Das MotoGP-Qualifying am Sachsenring ließ die Wogen bei Fahrern und Fans ordentlich hochgehen. Grund dafür waren unzählige Bummeleien von Piloten auf der Suche nach dem Windschatten ihrer Gegner. Vor allem eine Szene sorgte für Aufsehen: Als das Quartett Aleix Espargaro, Marc Marquez, Jorge Martin und Miguel Oliveira zu Beginn des letzten Versuchs in Q2 auf der Strecke beinahe stehenblieb.

Da es nur zu einer Strafe (gegen Enea Bastianini) kam, hinterließen die FIM-Stewards in den Augen einiger Fahrer und vieler Fans wieder einmal den Eindruck, in der MotoGP und der Moto3, wo Bummeln ein Dauerthema ist, mit zweierlei Maß zu messen. Stimmt das? Und welche Lösungsansätze gibt es, um dieses Problem zu beheben?

Welche Regel untersagt das Bummeln?

Kaum zu glauben, aber wahr: Keine! Zumindest nicht explizit, denn sämtliche Bummelei-Vergehen werden seit Jahren nach Artikel 1.21.2 des Sportlichen Reglements bestraft. Dieser besagt im Wortlaut lediglich: "Piloten müssen in verantwortungsvoller Manier fahren, die andere Konkurrenten oder Teilnehmer nicht in Gefahr bringt, weder auf der Strecke noch in der Boxengasse."

Nach dieser oftmals als Gummi-Paragraf kritisierten Passage wird ein Großteil der Strafen ausgesprochen, etwa auch für das Auslösen einer Kollision oder Abschießen eines Gegners. Die schwammige Formulierung lässt den FIM-Stewards jede Menge Raum für unterschiedliche Interpretationen ähnlich wirkender Szenen. Hier liegt bereits eines der Grundübel: Der in vielen Passagen sehr undetailliert ausgeführte Regeltext der Motorrad-WM.

Das generelle Warten auf Windschatten ist nirgendwo ausdrücklich verboten, weshalb es auch nicht in jeder Situation bestraft wird.

Dicke Luft am Sachsenring: MotoGP-Fahrer bummeln im Qualifying (10:10 Min.)

Wann werden Strafen wegen Bummelns ausgesprochen?

Laut Artikel 1.21.2 wäre jede Bummelei zu bestrafen, die einen anderen Fahrer behindert oder gefährdet. Sollte ein Fahrer auf der Ideallinie langsam unterwegs sein, während von hinten ein Gegner auf einer schnellen Runde heranbraust, wäre das ein klares Vergehen.

In der Vergangenheit führte das vor allem in der Moto3 immer wieder zu tatsächlich gefährlichen Szenen, weshalb man dort seit Jahren versucht, das Suchen des Windschattens zu unterbinden. Mehrfach gab es offizielle Ansagen, wie man die Regeln künftig auslegen will und wann man bestraft wird.

Wurde zunächst das "langsame Fahren auf der Ideallinie" als Begründung in die Strafurteile aufgenommen, so war es später das Überschreiten der eigenen Sektorbestzeit um mehr als zwölf Prozent in mindestens drei Sektoren einer Runde, das für jeden in nackten Zahlen nachvollziehbar war.

Seit Saisonende 2019 tauchte diese Begründung aber in keinem Urteil mehr auf, stattdessen haben die Stewards nun wieder mehr Spielraum und können bereits langsames Fahren in einer einzigen Passage für eine Bestrafung heranziehen.

Wie wurden Strafen zuletzt begründet?

In der laufenden Saison gab es in der Moto3 bereits unzählige Strafen wegen Bummelns. Laut den Urteilen genügte für eine Bestrafung bereits das langsame Fahren in zwei oder drei Kurven. Von einer expliziten Gefährdung eines Gegners, war dabei nur in wenigen Urteilsbegründungen die Rede. So wurde etwa in Mugello Xavi Artigas bestraft, weil er in den Kurven 12 und 13 in den Augen der Stewards zu langsam unterwegs war.

