Vier Jahre ist es her, dass wir in Assen eines der besten MotoGP-Rennen der Geschichte erlebt haben. Über 100 Überholmanöver warfen sich die Fahrer in der acht Mann starken Spitzengruppe der Dutch TT 2018 um die Ohren. 41 Minuten pures Spektakel, pure Dramatik, pure Action. Dieses Rennen in Assen war herausragend, Rennen mit großen Führungsgruppen und dementsprechend vielen Zweikämpfen waren zu dieser Zeit aber an der Tagesordnung. Nicht selten fiel die Entscheidung erst durch eine Attacke in der letzten Runde oder gar letzten Kurve. Hochspannung, von der die MotoGP aktuell leider nur träumen kann. Das Racing ist statisch geworden, die Überholmanöver rar, die Technik zu dominant. Eine Entwicklung, die sich über die vergangenen Jahre hinweg ankündigte und die Königsklasse 2022 mit voller Härte traf.
Die MotoGP-Fahrer klagen bereits seit Monaten. Zu schwierig sei es, anderen Piloten zu folgen und sie anschließend zu überholen. Luftverwirbelungen durch die gewaltigen Flügel an den MotoGP-Motorrädern produzieren Dirty-Air, welche die Bikes schwer kontrollierbar macht. Ride-Height-Devices sorgen für zusätzliche Bewegung in den Maschinen und treiben Reifendrücke dadurch oft in schwindelerregende Höhen, was Überholen zusätzlich verkompliziert.
Diese Gegebenheiten sorgten Anfang Juni für ein bemerkenswertes Statement eines der langjährigsten Partner der MotoGP: Repsol. Der spanische Mineralölkonzern ist nicht nur Titelsponsor des Honda-Werksteams, sondern auch mit Bandenwerbung an den Rennstrecken im Kalender stets präsent. Auf seiner eigenen Website, in der Repsol über seine Motorsportaktivitäten informiert, wurde ein Artikel publiziert, in dem man sich auf das aktuelle Regelkorsett der Königsklasse einschießt. Nun lässt sich bei Inhalten, die ein Unternehmen publiziert, welches Hondas MotoGP-Projekt derart nahesteht, kaum von einer unabhängigen Quelle sprechen. Dass der japanische Hersteller und sein Superstar Marc Marquez zu den größten Leidtragenden der derzeit gültigen technischen Rahmenbedingungen zählen, lässt sich nicht bestreiten. Doch bei aller gebotener Skepsis, ist ein gehöriger Wahrheitsgehalt in der Repsol-Argumentation nicht zu negieren.
Darüber, dass sich die MotoGP wieder mehr in Richtung ihrer ursprünglichen Werte bewegen muss, herrscht im Paddock größtenteils Einigkeit. Natürlich wird in der Königsklasse mit Prototypen gefahren, die aber im weiteren Sinne dennoch klassischen Motorrädern gleichen sollten. Eine Rückkehr zu diesem Konzept, unter dem die MotoGP jahrelang florierte, ist aber nicht einfach. Denn die Regelhüter haben sich eine solche durch ihre selbst ausgearbeiteten Auflagen praktisch unmöglich gemacht. "Was das Reglement betrifft, haben wir jetzt Stabilität von 2022 bis 2026", erklärt Carmelo Ezpeleta, Geschäftsführer von MotoGP-Promoter Dorna. In diesem Zeitraum dürfen nur kleine Anpassungen am Reglement vorgenommen worden, die Eckpunkte bleiben unverändert. "Derartige Veränderungen wären nur möglich, wenn es Sicherheitsbedenken gibt oder sich alle Parteien einig sind. Wir würden mit den Herstellern beispielsweise gerne über die Winglet-Thematik sprechen." Ein Erfolg dieses Vorstoßes scheint aber unwahrscheinlich, stemmt sich doch mit Ducati zumindest ein Werk gegen ein Verbot von Winglets und Ride-Height-Devices.
Die Problemlösung bis 2027 aufzuschieben kann aber nicht die Lösung sein. Promoter Dorna muss einen Weg finden, die Serie in absehbarer Zeit wieder für Fans attraktiv zu machen. Carmelo Ezpeleta ist bekannt dafür, mit viel Verhandlungsgeschick und sanftem Nachdruck auch verhärtete Fronten aufzubrechen. Das gelang ihm etwa 2016 bei der Einführung der Einheitselektronik, gegen die Honda und Yamaha lange rebellierten.
Dieser Kommentar erschien erstmals in Ausgabe 85 unseres Print-Magazins. Dort blicken wir natürlich nicht nur auf die Probleme der MotoGP, sondern auch auf die Formel 1, DTM & Co. Auf den Geschmack gekommen? Das Motorsport-Magazin könnt ihr seit neuestem nicht nur abonnieren, sondern auch an eure motorsportbegeisterten Liebsten verschenken.
diese MotoGP Kommentar