Führungswechsel in der WM, nächster Solosieg der MotoGP 2016 und ein weiteres Mal geht einer der Titelanwärter zu Boden. Der Renn-Sonntag in Le Mans hatte wieder einiges zu bieten. Motorsport-Magazin.com unterzieht die interessantesten Behauptungen und gewagtesten Aussagen einem Fakten-Check:

Ein Uhrwerk namens Jorge Lorenzo

Unter perfekten Bedingungen ist gegen Jorge Lorenzo aktuell kein Kraut gewachsen. Der amtierende Weltmeister lieferte am Sonntag einen lupenreinen Solosieg ab, der nicht eine Sekunde in Gefahr war. Aus Pole Position gestartet, setzte er sich sofort an die Spitze, drehte 28 Führungsrunden und holte am Ende den 42. MotoGP-Triumph seiner Karriere.

Den kleinsten Vorsprung im Rennen hatte Lorenzo nach der Startrunde mit 0,425 Sekunden. Ab der sechsten Runde lag er über eine Sekunde vor dem Rest des Feldes, bei der Zieldurchfahrt über zehn Sekunden. In der Liste der schnellsten Rennrunden belegt er hinter Valentino Rossi und Andrea Iannone nur den dritten Platz, doch an diesem Sonntag überzeugte er einmal mehr durch eine unglaubliche Konstanz, wie ein Blick auf die Rundenzeiten zeigt.

Zwischen zweiter und vorletzter Runde schwankten Lorenzos Zeiten nur um 0,781 Sekunden. Der Vergleichswert des Zweitplatzierten Rossi war mir 1,531 Sekunden ca. doppelt so hoch. Lorenzos zweitschnellste und zweitlangsamste Rundenzeit in diesem Fenster unterschieden sich sogar nur um 0,594 Sekunden (Vergleichswert Rossi: 1,052 Sek.). Lorenzo konnte also eine beinahe idente Pace über die volle Renndistanz durchziehen. Dadurch wurde er an diesem Tag in Le Mans unschlagbar. Für Rossi wäre es auch aus einer besseren Startposition - er brauchte 14 Runden um Platz zwei zu übernehmen - schwer geworden, Lorenzo zu bezwingen.

Die großen Worte Iannones am Prüfstand

Einer der sehr früh auf der Nase landete, hatte nach dem Rennen die größte Klappe. "Ich hätte mit Lorenzo mithalten können, denn das ganze Wochenende über haben wir eine gute Pace und viel Potenzial gezeigt", verkündete Andrea Iannone, dessen Rennen in Runde sieben nach einem selbst verschuldeten Sturz zerstört war.

Stimmt diese Aussage? So einfach lässt sich das bei einem derart kurzen Rennen wie jenem von Iannone natürlich nicht beweisen. Fakt ist in jedem Fall, dass der Italiener zwischen Start/Ziel-Durchfahrt Lap 1 und Lap 6 nur drei Tausendstelsekunden auf Lorenzo einbüßte, sein Rückstand zu diesem Zeitpunkt aufgrund des in der Startphase aufgerissenen Abstands aber 1,060 Sekunden betrug. "Als ich versucht habe, die Lücke zu Jorge zu schließen, habe ich mir gedacht: 'Andrea, du bist im Moment schneller als er'", schilderte Iannone seine Gedanken unmittelbar vor dem Sturz. Klarer Fall von Überpushen? Es wirkt so.

Bei Lorenzos unglaublich konstanter Pace ist zu bezweifeln, dass der Ducati-Werksfahrer tatsächlich die Lücke schließen oder Lorenzos Tempo bis zum Ende halten hätte können. Denn während Lorenzos Rundenzeiten zwischen Lap 7 und Lap 15 eine Schwankungsbreite von nicht einmal einer halben Sekunde hatten, kam Iannones Teamkollege Andrea Dovizoso auf eine Abweichung von einer Sekunde. Allerdings war dieser auch im Infight mit Marc Marquez und Rossi in dieser Phase.

Andrea Iannone - hätte er Jorge Lorenzo in Le Mans gefährlich werden können?, Foto: Yamaha
Andrea Iannone - hätte er Jorge Lorenzo in Le Mans gefährlich werden können?, Foto: Yamaha

Zumindest um Rang zwei sollte Iannone aber gekämpft haben können am Sonntag. Mit einem Sturz schrieb er hingegen seine dritte Null im fünften Saisonrennen an. Ein Desaster, das jede weitere Diskussion um die in Le Mans verschenkten Punkte müßig macht.

Bradl wettert gegen Barbera

Stefan Bradl ließ nach dem Rennen trotz Platz zehn mit harscher Kritik aufhorchen. Im Visier des Deutschen: Hector Barbera, der sich in der zehnten Runde mit einem harten Manöver an Bradl vorbei schob. "Das war eine Scheißaktion von ihm", schäumte Bradl im Gespräch mitMotorsport-Magazin.com. "Er musste in der Linkskurve eine weite Linie gehen und ich konnte innen durch. Dann war er aber natürlich im Rechtsknick innen. Ich habe ihm da auch genügend Platz gelassen. Er hat mich gesehen, sein Motorrad aufgerichtet und ist mir dann mit Absicht hineingefahren."

Unglücklich: Dabei wurde der Bremshebel von Bradls Aprilia nach unten gebogen, was der Deutsche erst innerhalb der nächsten zwei Runden wieder beheben konnte. "Wenn ich sofort an ihm dranbleiben hätte können, wäre das Rennen sicher anders gelaufen", ist sich Bradl sicher. Aber stimmt das?

Ganz klar ersichtlich ist, dass Bradl in den Runden 10 und 11 seinen Vorsprung auf Barbera und seinen Teamkollegen Alvaro Bautista einbüßte und von beiden überholt wurde. Diese Manöver fallen genau in die Phase, als Bradl mit seinem verbogenen Bremshebel zu kämpfen hatte. In den Runden 12 und 13 pendelte sich sein Rückstand ein.

Die entscheidenden Sekunden verlor Bradl allesamt in der zweiten Rennhälfte, denn nach den vollen 28 Runden fehlten auf Barbera 16 Sekunden, auf Bautista immer noch acht. Es wäre also vermessen, zu behaupten, dass Bradl ohne den Zwischenfall in Runde 10 ein besseres Ergebnis einfahren hätte können. Barbera hatte die schnellere Pace, holte am Ende sogar noch auf Danilo Petrucci auf. In den 18 Runden nach dem Zwischenfall war Bradls Zeit nur auf einem einzigen Umlauf (Runde 15 um 0,120 Sek.) schneller als jene Barberas. Mehr als P10 war für Bradl also nicht drin.