Nach dem Saisonauftakt in Mexiko-City und dem Double-Header in Saudi-Arabien bildete der Hyderabad ePrix den vierten Lauf der Formel-E-Saison 2023. Jean-Eric Vergne gewann die Rennpremiere in der indischen Millionen-Metropole vor Nick Cassidy und Antonio Felix da Costa. Motorsport-Magazin.com zeigt die Gewinner und Verlierer des Wochenendes.

Gewinner: Jean-Eric Vergne

Der zweifache Formel-E-Meister Jean-Eric Vergne hat sich nach einem unbefriedigenden Saisonstart eindrucksvoll zurückgemeldet: erster Sieg für sein Team DS Penske und sein erster seit dem Rom ePrix anno 2021! Teamchef Jay Penske als neuer Partner von DS Automobiles konnte gar den ersten Penske-Sieg in der Formel E seit 2016 bejubeln.

Nachdem erste Zweifel an der Konkurrenzfähigkeit des DS-Antriebsstranges, den auch Kundenteam Maserati nutzt, aufgekommen waren, ließ Vergne dem zweiten Platz im Qualifying seinen elften Sieg in der Formel E folgen. Teamkollege und amtierender Weltmeister, Stoffel Vandoorne, fiel infolge einer 5-Sekunden-Zeitstrafe (Track Limits) vom sechsten auf den achten Platz zurück.

Wahnsinns-Leistung: Im Endspurt des Rennens hatte Vergne gigantische vier Prozent weniger Rest-Energie als Verfolger Nick Cassidy im Envision. Doch der Franzose avancierte zum Verteidigungsminister von Hyderabad, machte sich so breit wie möglich und erhielt Unterstützung durch eine späte Safety-Car-Phase über drei Runden, die das Rennen aber nur um eine Runde verlängerte.

"Als das Safety Car kam, haben sich meine Energie-Targets etwas verändert und es wurde ein bisschen einfacher für mich", erklärte Monsieur Vergne. "Obwohl Nick drei oder vier Prozent mehr Energie hatte, konnte ich an manchen Stellen liften, bei denen ich gut blockieren konnte. Zuvor funktionierte irgendetwas nicht mit der Rückgewinnung, deshalb musste ich früher vom Gas. Ich war sicher, dass mich Nick irgendwann überholt. Das wäre für mich okay gewesen und ich wollte nicht zu sehr verteidigen, um keine weiteren Plätze zu verlieren."

Hyderabad-Sieger: Jay Penske mit Sonnenbrille und Jean-Eric Vergne mit Vettel-Finger, Foto: DPPI/Hankook
Hyderabad-Sieger: Jay Penske mit Sonnenbrille und Jean-Eric Vergne mit Vettel-Finger, Foto: DPPI/Hankook

Gewinner: Nick Cassidy

Dem Neuseeländer gelang eine starke Aufholjagd vom neunten bis auf den zweiten Platz, die zum ersten Podium für Envision in der Formel-E-Saison 2023 führte. Als neues Kundenteam von Jaguar tanzt Envision, früher mit Audi-Motoren unterwegs, der Werksmannschaft in der Gesamtwertung sogar auf der Nase herum!

Cassidy schaffte in Indien, was keinem anderen Fahrer mit einem Jaguar-Antriebsstrang gelang: zu punkten. Für den 'Kiwi' war es der fünfte Podesterfolg in seinem 35. Formel-E-Rennen - eine Bilanz, die sich sehen lassen kann. "15 Runden vor dem Rennende dachte ich, dass wir es im Sack haben und es nur darum geht, geduldig zu sein", sagte Cassidy. "Aber das Safety Car mit den neuen Regeln war ein Game-Changer."

Envision-Teamkollege Sebastien Buemi wurde wegen eines 'Overpower'-Vergehens mit einer nachträglichen Durchfahrtstrafe (17-Sekunden-Ersatzstrafe) belegt und fiel vom dritten bis auf den 15. Platz zurück.

Nick Cassidy fährt mit seinem grünen Envision aufs Podium, Foto: DPPI/Hankook
Nick Cassidy fährt mit seinem grünen Envision aufs Podium, Foto: DPPI/Hankook

Gewinner: Antonio Felix da Costa

Von Sebastien Buemis Strafe profitierte ausgerechnet Porsche-Neuzugang Antonio Felix da Costa. Der Formel-E-Champion von 2020 rückte automatisch vom vierten auf den dritten Rang nach vorne und staubte seinen ersten Podestplatz für den neuen Arbeitgeber ab - und das in seinem 100. Rennen in der Elektro-Rennserie!

