Schon einmal etwas von der World Series gehört? Nein, nicht dieser Baseball-Wettbewerb, der sich World Series nennt, obwohl daran nur amerikanische Mannschaften teilnehmen. Die Motorradrennserie. Nicht? Kein Wunder, denn die World Series trug nie auch nur ein einziges Rennen aus. Und das, obwohl Superstars wie Kenny Roberts senior, Barry Sheene oder Kork Ballington bereits ihre Teilnahme an dieser Meisterschaft für Motorräder bis 250- und 500ccm zugesagt hatten. Was war passiert? Die 1979 im Rahmen des Großbritannien GP in Silverstone präsentierten Pläne für die World Series waren in erster Linie eine Drohung an die damaligen Machthaber der Motorrad-Weltmeisterschaft. Roberts und der US-amerikanische Journalist Barry Coleman standen an der Spitze der geplanten Revolution. 'King Kenny' war erst 1978 aus den USA und der dortigen AMA-Meisterschaft auf die ganz große Bühne der WM gewechselt - und war fassungslos, wie hier mit den Fahrern umgegangen wurde. Sicherheit war ein großes Thema, die undurchsichtige Vergabe von Preisgeldern die andere. Kurz gesagt: Es fehlte in den Augen von Roberts an grundlegendem Respekt gegenüber den Fahrern. Schnell hatten er und Coleman praktisch das gesamte Starterfeld für ihre Idee gewonnen, selbst Roberts Erzrivale Barry Sheene schloss sich den Revoluzzern an. Die Vorbereitungen nahmen Fahrt auf und die Arbeiten für einen Rennkalender zur Saison 1980 begannen, wurden allerdings von der FIM massiv torpediert, sah man doch die eigenen Felle davonschwimmen. Die Reaktion war heftig: Jede Strecke, die ein Rennen zur World Series austragen würde, wäre ihren Platz im WM-Kalender sofort und dauerhaft los, stellten die Spitzen des Motorradweltverbandes klar. Kaum ein Streckenbetreiber war bereit, dieses Risiko einzugehen und sein Unternehmen so vielleicht in massive wirtschaftliche Turbulenzen zu führen. Und so waren Roberts, Sheene und Co. gezwungen, zur Saison 1980 in den vormals so verhassten WM-Paddock zurückzukehren. Doch ihre Bemühungen waren keineswegs umsonst. Die Entscheidungsträger hatten den Warnschuss ihrer Stars deutlich registriert und stellten die Weichen für die geforderten Änderungen.

Heute, 43 Jahre später, gehören die meisten Probleme der damaligen Fahrergeneration der Vergangenheit an. Rennstrecken werden nicht mehr von Leitschienen und Strohballen umrahmt, sondern von großflächigen Auslaufzonen und Airfences. Gefährliche Straßenkurse wie Spa-Francorchamps oder der finnische Kurs in Imatra mit seiner Eisenbahnkreuzung sind permanenten, auf die Anforderungen des modernen Rennsports ausgelegten Layouts gewichen. Und die Fahrer müssen am Sonntagabend auch nicht mehr wie Tagelöhner bei den Veranstaltern Schlange stehen, um ihr Start- beziehungsweise Preisgeld zu erhalten. Und doch wächst nun im Grid wieder die Unzufriedenheit über die Art und Weise, wie mit den Piloten umgegangen wird. Konkret geht es um die Verträge der Fahrer mit Teams beziehungsweise Herstellern. In erster Linie wird kritisiert, dass vor allem weniger renommierte Starter den Machenschaften ihrer Arbeitgeber teils hilflos ausgeliefert sind. Die vergangenen Jahre sind voll von gebrochenen Verträgen, querbeet durch alle Klassen der Motorrad-Weltmeisterschaft. Karel Abraham etwa hatte beim Avintia-Rennstall einen gültigen MotoGP-Kontrakt für 2020 in der Tasche, wurde aber vor die Tür gesetzt, als man die Möglichkeit hatte, den bei KTM in Ungnade gefallenen Johann Zarco ins Team zu holen. Abraham beendete daraufhin im Alter von nur 29 Jahren seine aktive Karriere. Kurz vor Saisonstart 2022 erklärte die Moto3-Truppe von BOE Motorsports den bereits unterschriebenen und öffentlich kommunizierten Vertrag mit David Salvador wieder für nichtig und holte stattdessen Ana Carrasco an Bord. Erst im vergangenen Mai wurde Romano Fenati nach schwachen Leistungen in den ersten Saisonrennen der Moto2 vom SpeedUp-Team gefeuert und kurzerhand durch Alonso Lopez ersetzt. Auch Fenati hatte einen gültigen Vertrag. Teams können Fahrer scheinbar beliebig austauschen, Wechsel auf Wunsch der Piloten innerhalb der Vertragslaufzeit sind aber praktisch unmöglich. Pocht der Arbeitgeber auf die Einhaltung, kann der Fahrer nicht bei einem anderen Team unterschreiben. Eine Schieflage, die man korrigiert sehen will.

