Jorge Lorenzos Tage in Blau sind gezählt. 209 Tage wird der amtierende Weltmeister noch bei Yamaha verbringen, dann verabschiedet er sich nach neun Jahren in Richtung Italien und heuert bei Ducati an. Damit geht eine Ära zu Ende, denn in der MotoGP fuhr Lorenzo bislang für keine andere Marke als Yamaha.

Vor einem Jahr hatte er sich noch vorstellen können, dass er dem japanischen Rennstall bis zum Karriereende treu bleibt. "An meinem Traum hat sich nichts verändert: Ich würde gerne bei Yamaha meine Karriere beenden. Nicht viele Fahrer können von sich behaupten, dass sie ihre gesamte Laufbahn bei nur einem Rennstall bestritten haben", lautete eine im Vorjahr in Jerez getätigte Aussage.

Doch das emotionale Saisonfinale 2015 samt aller getätigten Aussagen der Beteiligen Lorenzo, Valentino Rossi und Marc Marquez dürften Narben hinterlassen haben. Dieser Umstand gepaart mit einem lukrativen Ducati-Angebot im zweistelligen Millionenbereich haben Lorenzo letztlich von einem Wechsel des Arbeitgebers für die Saison 2017 überzeugt.

Lorenzos Bedeutung für Yamaha: Ewige Bestenliste

Yamaha-StartsYamaha-SiegeYamaha-PodienYamaha-Titel
Valentino Rossi174Valentino Rossi53Valentino Rossi119Valentino Rossi4
Norrick Abe143Jorge Lorenzo41Jorge Lorenzo99Jorge Lorenzo3
Jorge Lorenzo141Eddie Lawson26Wayne Rainey65Wayne Rainey3
Colin Edwards120Wayne Raines24Eddie Lawson62Eddie Lawson3
Carlos Checa113Kenny Roberts22Kenny Roberts41Kenny Roberts3

Anmerkung: Statistik beinhaltet nur 500cc/MotoGP-Ergebnisse; Alle Rennen gewertet, nicht nur jene im Factory-Team

156 Rennen wird Lorenzo für Yamaha auf dem Buckel haben, wenn er sich zu Ducati verabschiedet und damit hat in der Geschichte der Motorrad-WM einzig und allein Valentino Rossi noch mehr GP-Starts für den japanischen Hersteller absolviert. In sämtlichen anderen Statistik-Kategorien hat der Mallorquiner längst alle anderen Yamaha-Legenden bis auf Rossi hinter sich gelassen.

Motorsport-Magazin.com blickt zurück auf achteinhalb Jahre Liebesbeziehung Lorenzo/Yamaha:

Phase 1: Neue beste Feinde - Lorenzo vs. Rossi

Jorge Lorenzo und Valentino Rossi belauerten sich von 2008 uns 2010 drei Jahre lang, Foto: Milagro
Jorge Lorenzo und Valentino Rossi belauerten sich von 2008 uns 2010 drei Jahre lang, Foto: Milagro

Jorge Lorenzo kam 2008 in die MotoGP und schlug sofort ein wie eine Bombe. Pole Position in den ersten drei Rennen, Platz zwei beim Debüt, Sieg und WM-Führung im dritten WM-Lauf. Da staunte selbst Teamkollege Valentino Rossi nicht schlecht. Doch im Rookie-Jahr musste der damals 21-Jährige auch Lehrgeld bezahlen. Teilweise schwere Stürze an vier aufeinander folgenden Rennwochenenden zwangen ihn im Juni in Barcelona zu einer ersten Zwangspause und bis Saisonende sollten nur noch zwei weitere Podestplätze folgen. Einer ersten Ernüchterung folgte aber die große Wiederauferstehung.

Von der Startnummer 48 auf 99 gewechselt, sprach Lorenzo 2009 ein gewaltiges Wörtchen um die WM-Krone mit und duellierte sich mit Titelverteidiger Rossi. Epische Schlachten aus dieser Zeit wie die Schlussphase des Rennens in Barcelona sind MotoGP-Fans bis heute ein Begriff. Da er 2009 allerdings viermal ausfiel, hatte Lorenzo am Ende gegen Rossi (nur ein Ausfall) erneut keine Chance.

Zurückschlagen konnte er erst 2010, als Rossi wegen der ersten schlimmen Verletzung seiner Karriere (offener Schien- und Wadenbeinbruch) vier Rennen auslassen musste und Lorenzo zu einer Rekord-Saison ausholen konnte. In Abwesenheit des großen Titelrivalen holte er 95 von 100 möglichen Zählern und stellte am Ende der Saison einen bis heute gültigen Rekord von 383 WM-Punkten auf.

Geprägt waren die ersten drei Jahre des Dreamteams Rossi/Lorenzo zwar von umfassenden sportlichem Erfolg (31 von 53 möglichen Siegen, drei WM-Titel in drei Jahren), doch auf emotionaler Ebene herrschte bei Yamaha nie zuvor schlechteres Klima. Eine Boxentrennwand separierte Rossis Crew von jener Lorenzos und über Interviews richteten sich die beiden Alphatiere regelmäßig Nettigkeiten aus. So kehrte Rossi Ende 2010 Yamaha den Rücken und heuerte bei Ducati an.

