Mit drei Erfolgen in Serie im Gepäck reiste Jorge Lorenzo zum Großen Preis von Katalonien in Barcelona. Nach zwei ereignisreichen Tagen und fünf Sessions sieht es derzeit so aus, als wäre der nächste Sieg des Yamaha-Stars für den Sonntag bereits gebucht. Startplatz drei hinter den beiden Suzukis und noch vor der hetzenden Meute der weiteren WM-Anwärter scheinen für den Mallorquiner trotz verpasster Pole Position eine denkbar günstige Ausgangsposition, seine brutale Rennstrategie einmal mehr gewinnbringend einzusetzen. Motorsport-Magazin.com beleuchtet wie immer den Kreis Renn-Favoriten.

Jorge Lorenzo: Realistisch betrachtet spricht nicht viel gegen den vierten Sieg des Yamaha-Stars in Serie. Lorenzo strotzt vor Selbstvertrauen, hat das Momentum auf seiner Seite, verfügt über das stärkste Motorrad im Feld und kennt den Circuit de Catalunya-Barcelona wie seine Westentasche. Soviel zu den Rahmenbedingungen. Bei genauer Analyse der bisherigen Runden, Zeiten und Runs des Wochenendes wird klar: Lorenzo ist der Konkurrenz bereits seit geraumer Zeit enteilt.

Jorge Lorenzo verfügt über einen unnachahmlichen Fahrstil, Foto: Yamaha
Jorge Lorenzo verfügt über einen unnachahmlichen Fahrstil, Foto: Yamaha

Während Teamkollege Valentino Rossi beispielsweise nach wie vor am perfekten Rennsetup feilt und seine Hoffnung auf der Zeit bis zum Warm-Up am Sonntagmorgen ruht, demonstrierte Lorenzo bereits im dritten Freien Training den Status Quo. Ein Monster-Longrun von zehn Runden in Serie in den (teils niedrigen) 1:41ern untermauerte seine Favoritenstellung unmissverständlich. Nur Marc Marquez kam annähernd in die Nähe dieser Werte. Da Lorenzo die beiden Suzukis von Aleix Espargaro und Maverick Vinales auf dem langen Weg zur ersten Kurve problemlos ausbeschleunigen könnte, droht der Konkurrenz einmal mehr die Metronom-Fahrt des Spaniers von der Spitze weg. Der Startphase kommt wohl einmal mehr bereits vorentscheidender Charakter zu...

Marc Marquez: Startplatz vier, beeindruckende Longrun-Pace, eine Honda RC213V auf dem steilen Weg in Richtung gewohnt präziser und angenehmer Fahrbarkeit. Eigentlich scheint in Barcelona alles angerichtet für die Rückkehr des Weltmeisters Marc Marquez auf die höchste Stufe des Podiums. Eigentlich. Denn angesichts Lorenzos aktueller Ausnahmestellung könnte auch das Paket Marquez-Honda auf 90-95%igem Leistungsniveau nicht zum erhofften zweiten Saisonerfolg reichen. "Die Probleme am Kurvenausgang haben wir bereits in Mugello behoben, durch den neuen Auspuff sind auch die Schwierigkeiten am Kurveneingang nahezu verschwunden. Mit neuen Reifen fühlt es sich bereits fast wieder an wie im Vorjahr", hatte MM93 am Freitag verlauten lassen.

Marc Marquez nähert sich rapide seinem Top-Niveau, Foto: Repsol
Marc Marquez nähert sich rapide seinem Top-Niveau, Foto: Repsol

Und mit Top-Zeiten und konstant starken Sessions ließ der Superstar auch Taten folgen. Obwohl sich Marquez in Barcelona für sehr stark hält, attestiert er Yamaha und vor allem Lorenzo zumindest für den Sonntag noch Überlegenheit. Aus Sicht des zweifachen Weltmeisters sind die zwei Schlüssel zu einem "Überraschungserfolg" klar und deutlich. Erstens muss Marquez zu Beginn des Rennens alles daran setzen, Lorenzo nicht enteilen zu lassen, sich bestenfalls gar vor ihn setzen. Zweitens muss es Honda gelingen, den Reifenabbau derart zu kontrollieren, dass das Niveau der Fahrbarkeit der RC213V in der zweiten Rennhälfte nicht nachlässt. Marquez ist ohne Zweifel der härteste Kontrahent Lorenzos um den Sieg.