Kenny Roberts Senior führte den ersten Fahreraufstand der Motorrad-WM an, Foto: Milagro
Kenny Roberts Senior führte den ersten Fahreraufstand der Motorrad-WM an, Foto: Milagro

MotoGP-Stars einig: Gehälter bei Kundenteams viel zu niedrig

Doch auch wenn ein unterschriebener Kontrakt eingehalten wird, stellt er den betreffenden Fahrer oft nicht annähernd zufrieden. Um das eigene sportliche Vorankommen zu sichern, wird dennoch die Unterschrift auf das Papier gesetzt. Aleix Espargaro etwa zeigte sich von den ersten Angeboten seines Aprilia Teams regelrecht schockiert. Erst nach monatelangem Tauziehen waren die Italiener bereit, ein für Espargaro akzeptables Gehalt zu zahlen. Der WM-Anwärter unterschrieb schließlich für zwei weitere Jahre. Joan Mirs Angebot für eine Vertragsverlängerung bei Suzuki für 2023 und 2024 - noch bevor der Rennstall Anfang Mai von der japanischen Konzernführung über den MotoGP-Ausstieg mit Saisonende informiert wurde - hätte etwa den Verzicht auf zwei Drittel seines aktuellen Gehalts beinhaltet. Mirs Gehalt wäre somit niedriger gewesen als in seiner Rookie-Saison 2019. Zur Erinnerung: Er wurde in der Zwischenzeit MotoGP-Weltmeister und holte dabei Suzukis ersten Fahrerweltmeistertitel seit Kenny Roberts junior im Jahr 2000. Vor allem Neueinsteiger müssen laut Informationen aus dem Paddock oftmals zu Konditionen an den Start gehen, die weder ihrer Qualität noch den Gefahren des MotoGP-Renngeschehens Rechnung tragen. Fabio Quartararo etwa soll seine Rookie-Saison 2019 beim Yamaha-Kundenteam von Petronas SRT für ein Gehalt von gerade einmal 80.000 Euro bestritten haben. Er fuhr damals sieben Podiumsplatzierungen sowie sechs Pole Positions ein und beendete die Saison auf dem starken fünften Rang der Gesamtwertung. Seither hat sich die Situation weiter verschärft. Durch die Corona-Pandemie und die vom Ukraine-Krieg zusätzlich befeuerte Wirtschaftskrise nutzen Teams und Hersteller jede Möglichkeit zur Kostenreduktion. Die Leidtragenden hierbei sind die Fahrer. "Die MotoGP ist ein gewaltiges Business", verdeutlicht Fahrer-Manager Paco Sanchez, der in der Königsklasse 2022 Joan Mir und Remy Gardner betreute. "Meiner Meinung nach sollte ein beträchtlicher Anteil der generierten Einnahmen an die Stars dieser Szene gehen, so wie das etwa im Fußball oder beim Tennis der Fall ist. Dass in unserem Fall die Fahrer die Stars sind, steht außer Frage. Sie haben eine faire Entlohnung verdient. Ich bin deshalb der Meinung, dass es ein Mindestgehalt geben sollte, welches entweder die Dorna als Promoter vorschreibt oder auf das sich die Hersteller einigen. Niemand verlangt, dass sie einem Rookie das gleiche Gehalt zahlen wie einem Marc Marquez, aber eine ordentliche Entlohnung muss sein. Immerhin setzen die Jungs da draußen ihr Leben aufs Spiel. Manche jungen Fahrer unterschreiben einen Vertrag für gerade einmal 100.000 Euro. Andere fahren praktisch umsonst."

