Was ist chaotischer: Der Straßenverkehr in Hyderabad, der viertgrößten Stadt Indiens, oder das Qualifying der Formel E beim Debüt in der Millionen-Metropole? Antwort: unklar.
Die Jagd nach den besten Startplätzen verkam zu einer völligen Farce, die Fahrer wie Zuschauer nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen lassen konnte. Fünf von acht Piloten im Viertelfinale des Qualifyings wurde nachträglich die Rundenzeit gestrichen, weil sie die Track Limits missachtet hatten.
Die fünf Fahrer, darunter Maximilian Günther und Rene Rast, mussten mit großen Fragezeichen im Gesicht zum Teil wieder aus ihren Autos rausklettern, ihre Startplätze wurden stattdessen in der Reihenfolge vergeben, in der sie aus der Boxengasse rausgefahren waren. Was für ein trauriger Anblick!
Die kollektive Verwirrung gipfelte in der peinlichen Vorstellung, dass Jean-Eric Vergne im anschließenden Halbfinale ganz allein auf der Strecke seine Pflichtrunde drehte. Von der ärgerlichen Wartezeit während des laufenden Qualifyings oder einer gefühlt gewürfelten Startaufstellung ganz zu schweigen...
Es ist im wahrsten Sinne des Wortes unfassbar, dass Track-Limit-Verstöße ausgerechnet die Formel E heimsuchen. Eine Rennserie, die mit ihren Stadtkursen eigentlich immun sein sollte gegen die im europäischen Rennsport grassierende Track-Limit-Seuche. Gilt auf einem Straßenkurs doch eigentlich das Motto: 'Das Track Limit ist die Mauer.'
Nicht so auf der brandneuen und im allerletzten Moment zusammengeschusterten Stadtstrecke in Hyderabad. Der späten Idee, eine einbremsende Schikane ins Layout zu integrieren, folgte die folgenschwere und offenbar alternativlose Entscheidung, auf echte Kerbs an den Ein- und Ausgängen der Kurven zu verzichten. Aus Zeitmangel, um die Strecke nutzen zu können, wie aus einem internen Schreiben der Formel E bzw. FIA hervorgeht.
Die unglücklich angemalten Stellen auf dem Asphalt, die zum sogenannten 'Short-Cutten' - also dem Abkürzen auf der Strecke - geradezu einladen und obendrein Verwirrung stiften, setzen dem Ganzen die Krone auf.
Experten mussten wissen, dass das zeitlich eng getaktete Qualifying zu einer absoluten Farce verkommen könnte. Um Track-Limit-Verstöße überwachen zu können, wurden in den Kurven 1&2 (Schikane), 12&13 sowie 16&17 Kameras installiert. Das Auswerten der Bilder verlangt nach Man-Power und verschlingt derart viel Zeit, dass Entscheidungen nur mit einer großen Verzögerung seriös getroffen werden können.
Das weiß auch Rennleiter Scot Elkins, der ein ähnliches Prozedere schon 2022 in der DTM nutzte. Hier war es an der Tagesordnung, dass es zum Teil mehrere Stunden dauerte, bis offizielle Ergebnisse kommuniziert werden konnten. Falls Untersuchungen ohne Konsequenzen blieben, war alles in Butter. Falls nicht, wurden die Abende lang und Fans wunderten sich am nächsten Morgen über neue Resultate...
Das kann in einem Formel-E-Qualifying aber nicht funktionieren, in dem sich die K.o.-Phase mit Viertelfinale, Halbfinale und Finale nach den vorangegangenen Ergebnissen richtet. Wird hier zwischendurch im Nachgang eine Rundenzeit gestrichen, bricht das Chaos aus. So geschehen in Hyderabad, wo man die Startaufstellung auch hätte auswürfeln können.
Dass die im Vergleich zur Formel 1 noch junge Formel E immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert wird und vor allem die Stadtkurse ihre ganz eigenen Tücken aufweisen, dafür sollte man Verständnis zeigen. Und sogar positiv überrascht sein, wie oft alles glatt über die Bühne geht! Bei aller Kritik gebührt den Verantwortlichen ein ausdrückliches Lob.
Die Track-Limit-Orgie in Indien war allerdings Chaos mit Ansage: Im 1. Training am Freitag zählte die Rennleitung 36 Vergehen, im 2. Training am Samstagmorgen folgten 56 weitere! Noch bevor sich ein Rad in Hyderabad drehte, äußerten Fahrer bereits öffentlich Kritik.
Sicherlich wäre es schwierig geworden, in der Kürze der Zeit auf die bekannten Probleme zu reagieren und eine faire Lösung zu finden - den Zuschauer interessiert das allerdings nicht. Und es muss ihn auch nicht interessieren. Fans wollen unterhalten werden, und eine Portion mehr Transparenz kann sicherlich auch nicht schaden...
Stattdessen sind es genau diese höchst kuriosen Szenen, die immer wieder einen Schatten über die Serie werfen, die in der Öffentlichkeit ohnehin um Akzeptanz kämpfen muss. Und die sich derartige Verfehlungen als waschechte FIA-Weltmeisterschaft eigentlich auch nicht leisten darf. Das wird den Top-Fahrern und den durchweg auf höchstem Niveau arbeitenden Teams nicht gerecht.
diese Formel E Redaktion