Vor rund einem Jahr durfte Miguel Oliveira zum ersten Mal MotoGP-Luft schnuppern. Im Motorland Aragon ermöglichte KTM seinem Schützling aus der Moto2 einen Test auf der "großen" RC16. "Endlich hatte ich diese Gelegenheit, die alle Fahrer zumindest einmal in ihrem Leben ergreifen möchten. Ich freue mich sehr, dass ich dieses Motorrad fahren durfte", sagte der damals 22-jährige Portugiese nach seiner Ausfahrt auf der schnellsten KTM des Planeten. Zehn Monate und drei GP-Siege später sollte aus der einmaligen Gelegenheit künftiger Alltag werden. Denn am Vormittag des 5. Mai flatterte um 11:01 Uhr eine Presseaussendung mit folgendem Titel in die Motorrad-Redaktionen dieser Welt: "Miguel Oliveira signs for 2019 MotoGP chance with KTM Tech3".

Oliveira hatte somit geschafft, worüber schon länger spekuliert wurde. Denn der Moto3-Vizeweltmeister aus dem Jahr 2015 überzeugte nach einer schwachen ersten Moto2-Saison mit starken Ergebnissen im Vorjahr. KTM war mit einem neuen Projekt gegen Langzeit-Dominator Kalex in den Ring gestiegen, Oliveira stellte das Bike im zweiten Rennen auf Pole Position und fuhr den ersten Podestplatz ein. Mit drei Siegen in den letzten drei Saisonrennen schob er sich in der WM-Endabrechnung noch auf den dritten Platz nach vorne. Eine Leistung, die von KTM nicht nur goutiert, sondern letztlich auch mit dem Aufstieg in die MotoGP samt Werksvertrag im neuen Kundenteam belohnt wurde. In Mattighofen glaubt man an den Portugiesen. Miguel Oliveira wird in der kommenden Saison somit der erste Fahrer sein, der in allen drei Klassen der Motorrad-Weltmeisterschaft für KTM an den Start gegangen ist.

"Das ist eine große Ehre und macht mich stolz", erzählt Oliveira, als er sich mit Motorsport-Magazin.com im Teamtruck zum Interview trifft. Zehn Siege hat er zu diesem Zeitpunkt für die Österreicher bereits eingefahren, weitere sollen folgen. Über einen möglichen Titelgewinn möchte er aber noch nicht sprechen, obwohl er an der Spitze voll mitmischt. "Wir haben nie über den Titel gesprochen und werden das auch weiterhin nicht tun", stellt er mit trockenem Gesichtsausdruck klar. Ein Mann der markigen Ansagen war Oliveira nie. Stattdessen ein harter Arbeiter, den seine Zielstrebigkeit nach acht Jahren letztlich in die MotoGP geführt hat.

Dafür gibt er sogar seinen Plan B auf, denn bis zuletzt studierte der 23-jährige Portugiese neben seinem Engagement in der Motorrad-WM Zahnmedizin. "Da ja nun Plan A mit der MotoGP geklappt hat, brauche ich hoffentlich keinen Plan B mehr", so Oliviera. Eine Frage entlockt ihm dann aber doch einen kleinen emotionalen Ausbruch. Denn im Land des Fußball-Europameisters, von Traditionsklubs wie Benfica Lissabon oder dem FC Porto und von Kicker-Überflieger Cristiano Ronaldo hat es ein Mann, der auf zwei Räder anstatt eines Balls setzt, nicht leicht. "Ich habe mehr Beachtung verdient", fordert Miguel Oliviera mit Nachdruck.

MSM: Miguel, gratuliere zu deinem Aufstieg in die MotoGP. Bist du froh, dass deine Zukunft bereits nach vier Rennen geklärt war?
MIGUEL OLIVEIRA: Um ehrlich zu sein, habe ich schon damit spekuliert, dass es so früh zu einer Einigung kommen könnte. Die große Erleichterung tritt aber natürlich erst in dem Moment ein, in dem man den Vertrag tatsächlich unterschreibt. In meiner Karriere war ich immer dann am erfolgreichsten, wenn ich unter Aki Ajos Führung auf einer KTM unterwegs war. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er mir 2016 die Chance gegeben hat.

