Wer ist Jorge Lorenzo? So einfach diese Frage klingt, so schwer ist sie zu beantworten. Ja, er ist ein schneller Motorradfahrer, möglicherweise der beste der Welt - das hängt davon ab, welche Fan-Fraktion befragt wird. Aber wer ist er denn nun wirklich? Viele meinen, sich angesichts der Persönlichkeit, die sie im Fernsehen an Rennwochenenden zu sehen bekommen, bereits ein Bild über ihn machen zu können. Er sei ein Ehrgeizling, arrogant, überheblich und habe das mit der Sympathie nicht so ganz verstanden, waren lange die Beschreibungen, die über den Spanier zu hören waren.

Derlei Bewertungen gehen bei Lorenzo aber deutlich in die falsche Richtung. Das Motorsport-Magazin wollte deswegen eine genauere Betrachtung vom Hirn des zweifachen Weltmeisters vornehmen, denn es gibt eben nicht nur den Renn-Lorenzo, der an den Wochenenden sein Gesicht in die Kameras streckt. So trifft es durchaus zu, dass er bei seiner Arbeit akribisch vorgeht, sogar derart akribisch, dass man ihm manchmal eine gewisse Verbissenheit unterstellen könnte. Doch genau das ist er nicht, er ist einfach nur voll auf das konzentriert, was er zu tun hat. Das liegt nicht nur daran, dass er dafür ein gutes Salär einsteckt, sondern auch daran, dass er einfach der Beste bei dem sein will, was er tut.

Lorenzo genießt seine Siege

So weit so Motorsportler - denn in den höchsten Rennserien dürfte sich kaum jemand finden, der nicht der Beste sein will. Was ihn dabei aber auszeichnet, ist die Präzision und der Durst nach Verbesserung, der nur bei Wenigen so ausgeprägt ist. Doch Lorenzo weiß auch, wenn er etwas geleistet hat, dann bricht die Freude aus ihm heraus, dann feiert er. Gerne werden ihm seine Jubelzeremonien als billige Rossi-Kopie ausgelegt, doch das ist weit gefehlt, er will einfach nur genießen.

Und wenn der Helm dann abkommt, ist Lorenzo eigentlich genau das Gegenteil dessen, was ihm oft unterstellt wird. Er ist zugänglich, spricht mit Leuten und nimmt sich Zeit, wenn er sie denn hat. Eine Podest- oder Pole-Pressekonferenz ist gerade vorbei, die Fahrer ziehen sich zurück und wollen eigentlich Ruhe haben? Eine kurze Bitte an Lorenzo, ob er denn einen Augenblick hat und er nimmt ihn sich nach Möglichkeit - gleich mitten im Media Centre. Es wird noch einmal über die Feinheiten des Tages gesprochen, er lächelt und zum Abschied gibt es noch einen Klaps auf die Schulter und einen netten Spruch. Das ist der Lorenzo, den die breite Öffentlichkeit nie zu sehen bekommt, den es aber auch gibt.

Jorge Lorenzo und seine Crew, Foto: Yamaha Factory Racing
Jorge Lorenzo und seine Crew, Foto: Yamaha Factory Racing

Dabei versucht er ohnehin schon, so offen wie möglich zu sein. Auf sozialen Netzwerken ist er sehr aktiv, er antwortet immer so rasch wie möglich auf Fragen seiner Fans, denn er will sie teilhaben lassen. Lorenzo mag auf der Maschine Einzelkämpfer sein, doch ihm ist durchaus bewusst, dass er seine Unterstützer auch hegen und pflegen muss. Drei Leute kennen den Spanier besonders gut, da sie direkt mit ihm Arbeiten. Lin Jarvis ist Managing Direktor bei Yamaha MotoGP, Wilco Zeelenberg ist Team Manager beim Yamaha Factory Racing Team und Ramon Forcada ist der Crewchief Lorenzos. Um weiteres über ihn herauszufinden, hat das Motorsport-Magazin.com alle drei zum Gespräch gebeten und dabei haben sie noch ein wenig mehr über die wahren Vorgänge im Hirn des Champions verraten.

Wenn Sie Jorge beschreiben müssten, was würden Sie über ihn sagen?
Lin Jarvis: Ich würde ihn als echten Sieger bezeichnen. Er ist ein Typ, der aus jeder Situation das Maximum herausholen will. Er hat den unersättlichen Wunsch, zu lernen, egal ob er fährt oder es sein Privatleben betrifft. Er will immer alles verstehen und es verbessern.

