In ihren letzten beiden Meetings - welche aktuell aufgrund der Corona-Krise digital abgehalten werden - beschloss die Grand-Prix-Commission ein Verbot von Wildcards für die MotoGP-Saison 2020. "Da wahrscheinlich sämtliche Events 2020 unter Ausschluss der Öffentlichkeit veranstaltet werden müssen, ist es notwendig, die Zahl der teilnehmenden Personen auf ein absolutes Minimum zu beschränken. Des weiteren ist es wichtig, dass der vorhandene Platz in den Boxen von den Teams optimal genutzt werden kann", begründet man die Entscheidung in einer Presseaussendung.

Tatsächlich versuchen die Verantwortlichen der Motorrad-Weltmeisterschaft aktuell alles, um das Paddock für die Saison 2020 auf Minimalgröße herunterzufahren. Neben Fans und Gästen sollen auch alle arbeitenden Personen, die für die Durchführung eines Grand Prix' nicht zwingend erforderlich sind, keinen Zutritt zum Fahrerlager erhalten. Das betrifft Journalisten, Hospitality-Personal oder Marketing- und PR-Verantwortliche.

So soll das MotoGP-Paddock von normalerweise rund 3.000 auf 1.600 Personen schrumpfen. Ein Wildcard-Einsatz sorgt für etwa zehn zusätzliche Menschen im Fahrerlager, maximal zwei Wildcards pro Grand Prix sind erlaubt. Somit kommt man also auf eine Zahl von rund 20 Personen oder 0,0125 Prozent des gesamten Paddocks.

Ein sehr geringer Wert, der nun für einen üblen Verdacht sorgt. "Vielleicht will Honda so Lorenzo dafür bezahlen lassen, dass er zu Yamaha zurückgegangen ist", spekuliert Ducati-Testfahrer Michele Pirro, der in diesem Jahr mit Wildcards in Mugello, Misano und Valencia starten hätte sollen, bei 'Motosprint'.

Michele Pirro ist einer der Leidtragenden des Wildcard-Verbots, Foto: Ducati
Michele Pirro ist einer der Leidtragenden des Wildcard-Verbots, Foto: Ducati

Um Pirros Vorwurf besser zu verstehen, müssen wir tiefer in die Reglement-Findung der MotoGP eintauchen. Grundsätzlich werden die Entscheidungen, wie eingangs erwähnt, von der Grand Prix Commission getroffen. Diese setzt sich aus je einem Vertreter von Promoter Dorna, Motorradweltverband FIM, Teamvereinigung IRTA und Herstellerbund MSMA zusammen. Im konkreten Fall der Wildcards für 2020 waren das Carmelo Ezpeleta (Dorna), Paul Duparc (FIM), Herve Poncharal (IRTA) und Takanao Tsubouchi (MSMA).

MotoGP-Herstellerbund im Wandel

Entscheidend ist nun die Rolle der MSMA. In diesem Herstellerbund war über Jahre hinweg Honda die dominierende Kraft. Als größter Motorradbauer der Welt stellte man auch die meisten Maschinen in der MotoGP. Yamaha ordnete sich als der kleinere japanische Hersteller unter, Ducati wurde als Neuankömmling Anfang der 2000er-Jahre ebenfalls in diese Rolle gedrängt. Entscheidungen wurden von der MSMA mit Einstimmigkeitsprinzip beschlossen und in weiterer Folge in die Grand Prix Commission eingebracht. Die Tatsache, dass die MSMA als Zusammenschluss unterschiedlicher Hersteller nur über eine Stimme verfügte, war somit kein Problem.

In den vergangenen Jahren kam es innerhalb der MSMA aber immer wieder zu Zerwürfnissen. Meinungen zu unterschiedlichsten Themen wie Aerodynamik oder Concession-Regelungen gingen oftmals weit auseinander. Wert hatte aber nur die von MSMA-Mann Tsubouchi abgegebene Stimme. Pikant: Tsubouchi kommt aus dem Honda-Lager, kann also eine gewisse Befangenheit nicht abstreiten.

Lorenzos Yamaha-Comeback sorgte für Ärger bei Honda, Foto: Repsol
Lorenzos Yamaha-Comeback sorgte für Ärger bei Honda, Foto: Repsol

Ob Honda tatsächlich so weit gehen und seine Machtposition in diesem Fall eiskalt ausnutzen würde, wird sich nie klären lassen. Fest steht aber: Der japanische Gigant war alles andere als begeistert davon, dass Jorge Lorenzo nach nur einem Jahr im Repsol-Werksteam mit all seinen Einblicken in Honda-Interna zurück zum Erzrivalen Yamaha wechselte. Vor allem, weil Lorenzo zum Zeitpunkt der Vertragsauflösung im vergangenen Herbst von einem Karriereende sprach. Nur gut zwei Monate später wurde er als neuer Yamaha-Testfahrer präsentiert, kurz darauf folgte die Verkündung eines Wildcard-Starts in der MotoGP-Saison 2020.