Vor allem nach deiner bis dahin schwierigsten Saison, in der du nicht nur ohne Podestplatz geblieben bist, sondern auch noch vier Rennen verletzt verpasst hast.
Ja, er hat mich nach einer extrem schwierigen Saison verpflichtet. Er war sich aber auch sicher, dass ich voll und ganz von dem damals neuen Moto2-Projekt von KTM überzeugt war und es noch immer bin. Dadurch habe ich es jetzt schließlich auch in die MotoGP geschafft.

Bist du etwas wehmütig, dass du Aki Ajo am Saisonende verlassen musst?
Darüber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. [Überlegt kurz] Ich denke aber schon, dass ich ein bisschen traurig sein werde. Immerhin haben wir schöne Erfolge zusammen gefeiert.

Wie lange musstest du mit KTM-Sportchef Pit Beirer über deinen ersten MotoGP-Vertrag verhandeln?
[Lacht] Wie du dir sicher vorstellen kannst, musste ich nicht allzu lange nachdenken. Die Gespräche waren recht einfach. Wenn du zwei Parteien am Verhandlungstisch sitzen hast, die beide wissen, was sie voneinander erwarten, dann muss man nicht lange herumdiskutieren. Im Grunde ging es nur um das Setzen der Unterschriften. Von der ersten Anfrage bis zum Abschluss ist keine Woche vergangen.

In der Moto2 fährt neben dem Hunger nach sportlichen Erfolgen ja auch immer der Wunsch nach einem MotoGP-Aufstieg mit. Hat diese frühe Vertragsunterzeichnung den Druck von dir genommen?
Wir sehen seit Jahren die klare Tendenz, dass man sehr früh in der Saison über Verträge zu sprechen beginnt. Du verhandelst miteinander, noch bevor du auf der Strecke dein volles Potenzial zeigen konntest. Man hat ja gesehen, wie viele Verträge bereits nach wenigen Rennen unterzeichnet worden sind. Dass die Werke alles so früh geklärt haben wollen, setzt die Fahrer natürlich unter Druck. Für mich macht meine frühe Unterschrift die Sache einfacher. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass mir das keinen Druck nimmt.

Hat sich dein MotoGP-Aufstieg auf deine Ziele in der laufenden Moto2-Saison ausgewirkt?
Nein, meine Ziele bleiben die gleichen. Wir haben nie über den Titel gesprochen und werden das auch weiterhin nicht tun. Ja, wir wollen Rennen gewinnen und wenn uns das in den Titelkampf führt, dann sind wir überglücklich.

Wen deiner Moto2-Rivalen siehst du in der Pole Position um den Titel?
Im Titelrennen kann noch viel passieren, denn wir stehen ja noch nicht einmal bei Halbzeit. Es gibt viele gute Fahrer in unserer Klasse, aber die besten Karten hat nach dem starken Saisonstart wohl Pecco Bagnaia. Er ist sehr konstant unterwegs. Aber auch Pasini, Baldassarri, Alex Marquez oder Xavi Vierge, der immer stärker wird, darf man nicht unterschätzen. Oft reicht es nicht, nur permanent auf das Podest zu fahren, manchmal musst du auch auf Fehler deiner Gegner hoffen.

Wie bist du mit deinen ersten Rennen zufrieden?
Ich würde meine Form als durchschnittlich bezeichnen, bin mit dem Start in die Saison generell aber zufrieden. Ich habe Podestplätze eingefahren und in Mugello auch endlich gewonnen. Das ist unser Ziel.

Im vergangenen Jahr wurdest du gegen Ende sogar zum Seriensieger. Was hat dich damals so stark gemacht?
Das war eine Kombination aus verschiedenen Faktoren. Wir sind in jedes Wochenende mit einem klaren Plan gegangen und unser Ziel war immer, aus eigener Kraft um den Sieg kämpfen zu können. Ich habe mich bereits ab Mitte der Saison stark gefühlt und wusste, dass ich das Potenzial für Siege habe. Aus verschiedenen Gründen hat es aber erst nach dem Sommer geklappt. In mir hatte sich bis dahin eine enorme Spannung aufgebaut. Als ich dann auf Phillip Island endlich gewonnen habe, lief danach alles viel einfacher. Wenn du einmal dort auf dem obersten Treppchen stehst, dann bekommst du einen Extrapush. Es waren drei fantastische Siege. Wir haben aber nicht erwartet, dass wir auf die gleiche Art und Weise in die neue Saison starten.