Die "Italienische Fraktion": Valentino Rossi anhand seiner Startposition oder Leistungen an Freitag und Samstag abzuschreiben, trauen sich wohl mittlerweile nur noch die wagemutigsten Draufgänger zu. Bislang steht Rossi auch in Barcelona jedoch deutlich im Schatten Lorenzos, startet nicht nur vier Plätze hinter dem Teamkollegen, sondern offenbarte selbst auf seinen besten Longruns bislang doch einen beachtlichen Rückstand von knapp einer Sekunde pro Runde auf den Spanier.

Dennoch: Der italienische Superstar ist der Meister der kleinen Schritte, entwickelt sein Bike meist zum Rennen hin auf Top-Niveau und packt dann mit all seiner Cleverness und Rennintelligenz eine Podest-Platzierung nach der anderen aus. Dass dies gegen einen Lorenzo in Ausnahmeform jedoch bei normalem Rennverlauf nicht reicht, zeigten die letzten drei Grands Prix eindrucksvoll. Rossi ist von P7 zwar ein weiterer Husarenritt zuzutrauen, ein Setup-Wunder und einen Traumstart ausgenommen sollten seine Siegchancen jedoch bereits jetzt auf ein Mindestmaß gesunken sein. Das Podium ist für den Doktor jedoch allemal drin.

Kann Valentino Rossi einen weiteren Husarenritt im Rennen hinlegen?, Foto: Yamaha
Kann Valentino Rossi einen weiteren Husarenritt im Rennen hinlegen?, Foto: Yamaha

Andrea Dovizioso nahm am Barcelona-Wochenende bislang eher die Rolle eines Stealth-Fliegers ein, der vom Radar unbeobachtet seinem Ziel immer näher kommt. Ordentliche Longruns auf Rossi-Niveau sowie Startplatz fünf versehen den Ducati-Star und WM-Dritten mit einer Außenseiter-Chance auf den Sieg, jedoch sollte bereits der Kampf ums Podest zu einer großen Hürde für "Dovi" werden. Die Stärken seiner GP15 wird der Italiener vor allem am Start und auf der langen Start-und-Zielgeraden wieder gnadenlos ausspielen können, jedoch dürfte es schwierig werden, die Nachteile in den kurvigen Sektoren 2-4 zu vertuschen.

Der Rest: Suzuki glänzte am Samstag mit der ersten Doppel-Pole seit 22 Jahren, darf sich trotz solider Longruns jedoch nicht zum engeren Kreis der Sieganwärter zählen. Vor allem Aleix Espargaro ist eine starke Anfangsphase und möglicherweise gar erste Rennhälfte zuzutrauen, mit fortdauernder Renndistanz sollten die Nachteile gegenüber Yamaha, Honda und Ducati jedoch immer deutlicher zum Tragen kommen. Verlieren Espargaro und auch Teamkollege Maverick Vinales jedoch bereits in der Anfangsphase den Anschluss, sollten solide Top-10-Platzierungen das einzig realistische Ziel darstellen. Dennoch: Bereits am siebten Rennwochenende derart aufzutrumpfen, ist aller Ehren Wert und verdient höchsten Respekt. Die starke Leistung des neuen Motors demonstriert: Suzukis Entwicklungsabteilung ist bereits weltmeisterlich.

Wie stark ist Aleix Espargaro auf die Renndistanz?, Foto: Bridgestone
Wie stark ist Aleix Espargaro auf die Renndistanz?, Foto: Bridgestone

Als "Dark Horse" geht Repsol-Honda-Pilot Dani Pedrosa ins Rennen. Der Kurs in Montmelo zählt zu den stärksten Strecken des kleinen Katalanen, zudem präsentierte sich Pedrosa mit Ausnahme von FP3 in jeder Session bärenstark. Einzig ein Blick auf die Longrun-Zeiten zeigt, dass der WM-Vierte des Vorjahres wohl doch noch weiter von der Spitzengruppe entfernt ist, als ihm lieb sein dürfte. In jedem Fall ist das Barcelona-Wochenende bereits jetzt ein Erfolg für Pedrosa, der nach seiner riskanten Armpump-Operation weitere große Fortschritte in Richtung kompletter Fitness und 100%iger Leistungsfähigkeit gemacht hat.

