Zwei der größten MotoGP-Legenden aller Zeiten haben aktuell keine Freundlichkeiten übereinander zu sagen. Stattdessen liefern sich Giacomo Agostini und Jorge Lorenzo über die letzten Wochen hinweg einen verbalen Schlagabtausch, bei dem letzterer nun gewaltig nachlegte. Die gesamte Geschichte im Überblick.

Begonnen hatte die "Fehde" zwischen Agostini und Lorenzo mit einer Aussage des Italieners gegenüber der italienischen 'Gazzetta dello Sport', in der 'Ago' Lorenzos Leistungen gegen Ende seiner aktiven Rennfahrerkarriere kritisierte. So behauptete der Rekordweltmeister, dass der Mallorquiner in zweifacher Hinsicht versagt hätte: "Lorenzo ist für mich ein Risiko. Es ist jetzt schon das zweite Mal gewesen, dass er versagt und nicht die erwarteten Ergebnisse eingefahren hat, nach Ducati auch bei Honda."

Laut Agostini hätte man vor allem bei Ducati von einem Piloten eines Kalibers von Jorge Lorenzo mehr erwarten können, als dieser letztendlich zeigte. "Wenn man in einer Firma einen hervorragenden Manager einstellt und ihm viel Geld bezahlt, dann erwartet man gewisse Ergebnisse. Darauf kommt es am Ende an", sagte Agostini gegenüber 'DAZN'. Lorenzo war zum Zeitpunkt seines Wechsels in das italienische Team die große Hoffnung auf den langersehnten ersten WM-Titel nach Casey Stoner gewesen. Daraus wurde jedoch nichts, neben insgesamt drei Siegen auf der Desmosedici GP konnte Lorenzo bei seinen zwei Jahren im Ducati-Lager nur jeweils Siebter und Neunter in der Gesamtwertung werden.

Für Agostini eine nicht ausreichende Leistung. "Es ist vielleicht nur eine 70-prozentige Niederlage und keine 100-prozentige, aber eine Niederlage ist es ohne Zweifel", urteilte der Italiener hart. Diese Äußerungen wollte der stolze Lorenzo nicht auf sich sitzen lassen und konterte auf Agostinis Kritik via Social Media. "Schulde ich diesem Mann in irgendeiner Form Geld oder so? Habe ich bei Ducati versagt? Es lässt sich leicht reden, wenn man seit 50 Jahren kein Motorrad mehr gefahren ist", schoss Lorenzo auf Social Media zurück.

Die Antwort von Agostini klang daraufhin schon wieder versöhnlicher. "Die Wahrheit tut weh", resümierte der Italiener. "Ich habe Jorge immer gratuliert, wenn er Großartiges geleistet hat und deshalb fühle ich mich auch frei, ihn zu kritisieren, wenn er versagt hat. Ich mochte Jorge immer: Die Art, wie er gewonnen hat, wie er gefahren ist und wie er die Rennen gemanagt hat."

Agostini weiter: "Ich habe mich immer sehr positiv über ihn geäußert. Sogar so sehr, dass mich Valentino Rossis Teil der Yamaha-Box kritisch angesehen hat. Aber leider muss ich sagen, dass Lorenzo bei Ducati nicht das abgeliefert hat, was ich von ihm erwartet hätte."

Was vermutlich nach einer stückweiten Versöhnung klingen sollte, nahm Lorenzo aber erneut mitnichten als solche auf. Erneut meldete sich der Spanier via Social Media zu dem Thema zur Wort, mit einem ausgedehnten Instagram-Post. "Ich hoffe, dass ich irgendwann einmal nicht die Zukunft mit meiner Vergangenheit vergleiche und dann sage werden "Also zu meiner Zeit...". Ich denke, was Herr Giacomo Agostini verstehen muss, ist, dass jede Ära des Motorradrennsports seine Geschichte und jeder Weltmeister seine Wichtigkeit im Kontext seiner Zeit hat, sowohl was seine Rivalen als auch die Technik angeht", begann Lorenzo seinen Post.

