Bei vier der fünf MotoGP-Hersteller ist die Situation nach den ersten offiziellen Testfahrten des Jahres 2023 schon recht klar: Ducati und Aprilia stehen an der Spitze des Feldes, Yamaha und speziell Honda kämpfen mit Problemen. Über das KTM-Lager herrscht nach Sepang hingegen noch Einiges an Unklarheit vor dem finalen Test am 11. und 12. März in Portimao. Die Österreicher sind das einzig verbliebene, große Fragezeichen der Königsklasse. Motorsport-Magazin.com hat den Hersteller aus Mattighofen unter die Lupe genommen.

Ende Januar hatte KTM im Rahmen der Teampräsentation für die Saison 2023 noch aufhorchen lassen. Brad Binder gab Platz drei in der Fahrer-Weltmeisterschaft als Ziel aus, Teammanager Francesco Guidotti sprach sogar vom ganz großen Wurf in der Hersteller-WM. Ambitionen, die nach dem Shakedown in Sepang gar nicht so unrealistisch erschienen. Dort gelang KTM zwar keine Bestzeit, das lag aber vor allem daran, dass Testfahrer Dani Pedrosa ohne aktivierten Transponder unterwegs war. Dadurch schrieb der 'Little Samurai' nie eine offizielle Rundenzeit an, soll aber sehr schnell gewesen sein - womöglich auf Augenhöhe mit Ducati und Co.

Honda zittert: MotoGP-Prototyp für 2023 landet in der Tonne (07:48 Min.)

Ob dem nun so war oder nicht - spätestens seit den offiziellen Testfahrten in Sepang am vergangenen Wochenende wissen wir: Zur Spitzengruppe gehört KTM aktuell nicht. In der kombinierten Zeitenliste fanden sich die vier Maschinen der Österreicher nur auf den Plätzen 13, 14, 18 und 22 wieder. Auf die Bestzeit von VR46-Pilot Luca Marini fehlten mehr als neun Zehntelsekunden.

KTM: Viele neue Teile verhindern ernstzunehmende Zeitattacken

Erklären lässt sich dieser große Rückstand womöglich mit dem enormen Testaufwand, den KTM in Sepang betrieben hat. Es wurde viel getestet und ausprobiert, sowohl im Werksteam als auch bei GasGas. So kamen etwa zwei völlig verschiedene Verkleidungen zum Einsatz: Einmal die Variante, die bereits im Vorjahr in Valencia debütierte und einmal eine völlig neue Variante, die das umfangreichste Aerodynamikpaket beinhaltete, was wir in der MotoGP bislang gesehen haben. Während im unteren Bereich des Chassis ein breites Design zur Generierung von 'Ground effect' dominierte, kamen im mittleren und oberen Bereich auch noch Downwash-Ducts und Winglets zum Einsatz.

Brad Binder testete in Sepang zwei unterschiedliche Chassis-Varianten, Foto: MotoGP.com
Brad Binder testete in Sepang zwei unterschiedliche Chassis-Varianten, Foto: MotoGP.com

Zudem testete KTM in Sepang auch noch ein neues, völlig anders klingendes Triebwerk, welches mehr an einen V2- als einen V4-Motor erinnerte. Dementsprechend mussten viele verschiedene Einstellungen und Teile-Kombinationen ausprobiert werden. "Heute hatte ich jedes Mal, wenn ich die Boxengasse verlassen habe, etwas Neues am Bike", bestätigt Binder am Sonntag. Viel wichtiger aus Sicht des Südafrikaners jedoch: "Wir haben viele Informationen und Daten gesammelt. Ich denke, dass wir unsere Optionen ziemlich eingegrenzt haben und dem Paket, mit dem wir in die Saison starten werden, immer näherkommen."

Ducati und Aprilia sind KTM in diesem Punkt schon voraus, was wohl auch daran gelegen haben dürfte, dass die Österreicher mit Binder nur über einen Piloten verfügen, der im Vorjahr schon auf der RC16 saß. Jack Miller, Pol Espargaro und Augusto Fernandez sind 2023 neu im Team, müssen sich erst (wieder) mit dem Bike vertraut machen und können dementsprechend noch kein so gutes Feedback geben wie der Südafrikaner.