Nach einem miserablen Auftakt in die Saison 2023 konnte Felix da Costa rechtzeitig die Trendwende einleiten, um nicht völlig den Anschluss im Meisterschaftskampf zu verlieren. Aber: "Der DAC ist noch nicht back. Wir hatten einen kniffligen Saisonstart. Ich steckte aber schon früher in solchen Situationen und mache mir keine Sorgen. Ich fühle, dass wir jedes Wochenende Fortschritte machen."

Gewinner: Pascal Wehrlein

Eine ähnlich sehenswerte Aufholjagd wie Felix da Costa (von P13 auf P3) gelang Porsche-Teamkollege Pascal Wehrlein. Der frühere DTM-Meister und Formel-1-Fahrer stürmte unter freundlicher Mithilfe einiger Zeitstrafen für andere Fahrer vom zwölften bis auf den vierten Platz und baute seine Führung in der Gesamtwertung weiter aus.

Und das nach seinem schweren Trainings-Unfall am Freitag! Wehrlein musste sich sogar zum Check ins örtliche Krankenaus begeben, während das Porsche-Team seinen Boliden in einer Nachtschicht reparieren konnte. Eine "Störung im Steuergerät" (O-Ton Porsche-Gesamtprojektleiter Florian Modlinger) hatte Wehrleins Auto im 1. Training in die Mauer gefeuert und dafür gesorgt, dass alle weiteren von einem Porsche-Motor angetriebenen Fahrzeuge aus Sicherheitsgründen in der Box parken mussten.

Gewinner: Sergio Sette Camara

Für Sergio Sette Camara und NIO 333 muss sich der fünfte Platz in Hyderabad wie ein Sieg - fast schon wie ein Titelgewinn - angefühlt haben. Der von Platz 15 gestartete Brasilianer hielt sich sauber aus dem um ihn herum herrschenden Chaos bestehend aus Crashes sowie Zeitstrafen heraus und sackte 10 WM-Punkte ein. Das sind 3 Zähler mehr als das kleine NIO-Team in der gesamten Saison 2022 erzielt hatte!

P5 war das beste Ergebnis für den chinesisch-britisch geführten Rennstall seit Oliver Turveys fünften Platz beim Berlin ePrix 2018. Sette Camara landete in seinem 40. Formel-E-Rennen zum vierten Mal in den Punkterängen und eroberte sein zweitbestes Resultat seit dem vierten Platz in Saudi-Arabien 2021.

Sergio Sette Camara punktet im bunten NIO, Foto: DPPI/Hankook
Sergio Sette Camara punktet im bunten NIO, Foto: DPPI/Hankook

Verlierer: Jaguar

Statt von den Startpositionen 1 (Mitch Evans) und 6 (Sam Bird) um den Sieg oder Podestplätze zu kämpfen, erlebte Jaguar das absolute Horror-Szenario in Indien: teaminterner Crash, beide Autos vorzeitig raus, null Punkte.

Das Grauen in Runde 13: Bird schoss in der heiklen Haarnadel-Kurve über das Ziel hinaus und stattdessen voll in die Seite von Teampartner Evans, der zu diesem Zeitpunkt an dritter Stelle lag. "Ich übernehme die volle Verantwortung und möchte mich bei meinem Team, meinen Teamkollegen und den anderen Fahrern entschuldigen. Wir hatten heute ein tolles Auto, aber ich habe mein Team hängenlassen", wollte Bird im Anschluss gar nicht erst versuchen, sich aus der Verantwortung zu ziehen.

Unfallopfer und amtierender Vize-Weltmeister Evans machte gute Miene zum bösen Spiel: "Es war keine Absicht, aber es ist sehr frustrierend." Das einzig 'Zählbare' ging auf Birds Konto: 5 Strafplätze in der Startaufstellung beim nächsten Rennen in Kapstadt (25. Februar).

Verlierer: McLaren

Zwar vermied Formel-E-Neueinsteiger McLaren das Horror-Szenario von Jaguar, doch die vorzeitigen Ausfälle von Rene Rast und Jake Hughes waren ebenfalls miteinander verknüpft. Es war ein höchst kurioser Anblick, als der Brite in Runde 23 urplötzlich auf der Geraden nach der Haarnadel-Kurve rechts in die Mauer abbog und den McLaren schrottete.

Die Auflösung, ähnlich kurios: Hughes' Außenspiegel hatte sich im Lenkrad verfangen! Die Sichthilfe hatte schon früh im Rennen einen Treffer durch ein herumfliegendes Teil der Strecke kassiert und sich später selbstständig gemacht. Einer der verrücktesten Ausfallgründe in der Geschichte der Formel E.