Selbiges galt für gleich sechs Moto3-Fahrer im Qualifying von Jerez. Vier von ihnen mussten eine Long-Lap-Penalty absolvieren, während zwei eine Double-Long-Lap aufgebrummt bekamen. In den Urteilen dieser beiden Fahrer war explizit vom Stören anderer Fahrer die Rede, während das bei den anderen vier nicht der Fall war.

Wird in der Moto3 härter gestraft als in der MotoGP?

In der Moto3 ist Bummeln seit Jahren ein Dauerthema, weshalb es in der laufenden Saison auch schon mehrfach Meetings zwischen den Regelhütern und den Teams der kleinsten Klasse gab, an denen die Fahrer der anderen Klassen nicht teilnehmen mussten. Das zeigt bereits, dass die Stewards die Moto3 bezüglich Bummeln deutlicher im Visier haben als die Moto2 oder MotoGP.

Teammanager Peter Öttl machte seinem Unmut über die Urteile der Stewards vor einigen Wochen bei Motorsport-Magazin.com Luft: "Hat sich irgendwas geändert? Nein. Die halten uns Teams und Fahrer für blöd und meinen, wir würden es nicht verstehen."

IRTA-Boss Herve Poncharal hingegen hob zuletzt den positiven Effekt der "Erziehungsmaßnahmen durch Bestrafung" hervor: "Wir hatten in dieser Saison bereits harte Strafen und man sieht klar, dass sich die Situation in Q1 und Q2 verbessert hat."

Gibt es Lösungsansätze zur Vorbeugung der Bummelei?

Im Fahrerlager mehren sich die Stimmen für eine Reform des aktuellen Qualifying-Formats. Die Schlussminuten des 3. Trainings sowie die beiden jeweils nur 15-minütigen Quali-Einheiten verlangen auf Knopfdruck schnelle Rundenzeiten - und das bei immer knapperen Abständen in allen Klassen. Dass Rennfahrer für die entscheidenden Momente Windschatten suchen, liegt nahe. Zwei Zehntelsekunden sind in der modernen Weltmeisterschaft oft der Unterschied zwischen erster und dritter Reihe oder eben dem direkten Q2-Einzug.

Nach MotoGP-Strafenchaos: Das sind Stefan Bradls Lösungsansätze (33:15 Min.)

Einige Teamchefs der kleinen Klassen würden ein klassisches Qualifying-Format bevorzugen, am Sachsenring sprach sich auch MotoGP-Fahrer Danilo Petrucci dafür aus: "Als das Qualifying noch 45 Minuten gedauert hat, gab es sowas nicht. Damals haben einige Fahrer schon zu Mitte der Session ihre schnellste Zeit gefahren, andere erst gegen Ende, aber man traf sich so gut wie nie auf der Strecke."

Doch die Dorna ist mit dem aktuellen Format zufrieden: Erstens wird dadurch (im Regelfall) das 3. Training zu einer Art Vorqualifikation aufgewertet und für die Zuseher interessanter. Und zweitens ist das spannende Qualifying mit seinen beiden Segmenten für die Bedürfnisse der TV-Stationen optimiert, deren Zuschauern nach Möglichkeit nicht langweilig werden soll. Ein Einzelzeitfahren bzw. die Rückkehr zu einer einzigen 45-minütigen Quali-Session sind für die Offiziellen daher keine Option.

Gab es am Samstag auf dem Sachsenring Strafen?

Rund fünf Stunden nach dem Ende gaben die FIM-Stewards ihre Urteile für die Qualifyings bekannt: Darryn Binders Disqualifikation wurde bestätigt, zudem wurde er mit einer Durchfahrtsstrafe für das Auslösen eines Crashes belegt. Von den MotoGP-Bummlern erwischte es lediglich Enea Bastianini, der in der Startaufstellung drei Plätze zurück muss, weil er Danilo Petrucci auf der Ideallinie behinderte. Der Rest der Bummler kam anscheinend straffrei davon.