Die große Frage vor den bisherigen sieben MotoGP-Rennen der Saison 2015 war meist: Wie sehr kann Valentino Rossi im Grand Prix zulegen? Diese Frage stellt sich in Assen nicht. Rossi ist vom ersten Training an der schnellste Mann im Feld und bestätigte seine ausgezeichnete Pace auch im Qualifying - eine Seltenheit! Eine Steigerung des WM-Leaders im Rennen wird also vielleicht gar nicht nötig sein, auch so könnte es zum Sieg reichen. Die größte Gefahr wartet auf Rossi bereits zu Beginn des Grand Prix. Wir sehen uns die Chancen des Doktors und seiner Rivalen genauer an, im Favoritencheck von Motorsport-Magazin.com:

Valentino Rossi: Schon lange nicht mehr ging Rossi als derartig großer Favorit in ein MotoGP-Rennen. Seine letzten Siege fuhr er allesamt von schlechteren Startpositionen und nach dementsprechend schwachen Trainings- oder Qualifying-Leistungen ein. In Misano 2009 gewann er zuletzt von der Pole Position aus. Rossis Rennpace war in dieser Saison praktisch immer überzeugend, daran wird sich aller Voraussicht nach auch am Samstag in Assen nichts ändern. Sein Rennen in Gefahr bringen kann der Yamaha-Pilot also eigentlich nur am Start.

"In Mugello beispielsweise habe ich den Start ziemlich verpatzt, also gilt es, im Rennen nicht wieder die ganze Arbeit mit einem schlechten Start zunichte zu machen", überlegte Rossi nach dem Qualifying. "Die Pole Position alleine ist noch gar nichts wert. Normalerweise starte ich aber ziemlich gut, auch weil die Yamaha in diesem Bereich sehr gut funktioniert."

Kommt Rossi tatsächlich gut weg, steht die Tür zu seinem dritten Saisonsieg weit offen. Aus seinen Ambitionen macht er auch gar keinen Hehl: "Mein Ziel ist es, das Rennen zu gewinnen. Das ist ganz logisch, wenn man eine gute Pace hat und sich wohlfühlt." Mit einem Selbstläufer rechnet er nach dem Qualifying, in dem die ersten Elf innerhalb einer halben Sekunden lagen, aber nicht. "Es wird aber schwer, denn Marc und die anderen Jungs sind sehr stark. An diesem Wochenende haben so viele Fahrer eine großartige Pace. Wir liegen alle extrem eng beisammen. Das Niveau ist unglaublich hoch, weshalb ich ein sehr enges Rennen erwarte."

Im Qualifying agierte Rossi fehlerfrei, Foto: Yamaha
Im Qualifying agierte Rossi fehlerfrei, Foto: Yamaha

Jorge Lorenzo: Wenn er auch nur von Startplatz acht in das Rennen am Samstag geht, könnte Lorenzo dennoch der härteste Widersacher seines Teamkollegen Valentino Rossi sein. Entscheidend für den Mallorquiner ist es natürlich, möglichst schnell durch das Feld nach vorne kommt. Das kann sehr schnell gehen, wie Rossi in Erinnerung ruft: "Man muss sich nur ansehen, was Marc in Mugello gelungen ist. Er musste dort aus der fünften Reihe starten und war nach ein paar Kurven schon Zweiter oder Dritter." Was die Stärke am Start angeht, steht Lorenzo Marquez in nichts nach.

Kommt er also flott nach vorne, dürfte für den Sieger der letzten vier Grands Prix fast alles möglich sein. Seine Pace im Longrun war nämlich durchaus überzeugend, vor allem auf nachlassenden Reifen konnte Lorenzo noch richtig starke Rundenzeiten fahren. " Da sah es ganz gut aus", meinte auch der WM-Zweite selbst. "Wir werden sehen, welche Pace der Rest des Feldes mit den alten Reifen bringen kann."