Sanchez erhält für seine Äußerungen jede Menge Zustimmung von arrivierten Piloten. "Wir Fahrer wissen ungefähr, wie viel jeder von uns verdient und es sieht so aus, als würden einige von uns für ein sehr geringes Gehalt starten", sagt Marc Marquez, seit Jahren der Spitzenverdiener der MotoGP mit kolportierten 25 Millionen Euro pro Saison. "Für mich persönlich wäre es besser, diesbezüglich die Klappe zu halten, denn kein Fahrer verdient hier so viel Geld wie ich. Für mich ist die Situation also mehr als okay. Ich habe aber kein Problem damit, über dieses Thema zu sprechen, weil es einfach nicht fair ist. Mir ist klar, wie schwierig die Situation für die betroffenen Fahrer ist und ich werde sie voll unterstützen." Ganz ähnliche Worte findet Joan Mir: "Wir müssen alle zusammenstehen - auch die Fahrer, die besser bezahlt werden. Das ist wichtig. Wir müssen uns gegenseitig helfen und dürfen nicht egoistisch sein." Auch Aleix Espargaro stimmt mit ein: "Ich bin für ein Mindestgehalt, denn die Hersteller würde das wirklich nicht hart treffen. Wir Werksfahrer liegen ohnehin weit über einer solchen Marke, aber es geht um ein gewisses Maß an Respekt gegenüber den Piloten in Privatteams. Was da abgeht, ist alles andere als fair. Die Teams haben eine Vertretung, die sie schützt. Als Fahrer stehst du völlig allein da. Das ist nicht okay."

Marc Marquez wäre der logische Kandidat für den Gewerkschaftsanführer, Foto: LAT Images
Marc Marquez wäre der logische Kandidat für den Gewerkschaftsanführer, Foto: LAT Images

Fahrergewerkschaft als Lösung? Die Formel-1-Fahrer haben es vorgemacht

Die Probleme sind also klar ersichtlich, aber wie können sie gelöst werden? Der einzige Ausweg aus der Misere scheint die eigentlich längst überfällige Einführung einer Fahrergewerkschaft in der Motorrad-Weltmeisterschaft zu sein. Das WM-Geschehen wird seit Beginn der 1990er Jahre von vier großen Institutionen geleitet, von denen aber keine vorrangig für das Wohl der Piloten verantwortlich ist. Der Motorradweltverband FIM (Federation Internationale de Motocyclisme) ist die Sporthoheit der WM und als solche unter anderem für die Herausgabe des Sportlichen und Technischen Reglements verantwortlich. Außerdem stellt sie die für Bestrafungen verantwortlichen MotoGP-Stewards ebenso wie die Appeal-Stewards, die im Fall von Einsprüchen zum Einsatz kommen. Auch die Homologation von Motorrädern, Rennstrecken und Sicherheitsausrüstung fällt in den Aufgabenbereich des Motorradweltverbandes. Die Hersteller der MotoGP haben sich in der MSMA (Motorcycle Sports Manufacturers' Association) zusammengeschlossen und üben dort großen Einfluss auf die technische Ausrichtung der Königsklasse und die Gestaltung des dementsprechenden Reglements aus. Die privaten Rennställe werden durch die IRTA (International Road Racing Teams Association) vertreten. Sie kämpft für finanzielle Unterstützung der kleineren Teams und Rahmenbedingungen, die diesen Rennställen eine erfolgreiche Teilnahme an der MotoGP ermöglichen. Die letzte Institution in diesem Quartett der großen Player ist Dorna Sports. Das spanische Unternehmen ist der kommerzielle Rechteinhaber der Motorrad-Weltmeisterschaft und schließt in dieser Rolle Verträge mit Rennstrecken oder TV-Stationen ab, ist aber auch maßgeblich an der strategischen Ausrichtung der Serie beteiligt.

So wird im übergeordneten Gremium, der Grand Prix Commission, jede Stimme gehört - außer die der Fahrer. Ganz anders ist das etwa in der Königsklasse auf vier Rädern, der Formel 1. Dort wurde bereits 1961 eine Fahrergewerkschaft gegründet, die Grand Prix Drivers' Association, kurz GPDA. Ihre Anliegen glichen denen von Motorradrebell Kenny Roberts. Die Einführung beziehungsweise Einhaltung von Sicherheitsstandards wurde ebenso gefordert wie eine angemessene Entlohnung der Fahrer. Zwischen 1982 und 1994 lag die GPDA brach, wurde aber nach den tragischen Vorfällen in Imola, die in den tödlichen Unfällen von Roland Ratzenberger und Ayrton Senna resultierten, wieder neu aufgestellt. Seither kümmert sich die GPDA in erster Linie um Sicherheitsthemen, beschäftigt sich aber auch mit der sportlichen und wirtschaftlichen Entwicklung der Serie und meldet sich bei Bedarf öffentlich zu Wort. Ein Gremium, das den MotoGP-Piloten zweifelsohne als Vorbild dienen sollte. Doch bevor es eine derartige Fahrergewerkschaft auch im Zweiradzirkus geben kann, gibt es einige Hürden zu überwinden und viele Fragen zu klären. Etwa die nach dem Gewerkschaftsvorsitzenden. "Bislang hatten wir nie einen Anführer, der sich ausreichend darum gekümmert hätte. Valentino Rossi wäre sicher der Richtige für diese Rolle gewesen. Wir haben auch einige Male darüber diskutiert, aber er wollte es nie machen", verrät Pol Espargaro. Folgt man der Logik eines großen Namens an der Spitze, könnte der zukünftige Vorsitzende einer Fahrergewerkschaft eigentlich nur Marc Marquez heißen. Der Repsol-Honda-Pilot ist nicht nur der mit Abstand erfolgreichste und populärste Mann in der aktuellen MotoGP-Startaufstellung. Zehn Saisons in der Königsklasse bedeuten nach Aleix Espargaro auch den größten Erfahrungsschatz im Grid für 2023. Doch Marquez winkt ab. "Ich finde, dass der Anführer nicht parallel noch aktiv sein sollte", sagt er. "Deshalb sehe ich mich nicht in dieser Rolle. Das ist nicht mein Job."