Die Tipps der Redaktion:

Samy Abdel Aal: So sehr ich mir für morgen Spannung wünsche: Für mich führt einmal mehr kein Weg vorbei an Jorge Lorenzo. Wie in den letzten drei Rennen könnte auch in Barcelona gar eine weitere vernichtende Solofahrt des WM-Zweiten folgen. Marc Marquez abzuschreiben rate ich niemandem, jedoch kann auch der "Außerirdische" die Fehler seiner einstigen Wundermaschine nicht in dem Maße kaschieren, Lorenzo in dieser Ausnahmeform aufzuhalten. Der Kampf um Platz verspricht jedoch Spannung pur: Rossi, Dovizioso und Pedrosa haben hier wohl die besten Karten. Auch wenn es für Suzuki nicht reicht: An diesem Wochenende seid ihr bereits Sieger der Herzen.

Samys Top-3-Tipp: 1. Lorenzo, 2. Marquez, 3. Pedrosa

Tobias Ebner: So gut der MotoGP der bunte Suzuki-Farbtupfer vorne an der Spitze tut - ich denke nicht, dass es für die Blauen reicht, um über die gesamte Distanz an der Spitze mitzuhalten. Jorge Lorenzo und Marc Marquez werden schon bald an Aleix Espargaro und Maverick Vinales vorbeiziehen und sich ein verbissenes Duell um den Sieg liefern. Im Sinne der WM mit dem besseren Ende für Marquez. Lorenzo übernimmt mit P2 trotzdem noch die WM-Führung, da sich Aleix Espargaro auf Rang drei behaupten kann.

Tobias' Top-3-Tipp: 1. Marquez, 2. Lorenzo, 3. Aleix Espargaro

Annika Kläsener: Suzuki-Doppelsieg? Wäre natürlich cool, aber ich glaube nicht dran. Aleix Espargaro schafft es aufs Podest, muss sich aber dem konstant schnell fahrenden Jorge Lorenzo geschlagen geben. Platz drei geht an Marc Marquez, der zwar noch nicht wieder der Alte ist, aber das Vertrauen in seine Honda wiederfindet.

Annikas Top-3-Tipp: 1. Lorenzo, 2. A. Espargaro, 3. Marquez

Chris Lugert: So schön romantisch ein Suzuki-Sieg auch wäre, ist Jorge Lorenzo über die Distanz einfach zu stark. Entscheidet sich Suzuki für den extra-weichen Hinterreifen, werden sie im Verlauf des Rennens den Preis dafür zahlen, verzichten sie auf ihn, wird es gleich zu Beginn schwer, mit dem Mallorquinischen Uhrwerk mitzuhalten. Die Yamaha hat ebenso wie Suzuki die Stärken in den Kurven, aber dazu noch einen besseren Motor. Lorenzo gewinnt das Rennen daher, dahinter sehe ich Marc Marquez, der wieder einen Raketenstart hinlegen wird. Dann jedoch wird sich Aleix Espargaro einreihen und den Lohn für ein tolles Wochenende einfahren. Platz drei für den Polesetter.

Chris' Top-3-Tipp: 1. Lorenzo, 2. Marquez, 3. A. Espargaro

Marion Rott: Jorge Lorenzo liefert die nächste Solo-Show ab und gewinnt. Die beiden Suzukis schnappt er sich gleich am Start und zieht dann alleine seine Kreise. Aleix Espargaro und Marc Marquez liefern sich ein Duell, das schließlich der Suzuki-Pilot für sich entscheidet. Beide werden aber am Ende des Rennens noch von Valentino Rossi verdrängt, der hinter Lorenzo den nächsten Yamaha-Doppelsieg perfekt macht.

Marions Top-3-Tipp: 1. Lorenzo, 2. Rossi, 3. Espargaro