Lorenzo fehlt das Vertrauen zu den Reifen, Foto: Yamaha
Lorenzo fehlt das Vertrauen zu den Reifen, Foto: Yamaha

Marc Marquez: Nach ganz schwierigen Wochen scheint der Weltmeister in Assen wieder auf die Erfolgsspur zurückzufinden. Wieder mit seinem Chassis aus dem Vorjahr ausgestattet, kann Marquez konstantere Zeiten fahren und sich auch den ein oder anderen Fehler erlauben, ohne sofort im Kies zu landen. Startposition drei ist gut, doch das Qualifying war auch zuletzt nicht die große Schwäche des Repsol-Honda-Piloten.

Was Marquez mit seinem alten Chassis im Rennen zustande bringen wird, lässt sich kaum voraussagen. Er selbst rechnet aber mit einer Steigerung: "Ich glaube, dass unser Rhythmus am Samstag gut sein wird. Ich kann nicht nur eine konstantere Pace fahren, sondern auch die Reifen besser schonen." Das Podium scheint für Marquez in Assen auf jeden Fall in Reichweite, um gegen die Werks-Yamahas zu bestehen müsste er schon eine absolut herausragende Leistung zeigen. Dass er dazu im Stande ist, hat der Mann mit der Nummer 93 aber auch schon ausreichend bewiesen.

Dani Pedrosa: In den Trainings sah es fast so aus, als wäre Pedrosa an diesem Wochenende der stärkere der beiden Repsol-Honda-Piloten. Im Qualifying musste er sich als Vierter dann aber doch wieder Marc Marquez geschlagen geben. Verloren ist dadurch natürlich noch nichts, doch waren Pedrosas Starts zunächst nicht überragend und seine Pace im Longrun nach der langen Zwangspause aufgrund seiner Armoperation nicht so stark wie gewohnt.

"Ich hatte in letzter Zeit leider keine guten Starts und habe stets früh im Rennen schon viel Zeit verloren. Das darf mir nicht noch einmal passieren, wenn ich wirklich ganz vorne bei der Musik sein will", musste er auch selbst erkennen. "Die Longrun-Pace war auch nicht so gut wie gehofft." Understatement des kleinen Katalanen? Man würde es ihm wünschen, tatsächlich handelt es sich wohl eher um eine realistische Einschätzung.

Wie sehr macht Pedrosa sein Arm zu schaffen?, Foto: Repsol Honda
Wie sehr macht Pedrosa sein Arm zu schaffen?, Foto: Repsol Honda

Aleix Espargaro: Zum zweiten Mal in Folge steht Aleix Espargaro mit seiner Suzuki GSX-RR in Startreihe eins. In Barcelona konnte er daraus nur wenig Profit schlagen und wurde bereits am Start durchgereicht. Ein ähnliches Schicksal droht ihm auch in Assen. Als einzige Factory-Maschine ohne stufenloses Getriebe ist die Suzuki hier einfach gefundenes Fressen. "Im ersten Gang geht es noch ganz gut, aber sobald wir in den zweiten oder dritten schalten überholen uns alle. Das ist schon etwas frustrierend", gestand Espargaro.

Hoffnung macht ihm, dass der Weg bis zu ersten Kurve in Assen deutlich kürzer ist als in Barcelona. Wie auch immer der Start verläuft, Chancen auf den Sieg hat Espargaro wohl ohnehin keine. Über eine gesamte Renndistanz kann die Suzuki mit den seit Jahren im Spitzenfeld fahrenden Maschinen von Yamaha und Honda einfach noch nicht ganz mithalten. Eine Podiumsplatzierung muss man dem Mann aus Granollers aber zutrauen.

Die anderen Fahrer: Wer kann sonst noch vorne mitmischen? Nach aktuellem Ermessen wohl niemand. Pol Espargaro startet von Rang fünf, konnte gute Startpositionen aber bisher nie in ebensolche Rennergebnisse ummünzen. Die Werks-Ducatis mit Andrea Iannone und Andrea Dovizioso stehen nur auf den Rängen sechs beziehungsweise zehn. Die beiden Italiener blieben das ganze Wochenende über farblos.

