verbessern."

Elementar dafür wäre natürlich, dass Honda ihm auch die Möglichkeit dazu gibt. Nakagami lässt wissen: "Aktuell ist Honda sehr auf das Werksteam fokussiert, hoffentlich ändert sich das im nächsten Jahr mit der Ankunft von Zarco. Ich pushe schon sehr lange dafür, dass LCR mehr unterstützt wird. Zarco und ich können ebenfalls gutes Feedback geben, um das Motorrad zu verbessern. Wenn du dich nur auf das Werksteam konzentrierst, dauert es länger [Fortschritte zu erzielen, Anm.]." Der Japaner verlange zwar nicht, dass sämtliche neuen Teile zuerst beim Team von Luccio Cecchinello landen, "aber wenn sie verfügbares Material haben, ist es besser, dieses zu testen und Feedback zu geben."

Genau darin sah auch Noch-Teamkollege Rins ein großes Problem. "In Argentinien konnte ich Marcs Chassis testen [Marquez fehlte verletzungsbedingt, Anm.]. Joan [Mir] fuhr ein anderes Chassis, also habe ich Honda gebeten, diese Version auch testen zu dürfen. Meiner Meinung nach wäre das der ideale Zeitpunkt gewesen. Honda hat aber abgelehnt, obwohl sie ein Chassis übrighatten", kritisierte er seinerzeit.

Marc Marquez und Joan Mir im Österreich-GP 2023
Bei Honda liegt der Fokus vorrangig auf dem Werksteam, Foto: Repsol

Marc Marquez pro LCR-Unterstützung: Gute Idee

Mittlerweile scheint Honda die Zeichen der Zeit aber erkannt zu haben. Nach der Sommerpause durfte Nakagami in Silverstone beispielsweise ein neues Aero-Paket als erster Honda-Pilot testen - auch vor Marquez. "Das hat mich selbst überrascht", gesteht der Japaner. "Aber das zeigt, dass sie ihre Denkweise schon geändert haben. Das ist ein erster wichtiger Schritt. Wir müssen so weitermachen und mehr Feedback von den Fahrern einholen, das ist sehr wichtig."

Marquez selbst zeigte sich am Donnerstag im Rahmen der offiziellen MotoGP-Pressekonferenz ebenfalls als Fürsprecher dieses Strategiewechsels. Der Honda-Superstar sagte: "Das liegt natürlich nicht in meinen Händen. Honda ist um all seine Fahrer bemüht und hört allen zu, Taka hat in letzter Zeit einige Teile vor mir getestet. Wir werden sehen, ob das in Zukunft so bleibt, in diesem Fall war das aber sicher die richtige Entscheidung."