FahrerStartsSiegePodienPolesPunkteTitel
Lorenzo521434168341
Rossi491739109122

Phase 2: Alleinherrschaft und Verletzungen

2012 feierte Lorenzo seinen zweiten WM-Titel, Foto: Yamaha Factory Racing
2012 feierte Lorenzo seinen zweiten WM-Titel, Foto: Yamaha Factory Racing

Lorenzo war ab 2011 nach Rossis Abgang die klare Nummer eins bei Yamaha. Der japanische Hersteller hatte sich dazu entschlossen, Ex-Superbike-Weltmeister Ben Spies nach dessen Lehrjahr bei Tech 3 innerhalb des eigenen Hauses in die MotoGP zu befördern. Doch der Texaner konnte von Beginn an nicht mit Lorenzo mithalten. Ein Sieg in Assen sowie drei weitere Podestplätze waren die gesamte Ausbeute von Spies' erstem Jahr als Werksfahrer.

In der zweiten Saison sollte er komplett ohne Podestplatz bleiben, auch weil ihn immer wieder Verletzungen zurückwarfen. Von diesen blieb auch Lorenzo in dieser Zeit nicht verschont. Im Warmup des Rennens auf Phillip Island zog er sich bei einem Abflug schwere Handverletzungen (er verlor unter anderem ein Fingerglied) zu, sodass er seinen Angriff auf WM-Leader Casey Stoner im Saisonfinish 2011 abblasen musste. Lorenzo verpasste die letzten drei Rennen und wurde nur Vizeweltmeister.

In diesem Jahr musste Lorenzo zudem eine mentale Niederlage gegen den Ex-Teamkollegen Valentino Rossi einstecken. Obwohl Lorenzo amtierender Weltmeister war, zogen sich mit dem Abgang von Rossi viele Sponsoren zurück, sodass Yamaha unter anderem in den Saisons 2011 und 2012 ohne großen Hauptsponsor in die Rennen gehen musste. Die Strahlkraft von Rossi war aus Sicht der Sponsoren bei Lorenzo nie vorhanden. Dafür lief es sportlich 2012 wieder top, sodass er sich ein Rennen vor Schluss seinen zweiten WM-Titel sichern konnte.

FahrerStartsSiegePodienPolesPunkteTitel
Lorenzo3392696101
Spies321402640

Ära 3: Dreamteam reloaded

Was vielversprechend begann, endete im Desaster: Rossi und Lorenzo 2015, Foto: Milagro
Was vielversprechend begann, endete im Desaster: Rossi und Lorenzo 2015, Foto: Milagro

2013 kehrte Rossi zu Yamaha zurück und der japanische Hersteller erhoffte sich von der Wiederauferstehung des Dreamteams viel. Sportlich wurde man zunächst aber noch enttäuscht, denn Rossi hatte mit letztlich sechs Podestplätzen sowie 237 Punten das schwächste Yamaha-Jahr seiner Karriere und Lorenzo, der sich in Assen das Schlüsselbein gebrochen hatte, musste beim Saisonfinale trotz eines Sieges Super-Rookie Marc Marquez zum Titel gratulieren.

So sehr man sportlich enttäuschte, so gut lief es allerdings im emotionalen Bereich. Rossi und Lorenzo kamen diesmal ohne Trennwand aus und beschworen in allen Interviews den neuen Teamgeist, bei dem alle bei Yamaha an einem Strang zögen. Die gute Stimmung blieb auch 2014 aufrecht, obwohl man im Titelkampf gegen Honda nach einer Marquez-Siegesserie völlig chancenlos war.

Erst 2015 wendete sich das Blatt, den zum ersten Mal in der zweiten Ära des Dreamteams duellierten sich wieder beide Piloten an der Spitze. War es 2013 noch Lorenzo und 2014 eher Rossi, der für die guten Yamaha-Ergebnisse sorgte, so war ab Frühsommer 2015 klar, dass es auf ein internes WM-Duell der beiden Alphatiere hinauslaufen würde. In der zweiten Saisonhälfte sorgten daher kleine Sticheleien und Gehässigkeiten auf der Strecke für eine immer aufgeheiztere Stimmung.

Im Saisonfinale eskalierte die Situation dann völlig. Da auch Marc Marquez in diesem Duell ordentlich mitmischte, arteten die finalen Wochen der Saison 2015 in eine Dreier-Schlammschlacht auf und abseits der Piste aus. Die Taten und Worte vergifteten das Klima bei Yamaha so nachhaltig, dass das Dreamteam wenige Monate später durch Lorenzos Unterschrift bei Ducati für 2017 endgültig zerbrach.

FahrerStartsSiegePodienPolesPunkteTitel
Lorenzo561839119681
Rossi5773528900