Ducati enttäuschte bislang auf ganzer Linie, Foto: Ducati
Ducati enttäuschte bislang auf ganzer Linie, Foto: Ducati

Die Tipps der Redaktion:

Tobias Ebner: Der alte Mann ist an diesem Wochenende nur schwer zu schlagen - und die großartige Leistung der bisherigen Trainings wird Valentino Rossi auch mit einem Bilderbuch-Triumph im Rennen krönen. Am Doktor gibt es, wenn überhaupt, nur am Start ein Vorbeikommen. Die große Frage ist, wie die Reihenfolge hinter Rossi aussehen wird. Honda ist dank des 2014er-Chassis wieder etwas besser bei der Musik und Lorenzo muss sich aus der dritten Reihe nach vorne kämpfen. Dieser Dreikampf könnte in jede Richtung gehen. Ich denke, dass sich Pedrosa am Ende durchsetzt, Lorenzo als Dritter Schadensbegrenzung betreibt und Marquez erneut stürzt.

Tobias' Top-3-Tipp: 1. Rossi, 2. Pedrosa, 3. Lorenzo

Michael Höller: Valentino Rossi gewinnt. Wenn der Altmeister schon mal nach dem Qualifying vorne liegt, führt im Rennen erst recht kein Weg an ihm vorbei. Dahinter setze ich auf Marc Marquez und Dani Pedrosa. Jorge Lorenzo wird in der Anfangsphase nicht genug Plätze gut machen können, um das Podium zu gefährden. Alle anderen fahren unter ferner liefen.

Michaels Top-3-Tipp: 1. Rossi, 2. Marquez, 3. Pedrosa

Die Redaktion hat Marquez auf der Rechnung, Foto: Repsol Honda
Die Redaktion hat Marquez auf der Rechnung, Foto: Repsol Honda

Chris Lugert: Der Doktor ist zurück! Valentino Rossi beeindruckt bereits das ganze Wochenende mit einer Traumleistung, im Rennen wird er sich die Butter nicht vom Brot nehmen lassen. Die Yamaha ist im Rennen noch immer besser als die Honda und ehe Jorge Lorenzo sich durch das Feld gearbeitet hat, ist Rossi auf und davon. Hinter Rossi liefern sich Marquez und Lorenzo ein heißes Duell, das der Honda-Fahrer für sich entscheidet.

Chris' Top-3-Tipp: 1. Rossi, 2. Marquez, 3. Lorenzo

Marion Rott: Wenn nichts mehr geht, geht Assen. Valentino Rossi hat selbst in schwierigen Zeiten wie 2013 den Dutch TT gewonnen. Wer sollte ihn also morgen stoppen? Genau: niemand! Er gewinnt überlegen und hinter ihm entwickelt sich ein harter Kampf um die restlichen Podestplätze zwischen Marc Marquez und Jorge Lorenzo. Aleix Espargaro wird gleich am Start wieder weit zurückfallen und hat keine Chance auf die Top-3.

Marions Top-3-Tipp: 1. Rossi 2. Lorenzo 3. Marquez

Markus Zörweg: Es ist angerichtet. Valentino Rossi ist auf dem besten Weg zu seinem neunten Sieg bei der Dutch TT in Assen. Mit seinem in dieser Saison wiedergefundenen Killerinstinkt lässt sich der Doktor diese Möglichkeit nicht entgehen und schlägt eiskalt zu. Allzu sehr wird er seinen Vorsprung in der Weltmeisterschaft auf Jorge Lorenzo aber nicht ausbauen können, denn der Mallorquiner rast von Startplatz acht aus noch auf Rang zwei nach vorne. Marc Marquez kann als Dritter auch endlich wieder eine Podiumsplatzierung vermelden.

Markus' Top-3-Tipp: 1. Rossi, 2. Lorenzo, 3. Marquez