Nach seinem Aufstieg in die MotoGP zu Beginn der Saison 2019 hat sich Joan Mir schnell im Spitzenfeld der Königsklasse etabliert. 2020 krönte er sich zum Weltmeister, 2021 wurde er WM-Dritter. Seit dem Bekanntwerden des Suzuki-Ausstiegs mit Ende der Saison 2022 befindet sich der Mallorquiner jedoch in einer tiefen Krise. Daran hat auch der - mehr oder weniger gezwungene - Wechsel von Suzuki zu Repsol Honda nichts geändert.
Die Bilanz nach fünf Rennwochenenden beim erfolgreichsten Hersteller der MotoGP-Geschichte ist erschreckend: Mir verzeichnete bereits sechs Stürze und konnte infolge einem der Abflüge beim Argentinien-GP mit einer Gehirnerschütterung gar nicht erst an den Start gehen. Nur dreimal erreichte er das Ziel, zweimal davon in den deutlich kürzeren Sprints. P12 in Austin und P14 in Le Mans, jeweils knapp 15 Sekunden hinter dem Rennsieger.
Punkte erzielte Mir einzig beim ersten Grand Prix des Jahres in Portimao. Dort wurde er mit knapp 17 Sekunden Rückstand Elfter. Durch zahlreiche Stürze und verletztungsbedingte Ausfälle erreichten dort aber auch nur 14 Fahrer das Ziel. Lediglich Markenkollege Takaaki Nakagami, Rookie Augusto Fernandez und Yamaha-Pilot Franco Morbidelli waren langsamer als der Honda-Neuzugang. In der Fahrer-WM liegt Mir damit nach einem Viertel der Saison auf Platz 23. Teamkollege Marc Marquez hat bereits mehr als doppelt so viele Zähler, obwohl er nur vier der zehn Rennen startete. Die Ersatzfahrer Danilo Petrucci und Michele Pirro sind gleichauf mit Mir, Dani Pedrosa und Jonas Folger haben beide bereits mehr Punkte erzielt.
Mir kritisiert Honda: Sie verstehen nicht, was ich brauche
In Frankreich ließ Mir am Samstag deshalb tief blicken: "Ich kann auf dem Bike nicht machen, was ich machen will. Ich probiere andere Fahrstile, aber es fühlt sich einfach nicht natürlich an. Wir sind nicht da, wo wir sein wollen. Ich kann keinen Speed durch Kurven mitnehmen oder den Exit früher vorbereiten. Ich gehe weit und kann die Linien nicht halten. Wir haben große Probleme, das ist Fakt." Von seinem Repsol Honda Team fühlt er sich im Stich gelassen: "Sie verstehen einfach nicht, was ich brauche, um konkurrenzfähig zu sein."
Aufgeben will der einmalige MotoGP-Rennsieger und Weltmeister von 2020 nicht, er gibt aber offen und ehrlich zu, dass ihm die aktuelle Situation sehr zu schaffen macht: "Ich glaube daran, dass wir dieses Bike an mich anpassen können. Ich weiß, wie ich ein Motorrad zu fahren habe. Zu Beginn bin ich immer da [im 1. Training, Anm.]. Aber sobald ich mich steigern will, wird alles komplizierter. Ich habe nicht vergessen, wie man fährt. Sie müssen aber einfach verstehen, was ich brauche, um mein Potenzial abrufen zu können. Als Fahrer kannst du deinen Fahrstil anpassen, aber du kannst nicht alles verändern. Wir müssen einen Kompromiss finden."
Dass es durchaus funktionieren kann, zeigte Ex-Suzuki-Teamkollege Alex Rins. Der jetzige LCR-Pilot trumpfte Mitte April in Austin auf und fuhr im Sprint erst als Zweiter auf das Podium, ehe er Honda im Hauptrennen den ersten MotoGP-Sieg seit September 2021 bescherte. Auch er hat weiterhin mit Anpassungsproblemen zu kämpfen, fährt aber auch an schwächeren Tagen in Punktenähe. Mit 47 Zählern liegt Rins auf dem zehnten Platz der Fahrer-WM und ist damit klar bester Honda-Pilot. Vor seinem Sturz lag Rins auch im Frankreich-GP als Zehnter in den Punkterängen - direkt hinter Fabio Quartararo, der letztlich Siebter wurde.
Nächster Honda-Flop? Mir: Situation macht mir große Angst
Ganz anders Mir, der zum Zeitpunkt seines Sturzes in Runde 13 in T8 auf dem 16. und vorletzten Platz lag. Einzig Folger war noch etwas weiter zurück. Selbst die Ersatzfahrer Petrucci und Savadori befanden sich deutlich vor dem Spanier, auf den schlechtplatziertesten Stammfahrer Morbidelli fehlten bereits mehr als zehn Sekunden. Damit reiht sich Mir aktuell unmittelbar in eine Reihe hochtalentierter MotoGP-Stars ein, die bei Honda keinen Fuß auf den Boden bekamen. Vor ihm waren in den letzten Jahren schon Jorge Lorenzo, Alex Marquez und zuletzt Pol Espargaro krachend gescheitert.
"Die Situation macht mir große Angst", gesteht Mir in Le Mans. "Ich will gewinnen. Für einen Fahrer von meinem Format ist es schwer zu mitanzusehen, wo ich aktuell rumfahre. Rennen zu gewinnen, auf dem Podium zu stehen und mit den Topfahrern zu kämpfen - das treibt mich an, aber das hatte ich schon lange nicht mehr. Ich brauche das", klagt er und präsentiert sich ziemlich ratlos: "Ich fahre das Motorrad, aber ich pushe nicht. Ich kann gar nicht pushen."
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