Darauffolgend erläuterte Lorenzo einige Unterschiede, die es im Rennsport zu Zeiten Agostinis und in den Zeiten seiner eigenen aktiven Karriere gab. Angefangen bei den unterschiedlichen Niveaus in Sachen Sicherheit und Technologie, erinnerte Lorenzo daran, dass es in den 1960er Jahren häufig vorkam, dass ein Pilot mit einem Vorsprung von ungefähr zehn Sekunden gewann. Heutzutage, wo MotoGP-Rennen häufig durch einige hundertstel Sekunden entschieden werden, undenkbar.

Und genau darin liegt der Unterschied zwischen sich selbst und Agostini, findet Lorenzo, wie er in seinem Statement klarstellte: "Wenn nach 45 Minuten Racing eine Sekunde den Erstplatzierten vom Fünften trennt, bedeutet dass, das jedes noch so kleine Detail wichtig ist, um einen Vorteil zu erzielen und zu gewinnen. Auf der anderen Seite bedeutet ein Unterschied gemessen in Zehntelsekunden, Minuten oder sogar nur in Turns auch, dass kleine Details unwichtig werden. Ja, man kann auch mit nicht perfekter Ergonomie zufrieden sein. Und das, lieber Giacomo, ist eine unwiderlegbare Wahrheit."

Abschließend wendete sich Lorenzo weiter an seinen ehemaligen Vertrauten: "Wenn also jemand, der die Fakten und Umstände kennt, sagt, dass ich bei Ducati keine Ergebnisse gebracht habe, kann ich nicht anders als erstaunt zu sein. Mit allem nötigen Respekt, aber ich denke, sich in Aussagen wie "Zu meiner Zeit... " oder in eine rein Ergebnisse-basierten Denkweise zu flüchten, um die Fähigkeiten eines Weltmeisters in der modernen Zeit zu beurteilen, ist eine Banalität, die einer Legende wie dir nicht würdig ist."

Friedensangebot von Agostini

Nach dieser Aussage Lorenzos hielt sich die Lust beider Parteien an einer Weiterführung der Kontroverse offenbar in Grenzen. So bot Agostini bei einem Gespräch mit der spanischen 'AS.com' Lorenzo Frieden an. "Ich möchte diese Kontroverse nicht mehr", so Agostini. "Ich habe Lorenzo geschätzt und werde das auch weiterhin tun. Heute oder morgen werde ich ihm eine private Nachricht schicken." Trotz des erhofften Friedens pochte Agostini aber weiter auf seine Meinung, die den ganzen Zwist zwischen den zwei MotoGP-Legenden erst ausgelöst hatte. "Ich kann nicht sagen, er hätte gewonnen, wenn er das nicht getan hat", stellte der Italiener klar. "Ich bin nicht sauer auf ihn und ich hoffe, er versteht, weshalb ich gesagt habe, was ich gesagt habe."

Die Antwort Lorenzos auf diese Hoffnung war ein klares 'Nein'. Genauso wie Agostini beharrte Lorenzo auf seine Meinung, ging jedoch auf das Friedensangebot des Italieners ein. "Ich hoffe, es ist das letzte Mal, dass wir über diese Kontroverse sprechen müssen, denn sie sollte nicht noch weiter befeuert werden. Natürlich ergreife ich die mir entgegengereichte Hand, aber ich muss auch dazu sagen, dass es den Frieden nicht wert ist, wenn man danach dieselben Fehler noch einmal macht."

So findet Lorenzo nach wie vor, bei Ducati keine halb so schlechte Figur gemacht zu haben, wie 'Ago' es ihm vorwirft. "Er kann sagen, dass meine Saison bei Honda ein Desaster war und ich weit hinter den Erwartungen zurücklag, denn da stimme ich ihm zu", so Lorenzo. Seine Zeit bei Ducati ist jedoch eine andere Geschichte. Der Spanier erinnert an die Erfolge, die er vor allem in seiner zweiten Saison in Borgo Panigale erreichen konnte. "Man kann also nicht sagen, dass ich bei Ducati keine Ergebnisse eingefahren hätte", schließt er.

Um tatsächlich Frieden zu schließen, gibt Lorenzo Agostini dann noch eine Bedingung mit auf den Weg. "Gestehe ein, dass du mit dieser Aussage einen Fehler gemacht hast oder stelle richtig, dass ich nur eine schlechte Saison hatte", so der Spanier. "Und wenn das passiert ist und er möchte, dann nehme ich seine Entschuldigung an. Und wenn du das nächste Mal über einen Weltmeister sprichst, denk besser gut darüber nach, was du sagst."