Du hast bereits 2015 in der Moto3, als du Vizeweltmeister wurdest, die letzten drei Saisonrennen gewonnen. Warum bist du immer gegen Ende des Jahres so stark?
Das ist damals irgendwie ganz zufällig passiert, denn so etwas kann man nicht planen. Mir wäre es ehrlich gesagt lieber, ich würde schon früher in der Saison gewinnen. [Lacht] Damals war es ähnlich wie im Vorjahr. Wir haben uns von hinten an die vorderen Positionen angepirscht, waren zu Beginn aber zu inkonstant. Als die Erfolge kamen, lief es fast wie von selbst.

Du studierst nebenbei Zahnmedizin. Wirst du das nach deinem Aufstieg in die MotoGP noch schaffen?
Ich schaffe bei aktueller Belastung schon nur eine Prüfung pro Semester. Sobald ich in der MotoGP bin, muss ich das wohl komplett einstellen. Du hast einfach viel mehr Verpflichtungen und musst noch härter trainieren. Aber da ja nun Plan A mit der MotoGP geklappt hat, brauche ich hoffentlich keinen Plan B mehr.

Wirst du vor dem Test nach Saisonende in Valencia das MotoGP-Bike von KTM noch einmal testen?
Nein, das ist nach aktuellem Stand nicht geplant. Ich muss dir ehrlich sagen: Bis die Moto2-Saison nicht abgeschlossen ist, will ich mir über die MotoGP auch gar keine Gedanken machen.

Du betreibst in Portugal dein eigenes Nachwuchsprogramm - den Miguel Oliveira Talent Cup. Wie steht es um dieses Projekt?
Wir sind im Frühjahr in die zweite Auflage gestartet und das Programm ist ein guter Weg zu zeigen, dass Motorradsport für Kinder eine Option sein kann. Auf mich hatte das Rennfahren als Kind einen derart guten Einfluss, dass ich dieses Gefühl auch anderen näherbringen will. Wir haben eine Schule, in der wir unser Wissen um den Sport vermitteln wollen und die korrekte Einstellung und Mentalität zum Sport. Mit mir haben sie einen guten Lehrer. Im Cup selber haben wir aktuell drei Kategorien und wollen das auch in Zukunft aufrecht erhalten. Aktuell sind wir in Portugal zentral angesiedelt, wollen aber vielleicht bald auch mehrere Stätten in unserem Land ausweiten.

Wie populär ist die MotoGP in Portugal? Und wie populär bist du in der Sportwelt?
Die öffentliche Aufmerksamkeit für den Sport wächst, aber es ist unmöglich, auch nur annähernd mit Fußball zu konkurrieren. An Fußball führt in Portugal kein Weg vorbei und das ist sehr schade. Ich bekomme von Fans sehr viel Feedback, aber von den Medien kommt wenig - das ist traurig. Ich habe mehr Beachtung verdient - bereits für das, was ich im Motorsport schon erreicht habe. Leider kann ich mich nicht gegen Fußball durchsetzen oder gegen die Chefredakteure, die auf das Cover setzen, was sich am besten verkauft. Ich habe natürlich Verständnis für diese wirtschaftlichen Zwänge, aber in gewisser Weise sollten Zeitungen ihre Leser auch erziehen und vermitteln, dass es neben Fußball noch andere interessante Sportarten gibt. Die Leute suchen heutzutage nicht mehr gezielt nach irgendetwas, sondern konsumieren das, was ihnen serviert wird. Ich muss in der MotoGP fahren, dort gewinnen und vielleicht sogar um den Titel kämpfen. Erst dann habe ich eventuell eine Chance, dass ich als gut genug eingestuft werde, damit über mich geschrieben wird. Das macht mich traurig, denn meine Karriere war bislang schon sehr erfolgreich.

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