KTM-Neuzugänge: Miller in der Sackgasse, Pol Espargaro auf Kurs

Speziell Miller, der von Ducati zu KTM gekommen ist, scheint noch mit seinem neuen Arbeitsgerät zu kämpfen zu haben. "Wir verändern momentan ein paar Dinge am Bike, damit ich mich wohler fühle. Was das Setup angeht, sind wir aktuell in einer Art Sackgasse", berichtete der Australier am Sonntag zur Session-Halbzeit. Für den finalen Test in Portimao gibt er sich dennoch optimistisch: "Ich fühle mich schon deutlich wohler [als zu Beginn, Anm.]. Ich verstehe das Bike immer besser und weiß, wo ich mich verbessern muss. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich mir das Motorrad zu Eigen gemacht habe."

Jack Miller kämpft noch mit seinem neuen Arbeitsgerät, Foto: LAT Images
Jack Miller kämpft noch mit seinem neuen Arbeitsgerät, Foto: LAT Images

Deutlich besser lief es bei Rückkehrer Espargaro, der die vergangenen beiden Jahre bei Repsol Honda an der Seite von Marc Marquez verbrachte. Der GasGas-Pilot fand sich am Samstag in den Top drei wieder und erzielte dann auch am Sonntag die beste KTM-Rundenzeit. "Heute war der beste Tag für uns. Wir haben viele verschiedene Dinge ausprobiert und alle haben sehr gut funktioniert. Die Verbesserungen, die KTM in den letzten Jahren erzielt hat, sind wirklich unglaublich. Das Motorrad funktioniert, ich bin glücklich", berichtete der Spanier nach Testende.

Dass er sich mit 0,908 Sekunden Rückstand nur in der zweiten Tabellenhälfte wiederfand, beunruhigte Espargaro nicht. "Wir sind auf P13 gelandet, weil die Rundenzeiten in der letzten Stunde explodiert sind, aber wir waren den ganzen Tag in den Top-Fünf. Es ist sehr leicht, hier nach drei Testtagen eine schnelle Runde zu fahren, das bedeutet aber nicht viel", glaubt er. Der GasGas-Pilot erinnert: "Was zählt, sind die Rundenzeiten beim Grand Prix von Portugal, nicht die bei den Tests. Letztes Jahr war ich hier auch einer der Schnellsten mit dem besten Rhythmus." Das Ergebnis ist bekannt: Nach einem Podium zum Saisonstart stürzte Espargaro 2022 ab und erzielte im weiteren Saisonverlauf nur noch 40 WM-Punkte.

MotoGP-Rookie Fernandez hinkt hinterher: Noch viel Arbeit vor der Brust

Während der 31-Jährige also entspannt nach Portimao blickt, ist auf der anderen Seite der Garage noch ordentlich Arbeit gefragt. Augusto Fernandez, 2023 einziger MotoGP-Rookie, konnte in Sepang zumindest zeitenmäßig noch nicht überzeugen. Die beste Rundenzeit des amtierenden Moto2-Weltmeisters reichte mit 1,771 Sekunden Rückstand nur zu Platz 22 im Gesamt-Klassement, einzig Takaaki Nakagami war ähnlich langsam unterwegs. Zu Franco Morbidelli und P20 fehlten schon fast sieben Zehntel.

Augusto Fernandez debütiert 2023 in der MotoGP, Foto: MotoGP.com
Augusto Fernandez debütiert 2023 in der MotoGP, Foto: MotoGP.com

Dennoch lässt sich Fernandez nicht beunruhigen: "Ich fahre mit einem positiven Gefühl nach Hause. In den letzten drei Tagen haben wir viele Fortschritte gemacht, gerade was die Basis und mein Gefühl für das Motorrad angeht." Ohnehin wird der Rookie noch etwas Zeit brauchen, um sich an die neue Klasse zu gewöhnen. Regelmäßig wiederkehrende Regenfälle und nasser Asphalt ließen für Fernandez im Sepang-Test nur 136 Runden auf einem MotoGP-Bike zu, damit findet sich der 25-Jährige eher am unteren Ende des Klassements wieder. Zum Vergleich: Primus Maverick Vinales spulte in Sepang 158 Runden ab.

"Ich weiß, dass ich noch viel zu tun habe, aber jeder kleine Schritt zählt. Ich habe jeden Tag viel Neues gelernt", berichtet Fernandez, der sich am Freitag durch einen Sturz in Turn 1 selbst noch um wertvolle Testzeit gebracht hatte. "Ich werde jetzt alle Daten sorgfältig prüfen - meine eigenen, aber auch die der anderen Fahrer. Dann setzen wir unsere Arbeit in Portimao fort. Wir müssen einfach geduldig sein und die Dinge klug angehen."