Die durch Hughes ausgelöste Safety-Car-Phase wurde wenig später Teamkollege Rast zum Verhängnis. Nach dem Re-Start fuhr der dreifache DTM-Champion bei der Anfahrt zur Haarnadel seinem Vordermann Jake Dennis aufs Heck. Beim Aufprall hoben sogar die Vorderräder des McLaren kurzzeitig ab.

Rast argumentierte später, dass er kurzzeitig nicht nach vorne geschaut habe, weil er in den Rückspiegel blickend auf den optimistisch über die Innenseite heranstürmenden Oliver Rowland fokussiert gewesen sei. Für die Rennleitung war Rast der Schuldige: 3-Platz-Gridstrafe fürs nächste Rennen.

Verlierer: Maximilian Günther

Maximilian Günther hat sich nach dem Wechsel zu Formel-E-Neueinsteiger Maserati noch nicht zurechtgefunden. In Hyderabad hätte für den Allgäuer von Startplatz fünf alles anders laufen können, aber wie sagte einst Fußball-Ikone Andreas Brehme: "Haste Scheiße am Fuß, haste Scheiße am Fuß." So auch Günther, der unverschuldet in die Jaguar-Teamkollision gezogen wurde und hinter den gestrandeten Autos machtlos mitansehen musste, wie der Rest des Feldes vorbeizog.

Und das ausgerechnet, als Günther gerade von der Ideallinie abgebogen war, um seinen Attack Mode zu aktivieren! Andernfalls hätte der Allgäuer den Jaguar-Clash vermutlich locker umschiffen und Plätze gutmachen können. Zurückgefallen auf Platz 17, kämpfte sich Günther im weiteren Verlauf des Rennens wieder nach vorne, nur, um in Folge einer 5-Sekunden-Zeitstrafe (Track Limits) auf P13 zu landen.

Da half auch nicht, dass Maserati-Teamkollege Edoardo Mortara trotz eines frühen Wechsels des Frontflügels als Zehnter den einzigen Punkt für die Italiener einheimste. "Es ist herzzerreißend, so vom Wochenende abzureisen", bilanzierte Günther, der als einziger Fahrer neben den drei Abt-Cupra-Piloten auf seinen ersten Punktefang warten muss.

Noch kein Punkt für Maserati-Neuzugang Maximilian Günther, Foto: DPPI/Hankook
Noch kein Punkt für Maserati-Neuzugang Maximilian Günther, Foto: DPPI/Hankook

Verlierer: Hyderabad-Qualifying

Nachdem die ersten drei Saisonrennen für Formel-E-Verhältnisse aus regulatorischer Sicht überraschend glatt über die Bühne gegangen waren, konnte man in Hyderabad nur mit dem Kopf schütteln. Das Qualifying artete zu einer kompletten Track-Limit-Farce aus - einem Chaos mit eindeutiger Ansage.

Vor dem Halbfinale der Duellphase wurden im Nachgang mehrere Rundenzeiten aus den Viertelfinals gestrichen. Davon betroffen waren Rene Rast, Maximilian Günther, Sam Bird, Edoardo Mortara und Sacha Fenestraz, die zum Teil bereits Platz in ihren Autos genommen hatten, um das Halbfinale in Angriff zu nehmen. Das stellte die Order komplett auf den Kopf, sorgte für kollektive Verwirrung bei den Teams sowie Zuschauern und führte zu einer ärgerlichen Wartepause.

Das Chaos artete im geradezu lächerlichen Anblick aus, dass im zweiten Halbfinale Jean-Eric Vergne ganz alleine seine Runde fuhr und kampflos ins Finale einzog, weil seinen möglichen Halbfinal-Gegnern Rast und Mortara im Viertelfinale die Rundenzeiten gestrichen worden waren.

Dass die Track Limits - auf einem Stadtkurs, wo üblicherweise die Mauern die Streckenbegrenzung bilden - eine große Rolle spielen würden, hatte sich schon in den Trainings abgezeichnet. Am Freitag gab es 36 Verstöße, im 2. Freien Training am Samstagmorgen 56 weitere!

Der Grund liegt in der Konstruktion der Strecke: Aus Zeitmangel wurden keine echten Kerbs in entscheidenden Kurven wie der Schikane (Turn 1/2) installiert, was die Fahrer zum Abkürzen geradezu einlud! Offenbar sorgte die Platzierung der angemalten Flächen auf dem Asphalt für zusätzliche Verwirrung bei den Piloten.

"So wie sie es positioniert haben, fährt das Auto in die eine Richtung und sie haben eine Linie gemalt, die in die andere Richtung geht", kritisierte Sam Bird, der schon am Donnerstag auf das Problem aufmerksam gemacht hatte. "Wir haben nach verschiedenen Lösungen gefragt und das ist die, die sie sich ausgedacht haben. Da hätte man einen besseren Job machen können."