Im Formel-1-Pendant GPDA arbeitet man seit der Wiedereinführung 1994 mit einer Mischung aus aktiven und zurückgetretenen Fahrern in der Rolle des Vorsitzenden. Michael Schumacher übernahm das Amt bei der Neugründung und behielt es bis 2005. Später hatten sein Bruder Ralf, David Coulthard, Pedro de la Rosa, Nick Heidfeld und Rubens Barrichello den Vorsitz inne - teils während, teils nach ihren Formel-1-Karrieren. Seit 2014 steht Alexander Wurz an der Spitze der GPDA. Er übernahm die Rolle sieben Jahre nach seiner letzten Saison in einem Formel-1-Auto und damit zu einem Zeitpunkt, als er bereits im Langstreckensport eine neue Heimat gefunden hatte. Wurz wurde 2022 von drei Direktoren unterstützt - den aktiven Piloten Sebastian Vettel und George Russell, sowie seit März 2021 auch von Anastasia Fowle. Die britische Juristin ist die erste Person, die es ohne Erfahrung in einem Formel-1-Boliden zur Direktorenposition gebracht hat. Sie fungiert aufgrund ihrer Ausbildung als Rechtsbeistand.

Die GPDA verkehrte in der Formel 1 auch mit Zampano Bernie Ecclestone für Projekte wie eine Fan-Umfrage, Foto: Sutton
Die GPDA verkehrte in der Formel 1 auch mit Zampano Bernie Ecclestone für Projekte wie eine Fan-Umfrage, Foto: Sutton

Motorsport-Magazin meint: Die GPDA ist in der Formel 1 zu einer fixen Größe geworden. Eine Institution, die ernstgenommen wird. Das ist es, was auch die MotoGP-Fahrer verdient haben. Ja, es gibt die Safety-Commission, doch die beschäftigt sich eben, wie der Name bereits verrät, mit Sicherheitsanliegen. Zwar werden die Meetings der Safety-Commission - diese finden traditionell am Freitagabend eines Rennwochenendes statt - mittlerweile auch genützt, um diverse andere Anliegen zu platzieren. Eine große Reaktion wird man so aber auch in Zukunft nicht erreichen. Wollen die Fahrer mit ihren Wünschen und Sorgen, egal welche Thematiken sie betreffen mögen, ernstgenommen werden, dann führt kein Weg an der Gründung einer Fahrergewerkschaft vorbei. "Es wird nicht von heute auf morgen gehen. So etwas braucht Zeit", meint Marc Marquez. Der Motorsport ist in den vergangenen Jahrzehnten tatsächlich komplexer geworden. Einige Monate oder vielleicht sogar Jahre werden vergehen, ehe eine Fahrergewerkschaft ihren richtigen Platz im politischen Hickhack der MotoGP gefunden hat. Umso wichtiger wäre es, eine solche Einrichtung möglichst schnell an den Start zu bringen und sich nicht in endlose Diskussionen über den Vorstand und dessen sportlichen Status zu begeben.

Dieser Artikel erschien erstmals in Ausgabe 86 unseres Print-Magazins. Dort blicken wir natürlich nicht nur auf die Fahrer der MotoGP, sondern auch auf die Formel 1, DTM & Co. Auf den Geschmack gekommen? Das Motorsport-Magazin könnt ihr seit neuestem nicht nur abonnieren, sondern auch an eure motorsportbegeisterten Liebsten verschenken.