Wilco Zeelenberg: Ich würde sagen, er ist ein außergewöhnlich talentierter junger Mann. Er ist ein unglaublich motivierender Fahrer, wenn man mit ihm arbeitet, da er immer der Beste sein und aus jeder Session das Meiste herausholen will. Er ist auch ein netter Kerl, er wird von den Medien oft missverstanden, aber er ist echt und ehrlich.

Ramon Forcada: Ich würde ihn als einen der großartigsten Fahrer der MotoGP-Ära bezeichnen. Er ist sehr ehrlich und pusht immer, um das Bestmögliche abzuliefern. Das funktioniert, da wir ebenfalls das Gleiche erreichen wollen, also arbeiten wir gut zusammen. Er kann emotional sein, sowohl gut als auch schlecht drauf, wenn Dinge nicht perfekt sind. Aber das hilft uns dabei, nach vorne zu pushen.

Was sind die Unterschiede zwischen Jorge auf und Jorge neben der Maschine?
Jarvis:Die Kombi und der Sturzhelm. Wenn er auf der Maschine sitzt, ist er zu 100 Prozent fokussiert, er hat diese beeindruckende Fähigkeit, alles um sich herum auszublenden, es gibt keine Ablenkung. Neben der Maschine ist er ein sehr angenehmer junger Mann, umgänglich und unbekümmert. Er ist von vielen missverstanden worden, er hatte als Teenager eine stürmische Zeit. In seiner Zeit bei Yamaha ist er zu einem jungen Mann geworden.

Zeelenberg: Auf dem Motorrad ist er eine Maschine. Egal wie glücklich oder verärgert er ist, wenn er hereinkommt, um über das Setup zu sprechen, sobald er auf dem Motorrad sitzt, bringt er Runde um Runde 100 Prozent. Man kann garantieren, dass er das leistet, was die Maschine kann. Neben der Maschine ist er wie jeder junge Kerl, er ist unbekümmert, hat viele Freunde und er begeistert sich für Social Media, verbringt also viel Zeit auf Facebook.

Forcada: Der Großteil meiner Beziehung zu Jorge findet auf der Maschine statt. Wenn er seine Kombi anzieht, dann ist er voll auf die Arbeit konzentriert. Er will unbedingt der Beste und besser als jeder auf der Strecke sein. Er hat nur eine Sache im Kopf. Wenn die Kombi herunterkommt, dann entspannt er sich viel mehr und man sieht ihn wieder als jungen Mann, nicht als Spitzenfahrer. Ungeachtet dessen ist er immer noch sehr wissbegierig, wenn er nicht fährt. Er stellt viele Fragen über alles, er will immer lernen.

Wo sehen Sie Jorges Stärken und welche Schwächen hat er, falls überhaupt?
Jarvis: Seine Stärken sind seine Fähigkeit sich zu konzentrieren, sein natürliches Talent und sein Wunsch, der Beste zu sein. Seine Schwäche ist vielleicht auch eine Stärke, er ist vielleicht ungeduldig, er hat den Wunsch, jetzt der Erste zu sein, nicht morgen. In der Vergangenheit hat ihm das ein paar Mal geschadet, als er ein paar Fehler machte. Wenn er aber nicht darauf drängen würde, als Erster anzukommen, dann wäre er wohl nicht Weltmeister geworden.

Zeelenberg: Wie gesagt, er ist eine Maschine. Eine seiner wichtigsten Stärken ist seine Konstanz. Es gibt keinen anderen Fahrer, den ich kenne, der 20 Runden fahren und dabei jedes Mal innerhalb von 0,3 Sekunden liegen kann. Er hat die natürliche Fähigkeit, das absolute Limit beim Grip zu finden und dann geschmeidig dort ranzufahren, ohne es zu übertreiben. Dadurch stürzt er nicht sehr oft, er scheint genau zu wissen, wie weit er pushen kann. Schwächen? Auch das sind eigentlich Stärken. Er kann recht emotional sein und ist selten wirklich zufrieden. Er will immer besser, schneller und geschmeidiger sein.

Forcada:Seine Konstanz ist für uns eine große Stärke. Er hat auch ein großartiges natürliches Gefühl dafür, was die Maschine macht. Wenn wir also eine Änderung vornehmen, dann weiß er genau, ob es besser geworden ist oder nicht. Ich weiß nicht, ob es eine Schwäche ist, aber manchmal hört er etwas und versteift dann seinen Kopf darauf und will eine Änderung an der Maschine machen, wenn es nicht unbedingt der richtige Weg ist. Ungeachtet dessen kann er aber schnell den richtigen Weg erkennen und dann ändern wir die Richtung. Er kann starrköpfig sein, aber das kann ich auch, dann haben wir eine große Diskussion über die richtige Richtung, aber wir haben am Ende immer die bestmögliche Lösung.